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29.07.2022

17:18

Technologie

40 Cent für jeden investierten Euro: Intel will mit Milliarden aus Europa an die Weltspitze

Von: Joachim Hofer

Der zweitgrößte Chiphersteller der Welt ist tief gefallen. Nun soll ausgerechnet das Europa-Geschäft den Weg zurück an die Spitze ebnen – mit vielen Milliarden aus Brüssel.

In Magdeburg will Intel 17 Milliarden Euro für ein neues Chipwerk investieren. So soll die Fabrik eines Tages aussehen. dpa

Geplante Intel-Chipfabrik

In Magdeburg will Intel 17 Milliarden Euro für ein neues Chipwerk investieren. So soll die Fabrik eines Tages aussehen.

München Frans Scheper ist es gewohnt, mit großen Summen zu hantieren. Der Niederländer zieht seit 30 Jahren die Fäden in der kapitalintensiven Chipindustrie, zwischenzeitlich stand er dem Halbleiterhersteller Nexperia mit mehr als 10.000 Mitarbeitern vor.

Seit Februar führt der Betriebswirt das Geschäft von Intel in Europa. Ganz oben auf seiner Agenda: Scheper muss rund zehn Milliarden Euro an Subventionen bei der EU und europäischen Regierungen loseisen. Das ist auch für einen gestandenen Halbleitermanager eine Herausforderung. „Bislang haben wir nicht direkt mit den Stakeholdern zusammengearbeitet“, sagt Scheper. Treffen mit Ministern, Forschern und Universitätspräsidenten stehen nun fast täglich auf dem Programm.

Der Betriebswirt nimmt eine Schlüsselposition ein in der Aufholjagd des Pat Gelsinger. Der Intel-Chef ist im Frühjahr 2021 angetreten, den strauchelnden Chiphersteller wieder dorthin zu führen, wo er über Jahrzehnte nicht wegzudenken war: an die Spitze der Halbleiterbranche.

Europa spielt in dem Vorhaben eine zentrale Rolle. Gelsinger will in der EU mit massiver staatlicher Unterstützung zwei riesige Werke und mehrere Forschungs- und Entwicklungsstandorte errichten. Das Volumen: mehr als 20 Milliarden Euro. Damit soll das US-Unternehmen unter anderem zu einem der weltweit führenden Auftragsfertiger werden.

Zudem setzt der 61-Jährige alles daran, als erster Chipproduzent weltweit das neue Produktionsverfahren High-NA-EUV des niederländischen Ausrüsters ASML in die Serienproduktion zu überführen. So will Gelsinger den Taiwaner Auftragsfertiger TSMC als Technologieführer ablösen.

Intel wird zum Erstkunden von ASML

Die Zeit drängt. Im zweiten Quartal ist der Umsatz um ein Fünftel eingebrochen, der Konzern stürzte in die roten Zahlen. Schlimmer noch: Gelsinger musste die Jahresprognose um gut zehn Prozent zurücknehmen. „Die Ergebnisse des Quartals liegen unter den Standards, die wir für unser Unternehmen und die Aktionäre gesetzt haben“, sagte der Konzernherr in der Nacht auf Freitag. „Wir müssen besser werden, und wir werden besser werden.“

Grafik

Von seinem teuren Wiederaufbauplan will Gelsinger trotz der schwachen Ergebnisse keinen Deut abweichen. Wie kein anderer Vorstandschef in der Chipindustrie der westlichen Welt ist Gelsinger entschlossen, sein Unternehmen neu auszurichten. Der Ingenieur hat den Politikern in Washington, Brüssel und Berlin Großes versprochen: Die Lieferengpässe bei den Chips nähmen genauso ein Ende wie die Abhängigkeit von Asien – wenn sie ihm nur Milliarden überweisen.

