Frankreichs Präsident will Europa zur digitalen Souveränität führen – durch den Aufbau von eigenen Tech-Konzernen. An seiner Seite: die deutsche Gründerszene.
Emmanuel Macron beim „Scale-up Europe“-Event
Frankreichs Präsident schwingt sich zum digitalen Antreiber für Europa auf.
Bild: Reuters
Paris Emmanuel Macron will führende Technologiekonzerne in Europa aufbauen. „Es wird keine Souveränität geben ohne eigene Technologie-Champions“, sagte der französische Präsident Dienstagabend vor mehreren Digitalministern und führenden Köpfen der europäischen Start-up-Szene in Paris. Bis 2030 will er deshalb mindestens zehn europäische Tech-Firmen sehen, die mit mehr als 100 Milliarden Euro bewertet werden. Aktuell gibt es drei.
In Frankreich sorgt Macron schon länger für Aufbruchsstimmung bei den Start-ups. Jetzt schwingt er sich zum digitalen Antreiber für Europa auf. Wenn Frankreich Anfang 2022 die EU-Präsidentschaft übernimmt, soll die Förderung neuer Technologieunternehmen Kernthema werden. Es sei ein „essenzielles politisches Thema“, sagte Macron und führte aus: Es geht um die Führung bei Innovationsfragen, das internationale Machtgleichgewicht und den Wohlstand in Europa.
Macron mobilisiert auch die deutsche Start-up-Szene. Zahlreiche Vertreter kamen am Dienstag in den französischen Präsidentenpalast, darunter Verbandspräsident Christian Miele, Personio-Gründer Hanno Renner und Sennder-Chef David Nothacker.
Noch deutlich mehr folgten in den vergangenen Wochen seinem Aufruf, eine Agenda aufzustellen. Wie kann Europa die besten Bedingungen für schnell wachsende Tech-Unternehmen bieten?
Nun haben sie ein Manifest mit dem Titel „Scale-up Europe“ vorgelegt – darin enthalten 21 Empfehlungen der Gründer- und Investorenszene. Die konkreten Maßnahmen sollen helfen, einfacher internationale Fachkräfte zu gewinnen, große Finanzierungsrunden aus Europa zu stemmen, forschungsintensive Gründungen voranzutreiben und die Zusammenarbeit zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen zu verbessern. Sie sollen von der EU, nationalen Behörden und auch von der Industrie selbst umgesetzt werden.
Auch zahlreiche europäische Digitalminister hatte Macron zur Präsentation eingeladen, darunter die deutsche Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU). In kurzer Zeit wurde ihnen das Spektrum europäischer Start-ups mit ihren Herausforderungen vorgeführt.
Jan Goetz vom deutsch-finnischen Quanten-Start-up IQM stellte sich als Quantenphysiker vor, der nie Unternehmer geworden wäre, wenn die finnische Aalto-Universität keinen aus ihm gemacht hätte. Er empfahl die Uni mit ihrem unternehmerischen Ansatz und dem Quantenschwerpunkt als Musterbeispiel für Innovationsförderung.
Fordernder trat Julian Teicke vom Digitalversicherer Wefox auf. In nur fünf Jahren sei Wefox von drei auf mehr als 1000 Mitarbeiter gewachsen, sagte er. Die besten Leute zu finden sei also das größte Problem – verstärkt durch bürokratische Hürden: „Wir müssen da besser werden und es für Fachkräfte einfacher machen, nach Europa zu kommen.“
Besonders Macrons Schlussworte dürften vielen in Erinnerung bleiben. Wer Tech-Riesen aufbauen wolle, müsse akzeptieren, dass sich die Förderung auf wenige Unternehmen konzentriere. Es sei bei dieser Zielsetzung sinnlos, jedem seinen gerechten Anteil auszuteilen. „Wir müssen akzeptieren, dass es führende Unternehmen gibt“, sagte er – wenn die in einer Branche aus Finnland und Spanien kämen, ginge die französische Wirtschaft eben leer aus.
Dorothee Bär lobte die Initiative als wichtigen Impuls: „Durch eine engere europäische Koordination können Investitionen in Start-ups noch mehr Schlagkraft gewinnen“, sagte sie.
Am Mittwoch wurde die Agenda zum Auftakt der großen Technologiekonferenz Vivatech der Öffentlichkeit präsentiert. Sie findet in Paris und digital statt, maximal 5000 Personen dürfen mit Masken und Corona-Test auf das Gelände.
Vier Bereiche wurden definiert, in denen Frankreich EU-weite Maßnahmen anschieben soll: Fachkräfte, Zusammenarbeit mit Konzernen, Investitionen und forschungsgetriebene Innovationen, im Fachjargon „Deeptech“ genannt.
