Milliarden an Subventionen sollen fließen, um die Chipindustrie gegenüber Asien aufzurüsten. Wer die Arbeit erledigen soll, weiß allerdings niemand.
Chipfertigung
Beschäftigte in Halbleiterfabrik: Es fehlt an Personal für die Aufholjagd der europäischen Chipindustrie.
Bild: Bloomberg
München Noch liegt nicht einmal die Baugenehmigung vor: Die milliardenschweren neuen Fabriken von Intel in Magdeburg öffnen erst Mitte des Jahrzehnts. Trotzdem sorgt sich Christin Eisenschmid schon, wie sie genügend Personal findet. „Der Bedarf ist immens“, sagt die Deutschland-Chefin des amerikanischen Chipherstellers.
Die Managerin ahnt, dass es nicht reichen wird, Stellenanzeigen zu schalten. „Umschulungsprogramme sind auch ganz wichtig“, erläutert die Managerin. „Wir müssen an alle Möglichkeiten denken.“ 3000 Stellen will der Konzern aus dem Silicon Valley in der ersten Ausbaustufe in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt schaffen.
So wie Intel suchen alle Halbleiterfirmen hierzulande händeringend Leute. Die Industrie benötigt Hochschulabsolventen in Elektrotechnik oder Informatik ebenso wie angelerntes Personal, das die hochempfindlichen Maschinen bedient.
Zwar geht es vielen Industrien so. Bei den Chips aber ist der Mitarbeitermangel besonders kritisch. Es steht die Zukunft der deutschen Industrie insgesamt auf dem Spiel. Autozulieferer und Maschinenbauer sind in weiten Teilen abhängig von Chipherstellern aus Asien – und die liefern nicht annähernd so viele Bauteile, wie die Firmen benötigen. Immer wieder stehen die Bänder still.
Mit einem groß angelegten Förderprogramm soll Europa seinen Anteil an der weltweiten Halbleiterproduktion daher bis 2030 mehr als verdoppeln – auf 20 Prozent. Anfang des Jahres hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den Plan vorgestellt. 43 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln sollen fließen.
Die Firmen nehmen das Geld gerne. Intel kassiert für die Ansiedlung in Ostdeutschland fast sieben Milliarden Euro. Ob aber genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da sind, um Europa zurück auf die Landkarte der Halbleiterindustrie zu bringen, ist ungewiss.
Aron Kirschen
Der Chef des Dresdner Chip-Start-ups Semron sucht händeringend Personal.
Bild: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
Beispiel Dresden: Mit großflächigen Plakaten werben die Chiphersteller in der sächsischen Landeshauptstadt um Bewerber. Die Region ist Deutschlands Halbleiterstandort Nummer eins. Bekannte Namen wie Bosch, Infineon und Globalfoundries fertigen hier. Kein Wunder, dass in Sachsen ein Kampf um die Spezialisten tobt.
Eine besondere Herausforderung ist dies für Chip-Start-ups – also jene Firmen, aus denen eines Tages Konzerne wie Intel oder Infineon entstehen könnten. „Die Unis in Deutschland setzen die falschen Prioritäten“, klagt Aron Kirschen, Chef und Gründer von Semron. „Es werden viel zu wenig Mikroelektroniker und Mathematiker ausgebildet.“
Was Nvidia bei Grafikprozessoren, das soll das Start-up aus Dresden bei Chips für die Künstliche Intelligenz werden. Nvidia ist der wertvollste Halbleiteranbieter der Erde. Die Chips der vor zwei Jahren gegründeten Firma Semron sollen besonders stromsparend sein. Kirschens kleine Truppe entwickelt dafür ein Bauelement, das sowohl speichern als auch rechnen kann. Das soll für einen niedrigen Stromverbrauch sorgen, denn die Daten müssen nicht ständig an die Zentralrechner geschickt werden.
Sein Team will der Unternehmer bis Jahresende auf ein Dutzend Leute mehr als verdoppeln. Die Personalsuche kostet viel Zeit und damit Ressourcen, die Kirschen lieber in die Produktentwicklung stecken würde. „Wir könnten deutlich schneller sein, wenn wir ausreichend geeignetes Personal bekommen würden“, sagt er.
Ihm zufolge fehlen nicht nur Kandidaten. Viele junge Leute seien eher wenig motiviert. „Die europäischen Bewerber können sich die Jobs inzwischen aussuchen. Da fehlt die Konkurrenz untereinander.“ Wer einen Job von neun bis fünf suche, sei bei einem Start-up wie Semron fehl am Platz.
Die Anforderungen sind hoch – und das Image der Industrie verbesserungswürdig. Gegenüber anderen Tech-Bereichen und der Autobranche sei die Chipindustrie als Arbeitgeber wenig produktiv, so die Beratungsgesellschaft McKinsey. Die eigene Marke zu stärken könne ein erster Schritt für Firmen sein, das zu ändern. „Unternehmen müssen möglicherweise auch Vergütungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten überprüfen, um sicherzustellen, dass sie mit Unternehmen in anderen Branchen auf Augenhöhe sind“, so die Experten.
Bessern wird sich die Lage in absehbarer Zeit nicht. „Es kommen zu wenige neue Talente nach“, sagt Alfred Hofmann, Sprecher der neu gegründeten Bavarian Chip Alliance. Die vom Freistaat gestartete Initiative soll die Halbleiterwirtschaft in Bayern voranbringen.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hält die Branche für entscheidend, um dem Mangel an Arbeitskräften in anderen Bereichen zu begegnen. Chips seien unerlässlich, um die Automatisierung voranzutreiben – die in den Augen des Politikers wichtigste Antwort auf das knappe Personal.
Beunruhigend sei, dass viele Experten für Chipdesign in den nächsten Jahren in Rente gehen würden, warnt Intel-Managerin Eisenschmid. Sie sind die Grundlage für die gesamte Industrie. Daher sei es wichtig, in Deutschland „massiv Kompetenzen im Chipdesign aufzubauen“. In Bayern überlegt man gerade, eine eigene Design-Akademie aufzubauen.
Klar ist: Die Halbleiterfirmen benötigen immer mehr Leute. Der Branchenverband Silicon Saxony schätzt, dass allein in Sachsen 2030 rund 100.000 Menschen in der Mikroelektronik und Kommunikationsbranche tätig sein werden – 27.000 mehr als heute.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert spezielle Studiengänge für Chips – und zwar in großem Stil. Denn in einer neuen Halbleiterfabrik würden laut BDI üblicherweise rund 2000 hochqualifizierte Leute angestellt. Um das Ziel von 20 Prozent Weltmarktanteil zu erreichen, braucht Europa eine ganze Armada zusätzlicher Fabriken – die Intel-Ansiedlung in Magdeburg ist da erst der Anfang.
Darüber hinaus sei es wichtig, Experten aus anderen Teilen der Welt anzulocken, meint der BDI. Gründer Kirschen hält das indes für nicht zielführend: „Deutschland hat ein demografisches Problem, und wir können das langfristig auch nicht durch Zuwanderung von Top-Fachkräften oder Automatisierung lösen.“
Der Grund: „Automatisierung werden die anderen Länder auch können – und die frei gewordenen Potenziale werden dann in Innovationen investiert, für die uns hier die Talente fehlen.“
Für den Jung-Unternehmer führt kein Weg daran vorbei, an den Hochschulen schnell und entschlossen umzuschichten: hin zur Mikroelektronik.
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