Der „Bauernjunge aus Pennsylvania“, wie er sich selbst nennt, hofft auf knapp neun Milliarden Euro an Subventionen für Fabriken in Magdeburg und Italien. Zudem will er mit staatlicher Hilfe in Frankreich, Spanien und Polen expandieren. Zehn Milliarden dürften insgesamt gut und gerne zusammenkommen. Denn für jeden Euro, den Intel einsetzt, fordert der Amerikaner etwa 40 Cent von der öffentlichen Hand. Nur so könne Intel mit den Rivalen in Asien mithalten.

Noch sind die Verträge nicht unterschrieben. In Brüssel und den einzelnen Hauptstädten wird um die staatliche Unterstützung seit Monaten gerungen. Gelsinger braucht einen mit allen Wassern gewaschenen europäischen Chipmanager wie Scheper, damit die Milliarden auch wirklich auf dem Konto von Intel landen. Seine neue Position unterstreiche, welch wichtige Rolle die EU inzwischen spiele, sagt Scheper.

Bei Intel hatten die Controller das Sagen

Der Tanz auf dem politischen Parkett reicht aber nicht. Genauso wichtig: Intel muss technologisch aufholen. „Wir sind eine Tech-Firma“, betont Produktionschefin Ann-Marie Holmes. 89 Prozent aller Mitarbeiter seien mit technischen Aufgaben betraut, erläutert die Irin. Sie sagt aber auch: „Bei uns zählen die Ergebnisse.“

Der Chipkonzern schrieb im zweiten Quartal rote Zahlen und Vorstandschef Pat Gelsinger kassierte die Prognose. Reuters

Intel

Der Chipkonzern schrieb im zweiten Quartal rote Zahlen und Vorstandschef Pat Gelsinger kassierte die Prognose.

Bevor Gelsinger zu Intel zurückkehrte, hatten sich die Gewichte verschoben. Die Controller hatten jahrelang das Sagen, die Ingenieure wurden in den Hintergrund gedrängt.

So kam es, dass Intel seine technologische Vormachtstellung einbüßte: an Konkurrenten, die im Gegensatz zu Intel auf eigene Fabriken verzichten. AMD, Nvidia, Qualcomm, die Wettbewerber setzen auf den Taiwaner Auftragsfertiger TSMC, weil sie dort mit den fortschrittlichsten Verfahren produzieren können.

Um TSMC erst einzuholen und später zu übertrumpfen, setzt Gelsinger nun auf dasselbe Rezept, das die Asiaten einst groß gemacht hat: Er will die modernsten Maschinen von ASML nutzen.

Intel versucht als erster Kunde, das weiterentwickelte High-NA-EUV in die Serienproduktion zu überführen. Der große Technologiesprung soll Mitte des Jahrzehnts mit Maschinen gelingen, die mehr als 200 Millionen Euro kosten – pro Stück.

TSMC aber zögert bei High-NA. Ob sich die Technologie lohne, müsse sich erst zeigen, sagt Vorstand Kevin Zhang. Die Taiwaner haben zwar eine Versuchsanlage geordert, die 2024 auf der Insel eintreffen soll. Es ist aber nicht sicher, dass das Verfahren in die Massenfertigung kommt. „Wir werden sehen, ob wir es brauchen“, erläutert Zhang.

Die Kunden wenden sich von Intel ab

„Um High-NA wird perspektivisch niemand herumkommen. Die Frage ist lediglich, wie aggressiv man darauf setzt,“ meint Peter Fintl, Chipexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini.

„Gelsinger möchte als derjenige in die Geschichte eingehen, der Intel wieder auf Platz eins in der Chiptechnologie geführt hat“, sagt Richard Gordon, Halbleiter-Analyst von Gartner.

All das ist wenig wert, wenn sich die Kunden abwenden. Die blauen Aufkleber auf PCs und Notebooks mit dem Claim „Intel inside“ sind legendär. So wie der Konzern technologisch zurückfiel, so verblasste freilich auch der Glanz der Marke. Im zweiten Quartal ist der Umsatz mit Prozessoren für PCs und Notebooks, das Kerngeschäft von Intel, um ein Viertel eingebrochen. Zum Vergleich: Der PC-Markt schrumpfte den Marktforschern von Gartner lediglich um gut 13 Prozent. Das heißt: Die Konsumenten griffen zu anderen Marken.

