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23.11.2020

04:00

ST Microelectronics, Infineon, NXP

Europas Chipindustrie gerät zwischen die Fronten der Supermächte

Von: Joachim Hofer, Torsten Riecke

China sorgt für Wachstum in der Branche. Doch US-Sanktionen könnten das Geschäft schnell einbrechen lassen. Und das ist nicht das einzige Problem.

China ist der wichtigste Markt für die Halbleiterindustrie weltweit – und gleichzeitig der risikoreichste. imago images/VCG

Halbleiter

China ist der wichtigste Markt für die Halbleiterindustrie weltweit – und gleichzeitig der risikoreichste.

München Europas Chiphersteller blicken eigentlich auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Doch ihre guten Zahlen überdecken ein gravierendes Problem: Die Unternehmen geraten zunehmend zwischen die Fronten des amerikanisch-chinesischen Technologiekonflikts: „Es tobt ein Kampf um die Technologieführerschaft weltweit“, sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss dem Handelsblatt. Und das hat Folgen für die europäischen Hersteller.

Sie brauchen China als größten Halbleitermarkt, müssen aber den Anweisungen der Amerikaner Folge leisten. So haben die USA westlichen Halbleiterfirmen verboten, Huawei, den drittgrößten Kunden der Branche, zu beliefern. Folgen weitere Sanktionen gegen chinesische Firmen, könnte dem Aufschwung der Branche ein tiefer Sturz folgen, so die Sorge.

„30 Quartale in Folge stieg unser Umsatz mit Huawei“, sagte Jean-Marc Chery, der Chef von ST Microelectronics. Im laufenden Quartal wird der Chiphersteller keinen Cent mehr an dem chinesischen Elektronikkonzern verdienen.

Auf eine Kehrtwende durch den künftigen US-Präsidenten Joe Biden wollen sich die Hersteller nicht verlassen: Sie fordern, dass sich die EU klar für freien Handel einsetzt. „Wir brauchen einen globalen Markt“, sagte Chery, „und die Politik sollte alles unternehmen, dass das so bleibt.“

Technonationalismus in den Hauptstädten

Die Chipbranche ist alarmiert. „Die technonationalistischen Trends, die in mehreren Hauptstädten der Welt an Bedeutung gewinnen, sind eine Herausforderung für die Halbleiterindustrie“, warnte jüngst Jimmy Goodrich, Vizepräsident für globale Politik bei der in Washington ansässigen Semiconductor Industry Association.

So sehen das viele in der Branche. „Die friedliche Welt des multilateralen Handels ist bedroht“, fürchtet Gunther Kegel, Chef des Mannheimer Sensorherstellers Pepperl + Fuchs, der jüngst Präsident des deutschen Branchenverbands ZVEI wurde. Viel Hoffnung, dass sich mit dem neuen Präsidenten Biden an dem Kurs gegenüber China etwas ändert, hat Kegel nicht: „2021 wird im Zeichen des Kampfs um die technologische Vorherrschaft zwischen China und den USA stehen, das wird viel schwieriger als Corona.“

Es sei daher wichtig, dass die EU als ein Block nach außen auftrete und auch das Wort erhebe. Kegel: „Schon heute werden uns viele zusätzliche Zölle aufgehalst bei Produkten, die wir nach China und in die USA exportieren.“ Dabei sei es einfach nicht wirtschaftlich, auf jedem Kontinent zu produzieren. „Jedes unserer Werke fertigt für den Weltmarkt.“

Fruchten die Appelle nicht, müsse als Drohkulisse auch der europäische Markt herhalten. „Wir müssen nicht jedem freien Zugang gewähren“, unterstreicht Kegel.

Momentan können es die Chipkonzerne noch verkraften, dass die USA es ihnen verboten haben, Huawei als Kunden zu beliefern: Andere Auftraggeber sorgen für ein florierendes Geschäft. So geht es trotz Corona aufwärts in der europäischen Chipindustrie. Der Umsatz von NXP ist im abgelaufenen Quartal um ein Viertel gegenüber dem Vorquartal in die Höhe geschossen.