1. Fachkräfte: Europäische Arbeitsverträge, Tech-Visa, Steuervorteile
Für schnell wachsende Start-ups ist der heimische Talentpool schnell zu klein. Doch bürokratische Hürden erschweren Einstellungen aus dem Ausland. Schon einen Mitarbeiter in Polen einzustellen sei hochkomplex, sagt Julian Teicke von Wefox – zumindest wenn er nicht sofort nach Berlin ziehen wolle. „Derzeit müssen wir in jedem Land, in dem wir jemanden einstellen wollen, eine Niederlassung gründen.“ Die Initiative empfiehlt eine Art europäischen Arbeitsvertrag, mit dem Mitarbeiter in jedem EU-Land arbeiten können.
Bei außereuropäischen Einstellungen sollen künftig Tech-Visa helfen. „Aufenthaltsgenehmigungen sind heute an den Job gekoppelt“, sagt Teicke. Das heißt: „Wenn der Job nicht der richtige für einen Mitarbeiter ist, muss er sofort wieder raus aus dem Land – selbst wenn seine Kinder hier in der Schule sind.“ Menschen mit einem qualifikationsbezogenen Tech-Visum soll eine Übergangszeit gewährt werden, in der sie sich um einen neuen Job bewerben können.
Auch das von der deutschen Gründerszene forcierte Thema Mitarbeiterbeteiligungen hat Eingang in „Scale-up Europe“ gefunden. Die Besteuerung gilt als nachteilig und gegenüber den USA als nicht wettbewerbsfähig. „Die meisten europäischen Länder sind dabei schlecht aufgestellt“, sagt Teicke.
2. Kooperationen mit Konzernen: Best Practice, Proof of Concept
Etablierte Unternehmen sind als Kunden und potenzielle Käufer ganzer Unternehmen wichtig für Start-ups. Aus Sicht von US-Investoren gilt die hiesige Industrielandschaft mit Hidden Champions und zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen sogar als Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für Unternehmenskunden. Aber in der Praxis kommt diese Zusammenarbeit noch selten vor.
„2019 waren nur 0,1 Prozent der Ausgaben großer französischer Unternehmen für Start-ups bestimmt“, sagt Adrien Nussenbaum. Mit Mirakl hat er ein französisches Start-up mit Milliardenbewertung aufgebaut, das Software für den E-Commerce verkauft. Die kulturelle Kluft zwischen Start-ups und Großunternehmen sei „eine der größten Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt“, sagt er. Nun sollen Best-Practice-Beispiele gesammelt werden, Industriekunden positive Erfahrungen teilen und Mitarbeiter an Austauschprogrammen teilnehmen.
3. Investments: Zehn Milliardenfonds für Europa
In Deutschland wie auch anderen europäischen Ländern wird derzeit ein Finanzierungsrekord nach dem anderen aufgestellt. Doch je größer die Finanzierungsrunden, desto häufiger kommt das Kapital aus den USA oder Asien. Heißt im Umkehrschluss: Die europäischen Gründer verkaufen Unternehmensanteile etwa an US-Investoren und gehen dann auch häufiger an die New Yorker Börse.
„Wir werden bei den Fondsgrößen nachlegen müssen“, sagt Christian Miele, im Hauptberuf Investor bei der Berliner Wagniskapitalfirma Headline. Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit gehe es darum, „in der Lage zu sein, auch große Runden in der Wachstumsphase und in der Spätphase anzuführen“.
Macron hat das Ziel von zehn bis 15 Fonds mit einer Größe von mindestens einer Milliarde Euro bis 2025 ausgegeben. Dazu sollen Staat und Privatwirtschaft zusammenarbeiten, neue Anreize sollen mehr privates Kapital mobilisieren. Laut dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) überschreiten derzeit in Europa nur zwei Fonds diese Größe.
Investoren wie Miele hätten die Ziele aber sogar noch höher gesteckt. „Aus meiner Sicht sollte man ein europäisches Softbank aufbauen“, sagt Miele. „Es muss einen riesigen Fonds von 15 oder 20 Milliarden geben, an dem sich die Staaten am besten selbst beteiligen.“ Zum Vergleich: Das wertvollste deutsche Start-up Celonis hat gerade in einer einzigen Finanzierungsrunde eine Milliarde Dollar eingesammelt. Ein Fonds muss für 20 bis 30 Investments reichen.
4. Deeptech: Unternehmertum an der Uni, klare Ziele
Forschungsgetriebene Start-ups sind für den technologischen Fortschritt besonders wichtig und im Erfolgsfall auch besonders lukrativ. Das Problem: Sie brauchen sehr viel Geld, sehr viel Zeit und haben ein höheres Risiko zu scheitern.
Gründer Daniel Metzler von der Raketenfirma Isar Aerospace wirbt mit anderen Deeptech-Gründern unter anderem für eine klare und langfristige Zielsetzung der politischen Institutionen. Es müsse klar sein, welche Schlüsseltechnologien priorisiert werden sollten – etwa bei Quantencomputern, Künstlicher Intelligenz und autonomem Fahren. Er lobt Programme, die dabei Preisgelder für Zwischenziele ausschreiben. Wenn die Europäische Union ein Millionenpreisgeld für eine Weltrauminnovation ausschreibe, sei das ein wichtiges Signal: „Wenn ein politischer Wille da ist, dann schauen sich mehr Investoren ein solches Thema an.“
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