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10.09.2020

17:45

Netzausrüster

Huawei trennt sich von Google – und arbeitet an Alternativen

Von: Dana Heide, Christof Kerkmann

Die US-Sanktionen haben den chinesischen Konzern hart getroffen. Bei der Entwicklerkonferenz zeigt er einen Gegenentwurf zur amerikanischen Technik.

Der Konzern plant eine Werbekampagne für seine App Gallery. Reuters

Huawei-Stand auf der IFA

Der Konzern plant eine Werbekampagne für seine App Gallery.

Dongguan, Düsseldorf Auf einer riesigen, schwarz verkleideten Bühne im Basketballstadion kündigt Richard Yu etwas an, das die Smartphone-Welt aufhorchen lässt: Die neue Version des Betriebssystems Harmony OS 2.0, das Huawei selbst entwickelt, soll nicht nur wie die erste Generation auf vernetzten Geräten wie Fernsehern und Smartwatches sowie in Autos laufen, sondern auch auf Smartphones.

Die Bekanntmachung Yus, der die Sparte für Verbraucherprodukte bei Huawei leitet, resultiert aus der dramatischen Situation, in der sich das größte chinesische IT-Unternehmen befindet. Die Sanktionen der USA schneiden es von Technik aus dem Westen ab. Inzwischen kämpft das Unternehmen um den Fortbestand wichtiger Geschäftsfelder wie Mobilfunkausrüstung und Smartphones.

Deshalb muss es sich von US-Technik lösen, und Yu nutzt die große Inszenierung auf der Entwicklerkonferenz Huawei Developer Conference (HDC) für einen ersten Aufschlag. Im Dezember erscheinen die Testversion und Simulatoren für die neue Version des Betriebssystems, damit Entwickler damit arbeiten können. Im Laufe des nächsten Jahres sollen erste Mobiltelefone mit Harmony OS auf den Markt kommen, wobei unklar ist, um welche Modelle es sich handelt und wo diese verkauft werden.

Die Botschaft ist aber eindeutig: Da Huawei nicht mehr die Software von Google nutzen darf, will sich der Konzern unabhängig machen. „Man kann vielleicht das Licht ausmachen, aber man kann nicht alle Sterne auslöschen“, sagte Yu. Ein Seitenhieb auf die Sanktionen der US-Regierung.

Die Ambitionen von Huawei sind groß, davon zeugt die Entwicklerkonferenz. Die Sanktionen der US-Regierung, die amerikanischen Unternehmen Geschäfte mit dem chinesischen Hersteller verbieten, bringen ihn jedoch in arge Schwierigkeiten. Er muss nicht nur ein eigenes Betriebssystem samt Plattform für Software entwickeln, sondern auch Alternativen für Prozessoren und Speichermodule finden. Die glänzende Präsentation gehört zu einem Kampf ums Überleben.

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Dieser läuft bereits seit Mai 2019, als die Trump-Regierung Sanktionen gegen Huawei verhängte – offiziell, weil man die nationale Sicherheit gefährdet sah. Im August verschärfte Washington die Verkaufsverbote nochmals – in der Folge beendeten auch ausländische Chiphersteller wie Samsung, die bislang noch Komponenten lieferten, die Zusammenarbeit. Nun bleiben nur noch chinesische Zulieferer, die aber in vielen Bereichen keine echten Alternativen bieten.

Sanktionen als „Todesstoß“

Experten halten wichtige Geschäftsbereiche von Huawei für ernsthaft gefährdet. Dan Wang, von dem in Peking ansässigen China-Analysehaus Gavekal Dragonomics, sieht in den neuesten Verschärfungen der US-Sanktionen sogar einen „Todesstoß“. „Huawei ist wahrscheinlich nicht länger Hersteller von 5G-Netzwerkausrüstung und Smartphones, sobald seine Vorräte Anfang nächsten Jahres ausgehen“, schreibt er in einer Analyse.

Für China ist das ein schwerer Schlag. Huawei gilt als das Kronjuwel der Tech-Industrie. Gründer Ren Zhengfei hat das Unternehmen innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu einem riesigen Konzern aufgebaut. 194.000 Mitarbeiter zählt es inzwischen weltweit. Im vergangenen Jahr machte es trotz heftigen Gegenwinds aus den USA 860 Milliarden Yuan (rund 110 Milliarden Euro) Umsatz und 63 Milliarden Yuan (rund acht Milliarden Euro) Gewinn.

