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20.01.2021

13:11

Open RAN

Geheimpapier: Milliarden für neue Mobilfunktechnik sollen Abhängigkeit von Huawei verringern

Von: Daniel Delhaes, Moritz Koch, Stephan Scheuer

PremiumTelekom und die Konkurrenz wollen mit dem neuen Standard Open RAN unabhängiger von einzelnen Lieferanten werden. Dafür bekommen sie eine kräftige Anschubhilfe vom Bund.

Was ist 5G? – Vorteile, Risiken & aktueller Stand des 5G-Netzes dpa

Mobilfunkmast

Der Ausbau der fünften Mobilfunkgeneration 5G dauert noch an.

Berlin, Düsseldorf Europas mächtigste Telekommunikationskonzerne sind eigentlich Rivalen. Zur Stärkung einer Zukunftstechnik schließen sich jetzt aber die Schwergewichte Deutsche Telekom, Orange aus Frankreich, Vodafone aus Großbritannien und Telefónica aus Spanien zusammen.

Am Mittwoch veröffentlichten sie eine Absichtserklärung zur engen Zusammenarbeit. Das Ziel: Sie wollen den offenen Standard „Open RAN“ voranbringen.

Hinter dem kryptischen Namen verbirgt sich die Hoffnung auf eine völlig neue Architektur in der Mobilfunk-Netztechnik. Heute müssen Betreiber wie die Telekom, Vodafone oder Telefónica bei den Ausrüstern wie Ericsson, Nokia oder Huawei komplette Paketlösungen einkaufen.

Die Elemente sind dabei nicht austauschbar. Wer an einem Funkmast eine Basisstation von Huawei verwendet, muss meist auch Antennen von Huawei verbauen. Will ein Betreiber zu einem anderen Anbieter wechseln, kann er nicht einfach nur eine neue Antenne verbauen, sondern muss große Teile der Infrastruktur ersetzen.

Mit Open RAN soll sich das ändern. Die Ausrüster sollen jetzt gezwungen werden, ihre Komponenten austauschbar zu machen. Alle Geräte und auch die Software, um sie zu steuern, sollen kompatibel werden. „Open RAN hat die Kraft, europäische Tech-Innovationen zu stimulieren“, sagte Vodafone-Technikchef Johan Wibergh.

Für das Vorhaben gibt es mächtige Unterstützung. Die Bundesregierung will den offenen Standard finanziell vorantreiben. Sie hat im letzten Konjunkturpaket zwei Milliarden Euro für die Open-RAN-Technik bereitgestellt – und nach Informationen des Handelsblatts jetzt die Förderung auf den Weg gebracht.

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Das Bundesforschungsministerium erhält für Projekte 635 Millionen Euro, das Verkehrsministerium 625 Millionen, das Wirtschaftsressort 590 Millionen und das Innenministerium 150 Millionen, wie aus einem vertraulichen Konzept hervorgeht, das dem Handelsblatt vorliegt. Konkret wurden 15 Projekte identifiziert, die gefördert werden sollen.

Bund und Unternehmen arbeiten entschlossen am neuen Standard, der auch eine Reaktion auf die Bedenken gegenüber dem chinesischen Ausrüster Huawei ist. „Die aktuelle Debatte rund um Huawei und 5G hat gezeigt, wie stark unsere Netze von einer kleinen Anzahl von Herstellern abhängen“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer dem Handelsblatt.

Deshalb strebt die Bundesregierung „technologische und digitale Souveränität“ an. Die Open-RAN-Technologie biete die Chance dazu. Gleichzeitig eröffne sich die Möglichkeit, „einen neuen Industriezweig mit völlig neuen Geschäftsmodellen aufzubauen“, sagte Scheuer.

Der chinesische Netzausrüster Huawei wird von den USA und mehreren Staaten in Europa als Sicherheitsrisiko eingestuft. In Deutschland wird eine Begrenzung der Ausrüstung von Huawei erwogen. Ohne einen offenen Standard kämen dadurch erhebliche Mehrkosten auf die Netzbetreiber zu.