„Pat hat meinen Job einfacher gemacht.“ Karen Walker, Marketingchefin von Intel

Karen Walker ist Marketingchefin von Intel und soll diese Abwanderung schnellstens stoppen. „Pat hat meinen Job einfacher gemacht“, sagt sie. Denn die Kunden würden in der Werbung künftig nicht mehr mit Zahlen und technischen Formeln drangsaliert. Die Ära sei vorbei, in der Intel mit abstrakten Begriffen wie „Core i3“, „Core i5“ und „Core i7“ auf die Käufer losging. „Wir müssen den Leuten vielmehr erklären, welchen Wert wir für sie schaffen“, erläutert Walker. Es gehe darum, menschlicher und weniger technisch rüberzukommen.

Gelsinger hat offenbar erkannt: Die milliardenschwere Aufholjagd ist nutzlos, solange die Marke so sexy ist wie eine Packung Nudeln.

„Marketing ist ein gewichtiger Teil seiner Wachstumsagenda“, meint Walker. Besonders bedeutend sei es, jüngere Generationen für die Marke zu begeistern. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass es der Generation Smartphone inzwischen egal ist, ob in ihrem Rechner ein Prozessor von Intel oder AMD steckt.

Die Millennials braucht Gelsinger nicht nur als Käufer. Er muss sie auch als Arbeitgeber überzeugen. Niemand weiß das besser als Bernd Holthaus. Der Personalchef der Deutschland-Niederlassung in München muss in den nächsten vier Jahren 3000 hochqualifizierte Leute für die Fabrik in Magdeburg anheuern.

Der Intel-Chef setzt auf europäische Werke und Spitzentechnologie aus Europa. Reuters

Pat Gelsinger

Der Intel-Chef setzt auf europäische Werke und Spitzentechnologie aus Europa.

Es sei jedem klar, was der umtriebige CEO von seinen Angestellten erwarte, sagt Holthaus: „Wir müssen schneller werden und näher an den Kunden dran sein.“ In seinem Fall sind die Kunden die potenziellen neuen Beschäftigten. Holthaus darf keine Zeit verlieren: Die Fabrik wird erst 2027 mit der Serienproduktion starten. Dennoch hat der Betriebswirt bereits heute drei Dutzend Stellen ausgeschrieben.

Der neue Boss schaue genau hin, meint Holthaus. Mit der Investition in Sachsen-Anhalt stehe Deutschland viel stärker im Fokus als früher.

Der Aktienkurs von Intel bricht ein

Intel wandelt sich wie selten zuvor in der mehr als 50-jährigen Geschichte. Die Investoren aber glauben nicht mehr an die Tech-Legende. Bis Donnerstagabend war der Kurs seit Gelsingers Amtsantritt vor knapp anderthalb Jahren bereits um rund ein Drittel gesunken. Der Philadelphia Semiconductor Index der führenden in den USA notierten Halbleiteraktien gab im selben Zeitraum weniger als zehn Prozent nach. Am Freitag stürzten die Papiere an der Wall Street als Reaktion auf die schwachen Quartalszahlen weitere zehn Prozent ab.

Die schlechten Nachrichten von früher würden nachwirken, erklärt Berater Fintl das seit Monaten schwache Abschneiden an der Börse. Dass die Milliardeninvestitionen die Gewinne auf Jahre hinaus drücken werden, sei auch nicht förderlich.

Intern sei jedem klar, dass etwas geschehen müsse, meint Europachef Scheper. „Allen ist bewusst, dass die Zeit drängt.“ Für ihn heißt das: Er braucht die endgültigen Zusagen für die Subventionen bis Frühjahr. Dann sollen die Bagger anrücken. Sonst wird es nichts mit Intels Aufholjagd.

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