Doch die US-Sanktionen setzen dem Konzern immer stärker zu. Bereits im August musste Huawei-Manager Richard Yu eingestehen, dass aufgrund der US-Verbote die selbst entwickelten Kirin-Chips des Konzerns nicht mehr hergestellt werden können. Der taiwanische Chip-Produzent TSMC, der im Auftrag von Huawei produziert, hatte bereits seit Mai keine Bestellungen mehr angenommen.

Huawei hat im Zuge der immer schärfer werdenden Sanktionen gegen den Konzern bereits einen Vorrat an Chips angelegt – die Produktion ist bislang weitergelaufen. Dieser dürfte laut Einschätzung von Experten jedoch nur bis Anfang nächsten Jahres reichen. Was dann kommt, ist völlig unklar.

Die US-Regierung verdächtigt das Unternehmen, ein Spionageinstrument der chinesischen Regierung zu sein und Daten an Peking weiterzugeben. Wegen dieser Vorwürfe haben bereits Länder wie Australien und Großbritannien den Konzern aufgrund von Sicherheitsbedenken vom Aufbau ihres superschnellen neuen Mobilfunkstandards 5G ausgeschlossen, ein weiteres wichtiges Standbein des Konzerns.

Huawei wehrt sich gegen die Vorwürfe, Daten weiterzugeben. Tatsächlich gibt es jedoch Gesetze in China, die laut Einschätzung von Experten chinesische Unternehmen dazu verpflichten, auf Verlangen der chinesischen Behörden Daten weiterzugeben.

Die US-Sanktionen zeigen auch beim Verkauf von Smartphones bereits Wirkung. Im zweiten Quartal war Huawei zwar die Nummer eins, den weitaus größten Teil der Geräte verkauft der Konzern jedoch inzwischen auf seinem Heimatmarkt – dort geht es auch ohne Google, Facebook und Twitter.

Alternativsysteme zu Google

Außerhalb von China ist das Geschäft jedoch schwer: Nach Zahlen des Marktforschers Canalys werden nur noch rund 30 Prozent der Geräte außerhalb verkauft. Im ersten Halbjahr, so berichtete Huawei auf der Konferenz, sank der Absatz auf 105 Millionen Einheiten, während es im Vorjahreszeitraum noch 240 Millionen waren.

Huawei darf seit Mai 2019 infolge der US-Sanktionen auf den neuen Geräten nicht mehr die Dienste von Google nutzen – von der Internetsuche über den Kartendienst bis zum Play Store mit Millionen Apps. Auch viele Funktionen, die Unternehmen und Entwicklern die Arbeit erleichtern, sind nicht mehr verfügbar, zum Beispiel das Werbenetzwerk, die Bezahlfunktion oder das Anmeldesystem. Für viele Nutzer im Westen ist das ein triftiges Argument gegen die Produkte mit dem roten Logo.

Dass Huawei sich damit nicht zufriedengeben will, war auch auf der IFA Anfang September zu sehen: Auf der Messe im Kleinformat baute der Konzern den größten Stand auf – und stellte seine Alternativsysteme zu Google in den Mittelpunkt. Auf einem langen, hellen Holztisch direkt am Eingang stellte der Konzern seine Smartphones mit der eigenen Plattform App Gallery aus, dahinter flimmerte auf einem großen Fernseher ein Werbefilm in Dauerschleife: „Dein Zugang zu Millionen von Apps“, lautete eine der Botschaften.

„Huawei ist ein Weltklasse-Hardwarehersteller, aber auch gut bei Software“, sagte William Tian, Deutschlandchef der Endkonsumentensparte von Huawei, in einem Gespräch mit dem Handelsblatt. Bislang habe das Unternehmen große Beiträge zur Entwicklung von Android geleistet, nun investiere es in ein eigenes Ökosystem. So seien in der Zentrale in Shenzhen rund 3000 Entwickler dabei, als Ersatz für die Google-Dienste die Huawei Mobile Services zu entwickeln.

Im Huawei-Ökosystem – wie das Drumherum in der Technikbranche genannt wird – gibt es Plattformen für Apps, Videos und Musik, einen digitalen Assistenten und einen Browser, ein Bezahlprogramm und Cloud-Dienste. Neue Funktionen kommen mit der Zeit dazu, beispielsweise ein Scanner, der Texte auf Fotos automatisch umwandeln kann. Auch App-Entwickler sollen darauf zugreifen können.

Die Konferenz im chinesischen Dongguan diente dazu, die Entwickler dafür zu begeistern. Das Unternehmen stellte mehrere neue Funktionen vor, die es den Computerspezialisten schmackhaft machen sollen, Apps für die Plattformen zu entwickeln.