Deutschland verteilt Milliardensummen für die Technik

Profitieren sollen Forschungseinrichtungen, Start-ups sowie mittelständische Unternehmen. Die Ministerien wollen laut dem Konzept „innovative Unternehmen bei der Entwicklung und Erprobung neuer, softwaregesteuerter Netztechnologien gezielt fördern. Zugleich wollen wir den Markteintritt für solche innovativen Netztechnologien erleichtern.“

Obwohl es mehr Aufwand bedeutet, ein virtuelles Netz mit Komponenten von unterschiedlichen Herstellern zu betreiben, wollen die Netzbetreiber dennoch umsteigen.

Telefónica will in Deutschland noch in diesem Jahr 1000 Mobilfunkstandorte mit Open RAN in Betrieb nehmen. „Wir sind Vorreiter“, sagte Telefónica-Deutschlandchef Markus Haas. Die Firma wolle möglichst früh Erfahrung mit der Technik sammeln.

Open RAN ist aber mehr als ein Testfeld für Telekommunikationsfirmen. Der Standard ist zu einem Kampffeld für Geopolitik geworden. „O-RAN hat sich zu einem hochpolitischen Thema entwickelt, da es von politischen Entscheidungsträgern in den USA und anderswo, einschließlich Japan, als potenzielle kurzfristige Alternative zum führenden chinesischen Mobilfunkausrüster Huawei gesehen wird“, sagt Paul Triolo, Technologieexperte der Eurasia Group.

Eine wachsende Schar von Ländern hat im vergangenen Jahr die Verwendung von Huawei-Geräten eingeschränkt oder verboten, darunter Großbritannien und Schweden. Auch Deutschland könnte dem Unternehmen im kommenden Jahr enge Grenzen setzen. 

Heute steckt Huawei-Technik in allen drei Mobilfunknetzen in Deutschland: Ob Telekom, Vodafone oder Telefónica, alle setzen auf den Konzern aus dem südchinesischen Shenzhen. Sollten sie künftig dazu gezwungen werden, Huawei aus ihren Netzen zu reißen, stünde ein aufwendiger und teurer Prozess an. Sind die Netze bereits auf Open RAN umgestellt, könnte das leichter gehen.

Zudem hoffen die Betreiber, dass Open RAN neuen Firmen den Zugang ermöglicht. Denn heute greifen viele Netzbetreiber in Europa neben den Ausrüstern Huawei und ZTE aus China eigentlich nur auf die europäischen Firmen Ericsson und Nokia zurück. Sollten die chinesischen Ausrüster ausgeschlossen werden, blieben nur zwei Anbieter übrig.

Mit Szenarien von mangelnder Auswahl, Lieferengpässen und drohenden Netzausfällen haben die Betreiber bei der Bundesregierung für den Kurswechsel geworben. Dabei liegt ein flächendeckendes Open RAN noch in weiter Zukunft. „Hier ist ein 5G-Hype entstanden, der noch weit mehr Forschung und Entwicklung erfordert, als bislang angenommen wird“, sagte Thomas Magedanz, beim Fraunhofer-Institut Fokus in Berlin zuständig für softwarebasierte Netzwerke. „Es wird viele, viele Jahre dauern, bis hier ein stabiles Ökosystem entsteht.“

Europäische Anbieter Ericsson und Nokia uneins über Technik

Die europäischen Netzausrüster Ericsson und Nokia sind im Umgang mit Open RAN gespalten. Fallen die Paketlösungen weg, droht den Firmen Geschäft wegzubrechen. Schon in der Vergangenheit haben sie sich wenig begeistert gezeigt, wenn es darum ging, den Markt zu öffnen. Nokia unterstützt die Technik dennoch.

