EU-Kommissar Breton stellte die Pläne vor, ohne auf Vorschläge beauftragter Konsortien zu warten. Der Verdacht: Etablierte Unternehmen werden bevorzugt.
SpaceX Falcon 9
In den USA ist die junge Firma SpaceX ein wichtiger Dienstleister der Nasa. Ein ähnliches Modell schlagen Start-ups auch für das europäische Satelliteninternet vor.
Bild: imago images/ZUMA Wire
Düsseldorf, Paris „Europa muss sein Schicksal in die Hand nehmen und neue Grenzen erobern“, sagte Emmanuel Macron am Mittwoch beim Treffen der für Weltraumpolitik zuständigen EU-Minister in Toulouse. „Ohne die Beherrschung des Weltraums gibt es keine technologische Souveränität.“
Neue Entwicklungen in der Raumfahrt kommen aktuell häufig von privaten Unternehmen wie SpaceX und Blue Origin aus den USA. Europäische Unternehmen und die Europäische Weltraumorganisation Esa sind auf dem internationalen Markt aktuell kaum sichtbar.
Damit sich das ändert, hatte der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Dienstag die europäische „Secure Connectivity Initiative“ vorgestellt. Ein dichtes Netz aus Satelliten im unteren Orbit soll ganz Europa mit schnellem Internet versorgen und auch für die Militärkommunikation geeignet sein.
Doch der Zeitpunkt der Bekanntmachung und die funktionalen Vorgaben irritieren die jungen Raumfahrtunternehmen, sogenannte New-Space-Firmen, die das Vorhaben wesentlich mittragen sollen. „Die Art und Weise lässt nichts Gutes ahnen“, sagt Walter Ballheimer, Chef des Berliner Satellitenherstellers Reflex.
Denn die Start-ups, die sich im Auftrag der EU in zwei Konsortien zusammengetan haben, werden erst Mitte 2022 ihre Pläne für die Satellitenkonstellation vorlegen. Binnenmarktkommissar Breton geht lange vorher an die Öffentlichkeit. „Das ist ein unorthodoxes Vorgehen von der EU-Kommission“, sagt Matthias Wachter, Raumfahrtexperte vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Der Verdacht der New-Space-Firmen: Bretons jetziger Vorschlag basiere vor allem auf den Ideen eines dritten – stark französisch geprägten – Konsortiums. Diesem gehören etablierte Raumfahrtunternehmen wie Airbus, Thales, Arianespace oder OHB an, die bereits vor Wochen ihren Plan vorlegten. Sie verfügen über einen beträchtlichen Zeitvorsprung, weil EU und Breton anfangs nur sie damit beauftragt hatten, ein Angebot zu erstellen. Erst nach massiver Kritik von Start-ups und der Intervention der deutschen Regierung schwenkte die EU um und beauftragte auch zwei New-Space-Konsortien. Eines davon ist das Konsortium „Unio“, zu dem zwölf Firmen gehören, unter anderem Isar Aerospace, Mynaric und Reflex.
In erster Linie soll das Satellitennetz eine schnelle Internetverbindung vor allem in ländlichen Gebieten gewährleisten. Für hohe Bandbreite und schnelle Übertragung sollen die Satelliten auf einer niedrigen Erdumlaufbahn platziert werden. Diese Konstellation ist allerdings technisch anspruchsvoll und teuer – die Satelliten verglühen hier nach drei bis fünf Jahren und müssen ersetzt werden.
Doch Breton will noch mehr: Die Satelliten sollen nicht nur Internetverbindungen ermöglichen, sondern auch besonders hohe Sicherheit bieten. Nur so können sie für die Begleitung von Militäraktionen genutzt werden oder Grenzen und Meere überwachen, wie es in dem EU-Vorschlag heißt. „Der Binnenmarktkommissar Thierry Breton will bei der europäischen Satellitenkonstellation eine One-size-fits-all-Lösung“, sagt BDI-Experte Wachter.
Doch für militärische Anwendungen müssten die Satelliten viel höhere Sicherheitsanforderungen erfüllen. Das könnte dazu führen, dass in jedem Satelliten zwei voneinander getrennte Hardwaresysteme verbaut werden müssten. „Sicherheit ist wichtig, aber das ist eine künstliche Verkomplizierung des Systems, die in die Hände der etablierten Unternehmen spielt“, sagt Daniel Metzler, Chef vom Raketenhersteller Isar Aerospace.
Denn je mehr die Satelliten leisten müssen, desto größer und schwer werden sie. Neue Anbieter wie Isar Aerospace könnten die Satelliten dann vielleicht nicht mehr mit ihren Microlauncher in die Umlaufbahn schicken. Dabei wäre das für die Münchener ein „sehr großer Auftrag“, wie Metzler sagt. 30 bis 50 Prozent der Kosten für ein Satellitennetz entfallen auf die Raketenstarts.
Schwerere Satelliten könnte dagegen das etablierte Trägerraketen-Unternehmen Arianespace mit der neuen Ariane-6-Rakete transportieren. Dabei kämpfen die Franzosen sei Jahren mit Verzögerungen.
Ballheimer vom Berliner Start-up Reflex fürchtet, ein europäisches Satelliteninternet nach den Vorgaben von Breton könnte überfrachtet und kommerziell nicht konkurrenzfähig sein. „Dann gehen die Aufträge von deutschen Unternehmen an SpaceX oder andere Anbieter.“
Breton plant die Finanzierung des Sechs-Milliarden-Euro-Projekts über eine „Public-Private Partnership“ zwischen der EU, der Europäischen Weltraumorganisation und privaten Investoren. Die Start-ups sehen das kritisch. Frühere Raumfahrtprojekte dieser Art wie das Navigationssystem Galileo oder die Rakete Ariane 6 dauerten viel länger und wurden wesentlich teurer als ursprünglich geplant. „Es fehlt der Wettbewerb“, sagt Ballheimer von Reflex.
Der Vorschlag des New-Space-Konsortiums „Unio“ sieht ein rein marktwirtschaftliches Modell vor. Sie wollen die Satellitenkonstellation in privater Hand aufbauen. Die EU wäre der Ankerkunde, würde sich an der Finanzierung beteiligen und dafür Gegenleistungen wie die Nutzung der Satelliten auf bestimmte Zeit erhalten. Ähnlich geht die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa mit SpaceX und anderen neuen Anbietern um.
Die Start-ups hoffen nun auf Unterstützung von der deutschen Politik. Rund 120 New-Space-Start-ups sind in Deutschland in der Zukunftsbranche aktiv. Aber: „Als ich den Koalitionsvertrag gelesen habe, war ich schon sehr ernüchtert“, sagt Isar-Aerospace-Chef Metzler. „Die neue Regierung hat die Wichtigkeit von Raumfahrt noch nicht erkannt.“
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