PremiumDer Softwarekonzern ringt mit Apple um die Führungsposition nach Börsenwert. CEO Nadella will die Spitze mit Empathie und Nachsicht erreichen.
Satya Nadella
In seinem Buch „Hit Refresh“ beschreibt der Microsoft-CEO seinen Führungsstil, der entscheidenden Anteil am Unternehmenserfolg haben dürfte.
Bild: Bloomberg
San Francisco Die ersten Surface-Tablets von Microsoft waren ein Flop. Zu schwer, kurze Akku-Laufzeit, Speicher zu klein, bemängelten Kritiker. Keine gute Zeit damals für Panos Panay, Chef der Hardwaresparte. Panay erinnert sich, wie Finanzchefin Amy Hood ihn beiseite nahm und dem entsetzten Manager eröffnete, man werde jetzt eine Milliarde Dollar abschreiben müssen.
Panay fürchtete um seinen Job. Wertpapieranalysten und Medien verlangten, dass Köpfe rollen.
Aber der neue Vorstandschef Satya Nadella machte klar, man halte an Projekt und Team fest. Heute sind Tablets und Laptops fester Bestandteil einer Sparte mit Milliardenumsätzen.
Ein Umbruch bei Microsoft, früher wäre das anders gelaufen. Nachsicht, Fehlerkultur, Mitgefühl – lange Fremdworte beim Softwareriesen. Dabei sind eben diese Werte doch Voraussetzung für eine Innovationskultur, in der Angst vor dem Scheitern einer neuen Lust an Veränderung weicht.
Die Veränderungen unter Nadella, der seit 2014 als CEO fungiert, bewirken viel: Im Cloud-Geschäft und anderen Geschäftsbereichen zeigt sich Microsoft plötzlich agil und innovativ. In den vergangenen fünf Jahren legte die Microsoft-Aktie eine Wertsteigerung von über 450 Prozent hin, während der S&P-500-Index etwas über 100 Prozent geschafft hat. Mit dem zweiten Goliath im Ring, Apple, ringt Microsoft um den Titel des wertvollsten Börsenunternehmens der Welt, was heute eine Marktkapitalisierung um drei Billionen Dollar bedeutet.
Eine Anekdote aus Nadellas Anfangstagen bei Microsoft zeigt, was dafür den Anstoß gegeben haben könnte: Am Ende eines Tages zahlloser Einzelgespräche mit Microsoft-Managern saß der Jungmanager Nadella vor vielen Jahren im Büro von Manager Richard Tait. Sollte Nadella einen Einstiegsjob in Redmond, Microsofts Machtzentrum, bekommen?
Tait diskutierte aber keine Programmiertrends mit Nadella. „Wenn Sie auf der Straße ein Baby liegen sehen, was machen Sie?“, lautete die scheinbar harmlose erste Frage. „Ich rufe den Polizeinotruf an“, sagte Nadella einfach, erinnert er sich in seinem Buch „Hit Refresh“. Tait nahm ihn beiseite und sagte: „Wenn ein Baby auf der Straße liegt, dann hebt man es auf. Was Ihnen fehlt, ist Mitgefühl.“ Nadella stand wieder auf dem Flur.
„Trotzdem habe ich den Job irgendwie noch bekommen“, schreibt er. Der Schock saß tief – und sollte den Managementstil des späteren Microsoft-CEOs prägen, der durch Mitgefühl und Leidenschaft für die Sache und Menschen bestimmt sein sollte, nicht von unbedingtem Durchsetzungswillen. Anders als etwa Facebook-CEO Mark Zuckerberg mit seinem knallharten, im Hauptquartier lange an die Wand gemalten Motto: „Move fast and break things.“ Bewege dich schnell und schlage alles kaputt.
Früher ging es auch bei Microsoft knallhart zu. Doch unter Nadella wandelte sich der Konzern in Seattle.
Interne Großversammlungen mit Ansprachen der Topmanagements wichen mehrwöchigen „Hackathons“ mit Tausenden Mitarbeitern, die an eigenen Projekten arbeiten. Dabei kann jeder mitmachen, auch ein Mitarbeiter aus der Verwaltung, der eine Idee hat, aber keine Programmierkenntnisse. Findet er Menschen, die sich für seine Vision begeistern, wird angefangen. Kommt dabei etwas herum – klasse. Wenn nicht, dann eben nicht. Hauptsache, probiert.
Diese Vorarbeiten dienten nur dem Ziel, den Konzern für ein neues Geschäftsmodell vorzubereiten. Ging es bislang nur darum, Softwarekopien zu verkaufen, kam mit der Cloud, die Nadella von Anfang an forciert hatte, die völlige Kundenfokussierung.