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Infineon wies statt roter Zahlen wie im Frühjahr einen Quartalsgewinn von 109 Millionen Euro aus. Das Problem dabei: Viele Kunden stammen so wie Huawei aus der Volksrepublik. „China ist zurück, das Land treibt den Aufschwung der Chipbranche“, erläuterte ST-Chef Chery.

Fällt China aus, wird es eng

Fällt China aus, weil die USA die Sanktionen ausweiten, wird es eng. Das Land wird immer bedeutender für Europas Halbleiterindustrie. Beispiel Infineon: Deutschlands größter Chipproduzent erzielte im vergangenen Geschäftsjahr 29 Prozent vom Umsatz in China, zwei Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Keine andere Nation ist so wichtig für den Dax-Konzern.

Es ist keine Option, sich über die amerikanischen Vorschriften einfach hinwegzusetzen. „Das ist so, wir haben das zur Kenntnis zu nehmen“, sagte Chery. Denn Europa ist auf die amerikanischen Halbleiterhersteller angewiesen – und daher erpressbar.

„Europa hat in den letzten Jahrzehnten in diesem Sektor enorm an Boden verloren und ist nun in hohem Maße von amerikanischen und asiatischen Herstellern abhängig, wenn es um den Zugang zu Mikrochips der Spitzenklasse geht“, konstatiert eine interne Analyse von Experten, die die Bundesregierung in Technologiefragen beraten. Die Analyse liegt dem Handelsblatt vor.

Auf dem High-End-Mikrochip-Markt dominierten Akteure aus den USA und Ostasien alle Produktionsstufen. Nur in bestimmten Nischenbereichen wie dem Design von Automobilchips seien einige europäische Anbieter wie die niederländische NXP Semiconductors und der Münchener Infineon-Konzern weiterhin führend.

Die Chipindustrie, hier ein Mitarbeiter in einer Fabrik von NXP, profitiert vom Boom der Elektroautos in China. via REUTERS

Chipfabrik

Die Chipindustrie, hier ein Mitarbeiter in einer Fabrik von NXP, profitiert vom Boom der Elektroautos in China.

Obwohl EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ausdrücklich betont habe, wie wichtig „die Beherrschung und der Besitz von Schlüsseltechnologien wie der kritischen Chiptechnik“ sei, stehe die Halbleiterindustrie im Vergleich zu anderen Technologiebereichen auf der Agenda der EU und ihrer Mitgliedstaaten relativ weit unten, kritisieren die Politikberater und empfehlen eine dreistufige Strategie: Kurzfristig müsse Europa seine vorhandenen Chipproduktionskapazitäten und die hochproduktiven Unternehmen der Halbleiter-Wertschöpfungskette wie den Maschinenhersteller ASML oder Infineon vor ausländischen Übernahmen schützen. „Hier sollte die EU zum Beispiel ihre neu hinzugekommenen Instrumente im Bereich des Screenings ausländischer Investitionen einsetzen“, heißt es in der internen Analyse.

Offene Standards würden Europa helfen

Mittelfristig müsse die EU private Unternehmen beim Markteintritt in aufkommende neue Mikroprozessoranwendungen, zum Beispiel Spezialmikrochips zum Training von KI-Algorithmen (KI-Chips), unterstützen. Auch bei spezifischen Anwendungen im Internet der Dinge und in der Industrieproduktion könne Europa seine industriellen Stärken ausspielen.

Langfristig gelte es, offene Standards in Chipdesign und der Chiparchitektur zu fördern. „Europa fehlt es in dieser Hinsicht an geistigem Eigentum, und es verliert durch den Brexit das britische Unternehmen ARM, seinen einzigen großen globalen Akteur im Chipdesign.“ Offene Standards könnten dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen zu vereinheitlichen und die Markteintrittsbarrieren für europäische Unternehmen zu verringern. „Dies wirkt auch dem allmählichen Entkopplungstrend entgegen“, schreiben die Berater der Bundesregierung.

Ohne Halbleiter fährt kein Auto, hebt kein Flugzeug ab und funktioniert keine Kaffeemaschine. Genau deshalb nutzt US-Präsident Donald Trump die Chips so gern als Waffe in seinem Kampf gegen China: Mit einer einzigen Branche lassen sich die Fabriken einer ganzen Volkswirtschaft lahmlegen. Und die chinesische Chipindustrie ist erst im Aufbau.