Ericsson ist hingegen zurückhaltend. Im Gespräch mit dem Handelsblatt warb Ericssons Netzwerk-Vorstand Fredrik Jejdling für Paketlösungen. „Gute Qualität und Kosteneffizienz können über große Skalen erreicht werden, was schon heute acht Milliarden Mobilfunkverbindungen ermöglicht.“

Bei einem zerstückelten Markt mit vielen kleinen Anbietern sei die Lage unklar. „Wir haben schon heute gute Lösungen für 5G im Angebot. Bis zur Markreife von O-RAN werden noch Jahre vergehen“, sagte Jejdling.

Deutsche Start-ups, die sich auf 5G-Technologie spezialisiert haben, begrüßen, dass die Bundesregierung heimische Mobilfunkausrüster fördern will. Dennoch gibt es Skepsis. „Das Ambitionsniveau sollte sich nicht darauf beschränken, das Geld auszugeben – es muss darum gehen, hier Kompetenzen in Form von Firmen aufzubauen“, sagt David Bachmann, CEO des Hamburger Unternehmens NG Voice.

„Ein Klein-Klein von Einzelinitiativen nach dem Gießkannenprinzip ist der falsche Weg“, sagte Bachmann. Er fordert eine industriepolitische Strategie, die zwei Fragen beantwortet: „Welche Fähigkeiten fehlen uns in Europa, um bei der nächsten Generation von software- und cloudbasierten 5G-Lösungen mithalten zu können? Wie bringen wir innovative Start-ups in diesem Bereich mit Nokia und Ericsson zusammen?“

In der Branche geht niemand davon aus, dass Open RAN schon bald die bestehenden Netze ersetzen wird. Dafür steckt die Technik noch zu sehr in den Anfängen. Selbst innerhalb der Telekom gibt es Skepsis. Die US-Tochter des Konzerns, T-Mobile US, treibt derzeit ein ambitioniertes 5G-Programm voran.

US-Techkonzerne drängen in das Geschäft

Der Architekt des Ausbaus, Netzchef Neville Ray, äußerte sich in einem Gespräch mit Investoren skeptisch zu der Technik. „Für uns ist die Technik noch nicht reif für die Primetime“, sagte Ray.

Derzeit kaufe er Paketlösungen ein. Stimme etwas nicht, könne er Ericsson, Nokia oder andere Ausrüster um Lösungen bitten. Bei Open RAN sehe das anders aus. „Da müssen die Betreiber viel mehr stemmen“, sagte Ray. Die Idee besserer Netze zu geringeren Kosten sei derzeit zwar ein Versprechen, aber noch keine Realität von Open RAN.

Zudem gibt es Zweifel, wer die größten Gewinner der Technik sein könnten. Bei ihren Werbegesprächen für die Technologie in Berlin stellten die Netzbetreiber heraus, gerade deutsche und europäische Start-ups könnten profitieren. Ob das gelingt, ist aber völlig unklar. Auch US-Konzerne und chinesische Anbieter drängen auf den Markt – auch Huawei unterstützt Open-RAN-Ansätze.

Selbst die Deutsche Telekom machte die Erfahrung, dass US-Konzerne, die sich lange aus der Netztechnologie rausgehalten hatten, heute ihre Strategie ändern. Deutsche Telekom Capital Partners war lange an der Firma Affirmed Networks beteiligt. Sie liefert Lösungen für das in der Telekommunikation besonders sensible Kernnetz. Im März vergangenen Jahres kaufte Microsoft die Firma ganz auf. In Marktkreisen war die Rede von einem Kaufpreis von 1,3 Milliarden US-Dollar.

Auch das japanische Unternehmen Rakuten schwingt sich zu einem 5G-Anbieter mit globaler Ambition auf. Europa läuft Gefahr, die Entwicklung zu verschlafen. Microsoft und Rakuten seien auch in Europa aktiv – und für viele europäische Start-ups seien sie „eine interessante Option, wenn hier nichts vorangeht“, sagt Bachmann. „Europäische digitale Souveränität muss nicht Autonomie heißen – sie kann auch im Schulterschluss mit echten Partnern des Vertrauens gelingen. Zum Beispiel in einer europäisch-japanischen Technologiekooperation zu 5G.“

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