Die Cloud muss sich täglich neu beweisen. Nutzt sie ein Kunde aktiv, kommt Geld in die Kasse. Aber nur dann. Der Vertrieb musste diese Welt auch erst verinnerlichen. „Ein angehender Kunde verlangt heute“, so Markus Nitschke, Director Kunden- und Partnerbeziehungen bei Microsoft, „dass wir genau erklären können, was er mit unseren Diensten erreichen kann.“ Detailliertes Wissen zu Branche und Kunde ist gefragt.
In seinem Buch erinnert sich Nadella an eine Zeichnung, die im Konzern oft zu finden war. Dabei waren die Microsoft-Konzernbereiche in einem Organigramm nicht mit Pfeilen verbunden, sondern mit Armen mit Pistolen in den Händen, die aufeinander zielten. Die Zeichnung habe ihn geärgert, räumt er ein. Aber er habe gedacht, wenn da was dran ist, muss sich das ändern.
Niemand zeigt heute mehr mit einer „Pistole“ auf andere, die andere Wege gehen wollen, so die Botschaft. Open-Source-Software, Android oder iOS bekamen ihre Chancen im Konzern.
Eine Suche nach Lösungen ersetzt jetzt die nach „Schuldigen“. Nadella nimmt sich dabei nicht aus. Als ein unlimitierter, kostenfreier Cloud-Speicherplatz für „Onedrive“-Kunden eingeführt wurde, war schnell klar, dass das beliebte Produkt zu einem Desaster gerät, wie ein Insider berichtet. Die Kosten explodierten, es ging um „richtig Geld“, so die Handelsblatt-Quelle. Das Angebot musste eingestellt werden, was viel böses Blut bei Kunden und Medien brachte.
Nadella schickte eine interne Memo an das Team und erklärte, er habe auch seine eigene Rolle reflektiert. Er habe nicht „alle Punkte miteinander verbunden“, nicht das Ganze gesehen. Jetzt würden alle zusammen gemeinsam eine Lösung finden. Gemeint war das alte Team.
Bill Gates und Satya Nadella
Der in Indien geborene Nadella führt den von Bill Gates gegründeten Konzern seit 2014.
Bild: Reuters
Eine interne „Feuerwehr“ für den Vertrieb wurde eingerichtet, die jederzeit angefordert werden kann, wenn Schwierigkeiten auftauchen. Geht ein Kunde verloren, wird ein genau definierter Evaluierungsprozess in Gang gesetzt, mit Kundeninterviews, Berichten von Vertrieb und Produktspezialisten. Wieder geht es nicht darum, „Schuldige zu suchen“, sondern zusammen zu lernen.
Intern werden die Entwicklungen der neuen Strategie genau verfolgt: „Zu Beginn der Transition zum neuen Geschäftsmodell sank zum Beispiel die Zufriedenheit der deutschen kommerziellen Kunden zuerst kontinuierlich“, so Microsoft-Manager Nitschke. Er will die exakten Zahlen der großen vierteljährlichen Kundenbefragungen aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Aber „wir gehen davon aus, dass es zeitweise Unsicherheiten durch Personalfluktuationen gab“.
Dann kam die Pandemie, 2020 pausierte die Umfrage. Nach der Coronapause zeigte sich dann die erhoffte Aufwärtsbewegung zu einem Zufriedenheitslevel deutlich über dem Ausgangspunkt, nicht zuletzt mit rapide steigenden Cloud-Aktivitäten.
Neben 1,3 Milliarden Windows-Installationen und der dominierenden Office-Software punkten die AR-Brille Hololens, die Gamingplattform Xbox, die VR-Plattform Mesh oder das Spiel Minecraft mit Millionen Nutzern. Die Cloud-Plattform Azure wächst mit fast 50 Prozent pro Jahr und verringert so den Abstand zur Nummer eins, Amazons AWS. Jüngste Vorstöße kommen aus den Bereichen KI und Quantencomputer.
Die Geschichte zeigt, dass viele Transitionen von Großkonzernen schlicht scheitern oder nur mäßig erfolgreich sind. Nadella bestreitet große Risiken bei so einer Total-Transformation nicht. Aber es gäbe keine Alternative, schreibt er in „Hit Refresh“. „Warum existiert Microsoft“ und „Warum existiere ich in meiner Rolle hier“, seien die zentralen Fragen, auf die jeder eine Antwort finden müsse.
Jeder Mensch, jede Organisation, jeder Staat komme irgendwann an den Punkt, wo diese Fragen beantwortet werden müssen, um sich neu zu erfinden. „Sportligen machen es, Apple macht es, Detroit macht es. Eines Tages werden auch Firmen wie Facebook aufhören zu wachsen, und dann werden sie es machen müssen.“
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