Der Münchener Chiphersteller errichtet seine neueste Fabrik in Österreich und nicht in China, seinem größten Markt. Reuters

Infineon

Der Münchener Chiphersteller errichtet seine neueste Fabrik in Österreich und nicht in China, seinem größten Markt.

In diesen Tagen zeigt sich noch stärker als sonst, in welcher Zwickmühle die Europäer stecken. Für die drei größten europäischen Halbleiterkonzerne, ST Microelectronics, Infineon und NXP, ist die Autobranche einer der Schlüsselkunden.

Das Autogeschäft im Westen lahmt. Die Chinesen legen sich derweil massenhaft neue Wagen zu. Der Absatz von Elektroautos schoss im Oktober um 105 Prozent in die Höhe auf 160.000 Stück. Die E-Fahrzeuge sind besonders attraktiv für die Halbleiterproduzenten, weil sie wesentlich mehr Chips enthalten als Autos mit Verbrennungsantrieb. „Die Leute in China nutzen wieder mehr eigene Autos, damit sie sich nicht mit anderen im Nahverkehr drängen müssen“, so Kurt Sievers, Chef des niederländischen Wettbewerbers NXP.

Die Chipbranche steht derzeit trotz Pandemie insgesamt gut da, nicht zuletzt wegen der robusten Auftragslage aus China. Der globale Halbleitermarkt werde dieses Jahr um rund drei Prozent auf 424 Milliarden Dollar wachsen, erwartet der deutsche Branchenverband ZVEI.

Jeder dritte Dollar stammt aus China

Mehr als jeden dritten Dollar erwirtschaftet die Branche in China. Amerika steht für gut 20 Prozent der Erlöse, die dieses Jahr auf rund 424 Milliarden Dollar klettern dürften. Europa kommt unterdessen auf nicht einmal zehn Prozent.

Das heißt: China und die USA sind gleichermaßen bedeutsam für die europäischen Chiphersteller. Sie können sich nicht einfach auf eine Seite schlagen. Und der Heimatmarkt ist zu klein, um zu überleben.

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Auch das muss sich aus Sicht der Hersteller ändern. „Wir tun gut daran, in Europa unseren eigenen Markt für Halbleiter zu entwickeln“, fordert ST-Chef Chery.

Immerhin, die EU hat inzwischen den Wert einer eigenen Chipindustrie erkannt. So unterstützt Brüssel seit diesem Sommer die „European Processor Initiative“. In Europa werden zwar viele Chips entwickelt, aber keine leistungsfähigen Prozessoren, wie sie etwa Intel, AMD oder Nvidia anbieten.

Dieses Programm soll das nach Ansicht von Kommissionspräsidentin von der Leyen ändern: „Wir wollen, dass die europäische Industrie unseren eigenen Mikroprozessor der nächsten Generation entwickelt, der es ermöglicht, die wachsenden Datenmengen effizient und sicher zu verarbeiten. Darum geht es bei der europäischen digitalen Dekade.“

Infineon-Chef Ploss beklagt nicht nur die Sanktionen der USA gegenüber China. Er hält auch die Volksrepublik nicht für fair: „Es existieren nicht dieselben Wettbewerbsbedingungen. Chinas Industrie wird mit Zuschüssen unterstützt.“

Die Chiphersteller teilen zudem durchaus viele Bedenken der US-Regierung, vor allem beim Schutz des geistigen Eigentums in China. Daher baut Infineon sein neuestes Werk in Österreich – und nicht in der Volksrepublik, wo es angesichts der überragenden Bedeutung des Landes für den Konzern stehen müsste. Ihr wertvolles Produktions-Know-how sehen die Münchener in Villach besser gewahrt als in Fernost.

Am Ende würden angesichts der Spannungen alle verlieren, ärgert sich NXP-Chef Sievers: „Der Handelsstreit verlangsamt die Innovation, weil wir nicht global zusammenarbeiten. Das ist ein Jammer.“

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