Werbekampagne für die App Gallery

Gleichzeitig spricht Huawei gezielt Unternehmen an, die beliebte Apps entwickeln – es gebe weltweit 3000, die ein Must-have seien, sagt Tian. In Deutschland seien 85 der 100 beliebtesten Programme bereits verfügbar. Der Elektronikhersteller verspricht Unterstützung bei der Anpassung an die neue Plattform, aber auch beim Marketing. „Wir helfen den Entwicklern, Kunden zu gewinnen“, sagte der Manager. „Man wird mehr und mehr Apps sehen.“ Das Start-up Finanzguru ist bereits in der App Gallery präsent.

„Huawei ist für uns eine relevante Plattform, wir wollen nicht 18 Prozent des Marktes ausschließen“, sagte Unternehmenschef Benjamin Michel dem Handelsblatt – er meint damit die Nutzer, die in Deutschland bereits ein Gerät mit dem roten Logo haben. Der Elektronikhersteller sei hilfreich dabei gewesen, die App für den Play Store von Google anzupassen: Ein Team habe in einer „profunden technischen Analyse“ die Aufgaben dokumentiert, zu denen etwa der Austausch der Zahlungsabwicklung zählte. Eine „beeindruckende Geschwindigkeit“ habe der Konzern bewiesen.

Huawei ist ein Weltklasse-Hardwarehersteller, aber auch gut bei Software. William Tian (Deutschland-Chef der Endkonsumentensparte von Huawei)

Der Aufwand war für Finanzguru, mit dessen Software Nutzer Konten und Verträge verwalten können, vergleichsweise gering: Innerhalb von zehn Entwicklertagen ließ sich die Software für die App Gallery anpassen. Das Start-up profitiert dabei von einem Trend in der Programmierung: Heute kommen sogenannte Frameworks wie React Native zum Einsatz – sie erzeugen aus einem einheitlichen Programmcode Apps für verschiedene Betriebssysteme. Davon profitieren alle, die Software für mehrere Plattformen entwickeln.

Zusätzlich hat Huawei eine Suchmaschine entwickelt, die auch andere Quellen einbezieht. Nutzer können die Programmpakete für Twitter und Facebook direkt von den Websites der Internetkonzerne herunterladen. Für die Dienste von Google gibt es jedoch nach wie vor keine Apps. Diese seien aber über den Browser verfügbar, betont Huawei-Deutschlandchef Tian.

Auf die Suchmaschine muss also niemand verzichten, wenn man nur weiß, wo man sie findet. Die App Gallery will Huawei nun einem breiten Publikum bekanntmachen. Deutschland – der wichtigste Markt außerhalb Chinas – kommt dabei eine große Bedeutung zu. Der Konzern plant daher eine TV-Werbekampagne mit dem Bruttowert von sechs Millionen Euro, hinzu kommen Plakate in Städten wie Berlin und München sowie Anzeigen im Internet. Wer sich für Technik interessiert, soll den Namen bald schon kennen.

„Es ist ein großer Sprung“

„Deutschland ist für Huawei der größte Markt außerhalb von China, wir planen hier ein langfristiges Engagement“, sagt Tian. Elf Millionen Huawei-Smartphones und Tablets sind hierzulande in Betrieb. Das Unternehmen habe hier nicht nur einen Vertrieb, sondern arbeite auch mit lokalen Partnern zusammen. Der Manager betont, dass Huawei den Wettbewerb beleben könne – derzeit gibt es mit Apple und Google ein Duopol. „Wir bieten die erste echte alternative Plattform seit zehn Jahren“, ist er überzeugt. 

Huawei wolle das „Monopol“ von Apple und Google brechen, heißt es bei der Entwicklerkonferenz in Dongguan kämpferisch. Marktbeobachter sind indes skeptisch, ob das gelingen wird. Harmony OS sei immer als Betriebssystem fürs Internet der Dinge und Geräte wie Smartwatches gedacht gewesen, sagte Analyst Ben Wood von CCS Insight dem Handelsblatt – „der Sprung zu einer voll ausgestatteten Plattform für Smartphones ist also ein großer“. Er sei daher vorsichtig, was es wirklich leisten könne.

Innerhalb von China habe das Unternehmen eine enorme Größenordnung erreicht, das erleichtere die Einführung von Harmony OS. Außerhalb des Heimatlandes sei das ohne die Apps und Dienste von Google und anderen amerikanischen Unternehmen jedoch schwer. Andere Herausforderer wie Blackberry, Samsung, Palm und Microsoft haben es nicht geschafft, das Duopol zu brechen. „Wenn die Geschichte ein Indikator ist, hat Huawei einen hohen Berg zu besteigen.“ Es ist nicht der einzige Berg, den das Unternehmen erklimmen muss.

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