Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

24.03.2023

14:37

Tiktok-Chef

Das globale Gesicht von Tiktok – wer ist CEO Shou Zi Chew?

Von: Stephan Scheuer

Der Tiktok-Chef ist ein Ausnahmetalent der chinesischen Tech-Szene. Die USA werfen ihm vor, von China kontrolliert zu werden. Das Handelsblatt traf ihn in China und Deutschland.

Er ist seit Mai 2021 CEO von Tiktok. REUTERS

Shou Zi Chew

Er ist seit Mai 2021 CEO von Tiktok.

San Francisco „Wir unterstehen nicht der Kommunistischen Partei Chinas“, sagte Shou Zi Chew. Wieder und wieder versuchte er zu beschwichtigen, wieder und wieder wurde er am Donnerstag in einer Anhörung vor dem Handelsausschuss des Repräsentantenhauses des US-Kongresses unterbrochen.

„Ihre Plattform steht für Überwachung und Manipulation. Sie sollte verboten werden“, sagte ihm Abgeordnete Cathy McMorris Rodgers offen ins Gesicht. In seltener Einigkeit verurteilen Vertreter beider politischen Lager in den USA den Videodienst Tiktok.

Fünfeinhalb Stunden lang versuchte Chew, die Sorgen zu beschwichtigen. Der 40-Jährige räumte aber auch ein, dass Mitarbeiter in China derzeit Zugriff auf Daten von Kunden in den USA haben. Und er räumte auch ein, dass Mitarbeiter in China gezielt die Accounts von Journalisten in den USA ausspioniert haben. „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagte Chew.

Vor dem US-Kongress mussten sich schon die Chefs von großen US-Techkonzernen wie Apple, Google oder Facebook kritische Fragen gefallen lassen. Aber es war das erste Mal, dass der Vorsitzende einer globalen Digitalplattform mit Ursprüngen in China eine kritische Fragerunde überstehen musste.

Für Chew geht es um viel. Er legte in Washington offen, dass mit rund 150 Millionen aktiven Nutzern in den USA nahezu jeder zweite US-Amerikaner die Plattform nutzt.

Tiktok-Chef Chew: Tech-Ausnahmetalent mit Harvard-Abschluss

Der aus Singapur stammende Manager ist ein Ausnahmetalent der chinesischen Technologieszene. Er ist nicht nur in China bestens vernetzt. Er kennt auch die USA sehr gut, hat an der Harvard-Universität studiert und auch dort seine Frau kennengelernt.

Anders als viele CEOs chinesischer Konzerne ist er es gewöhnt, vor einem internationalen Publikum zu sprechen. Die Chefs von Alibaba oder Tencent hätten große Probleme, allein schon sprachlich ein Verhör vor dem US-Kongress zu bestehen. In Europa traf Chew mehrere Regulierer und versuchte beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Unterstützer zu gewinnen. Er ist auf globaler Charmeoffensive.

Das Handelsblatt traf Chew mehrmals: Als er in Peking für die Investmentfirma DST Global Deals in der Technologieszene einfädelte und dabei einem damals noch weitgehend unbekannten Tech-Unternehmen namens Bytedance Geld verschaffte. Heute ist Bytedance der Mutterkonzern von Tiktok.

2020 traf das Handelsblatt Chew in Düsseldorf zum Interview. Damals leitete er die globale Expansion des chinesischen Technologiekonzerns Xiaomi. Von Düsseldorf aus wollte Chew ganz Europa mit Smartphones, smarten Luftfiltern und Fitnessbändern erobern. Damals profitierte er davon, dass Rivale Huawei aufgrund von US-Sanktionen massiv an Marktanteilen in Europa verlor. Chew sagte: „Wir glauben an freie Märkte und den Nutzen, den wir Kunden überall auf der Welt bringen.“

Abhängigkeit von China lässt sich nicht auflösen

Heute hat Chew einen unmöglichen Job. Tiktok ist das global erfolgreichste chinesische Netzwerk. Nie zuvor ist es einer Digitalplattform aus China gelungen, in den USA oder Europa so viele Nutzer zu gewinnen. Gleichzeitig ist Tiktok höchst umstritten. Chinesische Gesetze zwingen Unternehmen in der Volksrepublik zur Kooperation mit chinesischen Sicherheitsbehörden. Und Tiktok ist aus dem chinesischen Bytedance-Konzern hervorgegangen. Diese Abhängigkeit lässt sich nicht auflösen.

„Wir erfüllen höchste Standards zum Datenschutz“, versprach Chew vor dem US-Kongress. Künftig würden alle Daten von US-Nutzern nur noch auf Servern in den USA gespeichert, die von US-Konzern Oracle betrieben werden. „Damit bringen wir sie außerhalb der Reichweite Chinas“, sagte Chew.

Der Tiktok-Chef fand jedoch kaum Verständnis. „Alles, was Sie bisher gesagt haben, hat mich nicht beruhigt. Und ich denke, offen gesagt, Ihre Aussage hat bei mir mehr Fragen als Antworten aufgeworfen“, sagte Abgeordnete Lisa Blunt Rochester, eine Demokratin aus Delaware.

Auch das Urteil von Finanzanalysten über den Auftritt von Chew fiel nicht gut aus. „Wir würden die heutige Aussage von Tiktok-CEO Shou Zi Chew als Katastrophen-Moment bezeichnen“, sagte Wedbush-Analyst Dan Ives. Das Verhör werde ein Verbot oder einen Zwangsverkauf von Tiktok in den USA wahrscheinlicher machen. „Ich glaube nicht, dass er sich heute neue Freunde gemacht hat“, sagte Matthew Schettenhelm, leitender Analyst für Rechtsstreitigkeiten bei Bloomberg Intelligence.

Letztlich könnte Chew als CEO gezwungen werden, sich vom US-Markt zu verabschieden. Schon der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte auf einen Verkauf des Tiktok-US-Geschäfts gedrängt. Aber es gibt kaum mögliche Käufer. Microsoft und Oracle gelten als Kandidaten. Doch die Staatsführung in Peking hat bereits signalisiert, dass sie einen Zwangsverkauf blockieren würde. Chew könnte schon bald vor dem nächsten Verhör stehen.

Erstpublikation: 24.03.2023, 04:00 Uhr.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×