Das Smart Home soll einfacher werden. Die großen Anbieter wollen darum einen gemeinsamen Standard einführen. Doch die Zertifizierung zieht sich.
Smart Home
Viele Hausbesitzer begegnen smarten Lösungen noch mit Skepsis.
Bild: Bloomberg
Düsseldorf In der Werbung klingt es gut: Die Heizungssteuerung senkt den Energieverbrauch, die Sicherheitskamera schickt Bilder von unerwarteten Besuchern aufs Smartphone, das Licht leuchtet je nach Bedarf gemütlich oder grell. In der Wirklichkeit finden viele Verbraucher digitale Haustechnik jedoch so verwirrend, dass sie ihr Zuhause lieber nicht damit ausrüsten.
Das könnte sich jedoch in den nächsten Monaten ändern. Ein neuer Standard namens Matter verspricht eine große Vereinfachung bei der Einrichtung und Vernetzung. Ab dem Herbst sollen erste Produkte damit verfügbar sein – auf der Elektronikmesse Ifa in Berlin, die am Dienstag endet, sind erste Beispiele zu sehen.
Die Branche ist optimistisch, Amazon spricht von einer „wichtigen Innovation“, Google gar von einer „neuen Ära“. Auch Experten sehen die Chance für einen Neuanfang: „Matter hat das Potenzial, zum Game-Changer in der Smart-Home-Branche zu werden“, sagt Bernd Kotschi, Gründer der Strategieberatung Kotschi Consulting. Der Standard könne „erheblich dazu beitragen, die Kaufbarrieren für Kunden beiseitezuräumen“.
Verbraucher müssen sich allerdings gedulden: Die Zertifizierung der ersten Geräte zieht sich hin, das Matter-Logo mit den drei Pfeilen dürfte erst im kommenden Jahr verbreitet auf den Verpackungen zu sehen sein – der Beweis, dass die Vernetzung des Zuhauses tatsächlich einfacher wird, steht also noch aus.
Bislang ist das Smart Home eine verwirrende Angelegenheit: Die Hersteller nutzen Standards wie WLAN, Bluetooth, Z-Wave oder Zigbee. Auf den Packungen befinden sich die Logos von Systemen wie Alexa, Homekit und Google Assistant. Und für die Steuerung bedarf es zahlreicher eigener Apps.
Unter den Verbrauchern ist die Komplexität einer der meistgenannten Gründe, sich gegen ein smartes Zuhause zu entscheiden. In einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom erklärten 28 Prozent der bisherigen Nicht-Nutzer, dass ihnen die Bedienung zu kompliziert erscheint – nur Sicherheits- und Datenschutzbedenken spielen eine größere Rolle.
Nun gibt es mit Matter einen neuen Versuch, eine Universalsprache zu etablieren. Dabei handelt es sich um einen Verbindungsstandard, über den Produkte verschiedener Hersteller miteinander kommunizieren können, und zwar übers lokale Netzwerk – also auch dann, wenn es Probleme mit der Internetverbindung gibt.
Aus einzelnen Geräten sollen Netzwerke werden. Ein Beispiel: Der Tür- oder Fenstersensor des einen Herstellers kann Daten an das Thermostat eines anderen senden – und so veranlassen, dass beim Lüften die Heizung heruntergedreht wird. Bislang ist das zwar vielleicht über Programmierschnittstellen möglich, aber sehr umständlich.
Der entscheidende Unterschied zu bisherigen Standards und Protokollen fürs Smart Home: Matter wird von rund 270 Unternehmen unterstützt, darunter die großen Plattformbetreiber Amazon, Apple, Alphabet und Samsung, bekannte Marken wie Ikea, Miele und Sonos, zudem Spezialisten wie Assa-Abloy, Busch-Jäger und Viessmann.
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Die Zusammenarbeit der Rivalen, die jahrelang an ihren eigenen Technologien getüftelt haben, dürfte aus einer einfachen Erkenntnis resultieren. „Die ganze Branche ist sich bewusst, dass das Smart Home noch nicht sein Potenzial erreicht hat“, sagt Jon Harros von der Connectivity Standards Alliance (CSA), die den Standardisierungsprozess leitet.
Die große Hoffnung: Wenn Matter dafür sorgt, dass das Smart Home im Massenmarkt an Beliebtheit gewinnt, dann profitieren alle in der Branche davon. Auch und gerade die großen Plattformen.
Harros argumentiert zudem, dass eine Vereinheitlichung die Entwicklungsarbeit erleichtert. „Bei der Grundlagentechnologie lohnt es sich nicht, in den Wettbewerb zu treten – die großen Unternehmen bieten ja alle über ihre Apps spezielle Funktionen an, mit denen sie sich differenzieren.“
Der neue Standard könnte den Markt beleben. Bislang müssen Hersteller ihre Produkte für mehrere Ökosysteme zertifizieren, wenn sie alle Verbraucher erreichen wollen – also etwa Homekit von Apple und Alexa von Amazon. Dieser erhebliche Aufwand wird mit dem neuen Standard entfallen. Zugleich werden weitere technische Parameter vereinheitlicht.
Das hat zwei Effekte: Unternehmen wie Tado, Eve oder Signify, die bereits seit Jahren am Markt sind, können ihre Produkte leichter für mehrere Ökosysteme zertifizieren. Hinzu komme, so Smart-Home-Experte Kotschi: „Aufgrund der niedrigen Hürden dürfte eine Vielzahl neuer Anbieter in den Markt drängen. Das wird den Wettbewerb anfeuern.“
Die Folge: Es gibt mehr Produkte, mehr Auswahl – und damit niedrigere Preise als heute.
Zugleich erleichtert Matter den Elektronikhändlern die Vermarktung, online wie offline. Anstatt die verschiedenen Systeme mit ihren eigenen Logos erklären zu müssen, können Unternehmen einfach Pakete aus verschiedenen Produkten schnüren. Ein Vorteil bei der Werbung, betont Kotschi: „Der Handel kann viel offensiver in die Vermarktung von Anwendungen und Lösungen gehen.“
Wie es laufen kann, zeigt exemplarisch Eve. Der Münchener Elektronikhersteller, der sich auf das Smart Home spezialisiert hat, will 14 Geräte per Softwareupdate nachrüsten, und zwar bereits ab dem Herbst. Produkte, die sich bislang nur mit Apple-Geräten steuern lassen, können nun auch mit Alexa oder dem Google Assistant angesprochen werden.
Bis die gesamte Branche nachzieht, dürfte allerdings noch etwas Zeit vergehen. Die CSA hat den Start mehrmals verschieben müssen – die Entwicklung eines Standards sei komplex, betont Vorstandsmitglied Harros: „Die Unternehmen müssen sich auf jeden Teil der Spezifikation einigen.“ Dafür gehe die Arbeit schnell voran.
Derzeit seien 50 Unternehmen dabei, ihre Produkte zu testen, berichtet der Manager, der als Direktor für Zertifizierungs- und Prüfprogramme in den Prozess involviert ist. Er geht davon aus, dass erste Geräte im Weihnachtsgeschäft verfügbar sein werden, deutlich mehr im kommenden Jahr.
Hinzu kommt: Nicht in allen Kategorien ist die Standardisierung abgeschlossen. Für die Steuerung von Lampen, Klimaanlagen, Fernsehern und Sensoren haben Arbeitsgruppen bereits die Grundlagen gelegt, aber beispielsweise nicht für Sicherheitskameras. Der Start der neuen Ära braucht noch etwas Zeit.
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