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09.12.2022

17:08

Übernahme

Getir aus der Türkei kauft Berliner Lieferdienst Gorillas

Von: Nadine Schimroszik, Arno Schütze

Finanzkreisen zufolge halbiert sich der Wert des fusionierten Unternehmens auf sieben Milliarden Dollar. Bisher hat noch keiner der Schnelllieferdienste gezeigt, dass er profitabel sein kann.

Mit der Übernahme weitet Getir sein Geschäft vor allem in Deutschland und Großbritannien aus. Bloomberg

Gorillas-Fahrer in London

Mit der Übernahme weitet Getir sein Geschäft vor allem in Deutschland und Großbritannien aus.

Berlin, Frankfurt Nach zähen und langwierigen Verhandlungen übernimmt der türkische Schnelllieferdienst-Pionier Getir den Berliner Wettbewerber Gorillas und baut damit sein Standbein in Deutschland, Großbritannien und New York deutlich aus. Der Deal zeige, dass Getir die Konsolidierung in dem Sektor antreibe, teilte das Unternehmen aus Istanbul am Freitag mit.

Damit kommt es zur ersten Mega-Übernahme in der in Deutschland noch sehr jungen Branche, die erst in der Coronapandemie mit Milliarden Euro an Wagniskapital aus der Taufe gehoben wurde.

Getir machte weder Angaben zum Kaufpreis noch zur Firmenbewertung. Finanzkreisen zufolge sollte Gorillas bei dem Deal mit 940 Millionen Dollar bewertet werden. Demnach wäre das fusionierte Unternehmen sieben Milliarden Dollar schwer. Bei ihren jüngsten Finanzierungsrunden waren Gorillas und Getir zusammen noch doppelt so viel wert.

Gorillas gehörte auch zu den wenigen europäischen Start-ups, die nur Monate nach der Gründung Einhorn-Status erlangen konnten, also von Investoren mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wurden.

Gemeinsam haben sie bisher mehr als drei Milliarden Dollar Wagniskapital erhalten. „Die Einhorn-Bewertungen von Getir und Gorillas kamen primär durch zu billiges Investorengeld, Storytelling und vor allem die Angst, etwas zu verpassen, zustande“, sagt E-Commerce-Experte Matthias Schuh.

Weder Gorillas noch Flink sind bisher profitabel

Der Absturz in der Bewertung spiegelt auch die veränderte Sichtweise der Geldgeber auf die Unternehmen wider. Das Geschäftsmodell von Getir und Gorillas besteht darin, innerhalb kürzester Zeit Lebensmittel per Fahrradkurier bis zur Wohnungstür zu bringen. Bisher hat noch keiner der Anbieter, zu denen in Deutschland auch Flink gehört, gezeigt, dass man damit profitabel sein kann.

Nach dem Lieferboom in der Coronakrise setzen den Anbietern nun die gestiegenen Lebensmittelpreise und die Wirtschaftskrise zu. Hinzu kommen die hohen Logistik- und Personalkosten, an denen sich wenig ändern lässt. Erst diese Woche zog Flink in Österreich die Reißleine und meldete Insolvenz für die dortige Tochter an.

Für den Gorillas-Konkurrenten könnte es nun noch schwerer werden: „Flink sieht sich durch die Übernahme einem mächtiger werdenden Konkurrenten gegenüber und rutscht stärker in die Rolle des David, der gegen Goliath kämpft“, sagt Schuh, der als Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern arbeitet. Flink ist nur noch in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden aktiv, wo das Unternehmen nun auf die geballte Kraft von Getir und Gorillas trifft.

Durch den Zusammenschluss von Getir und Gorillas wird für die Konkurrenten wie Flink der Wettbewerb noch härter. Reuters

Getir-Fahrer in Amsterdam

Durch den Zusammenschluss von Getir und Gorillas wird für die Konkurrenten wie Flink der Wettbewerb noch härter.

Im Zuge der Gorillas-Übernahme sollen laut Finanzkreisen die Eigentümer des Berliner Unternehmens um Gründer Kagan Sümer neue Getir-Aktien im Wert von 840 Millionen Dollar erhalten – davon das Management 40 Millionen.

Insgesamt sollen die Gorillas-Eigner einen Anteil von zwölf Prozent an Getir bekommen und zusätzlich eine Barzahlung von 100 Millionen Dollar. Letztere dürfte allerdings umgehend wieder weg sein: Ein Großteil dieses Geldes wird laut den Insidern für die Rückzahlung der 50 Millionen Euro schweren Brückenfinanzierung, die Transaktionskosten und eine Zahlung an das Gorillas-Management in Höhe von zehn Millionen Euro benötigt.

Eine Millionensumme landet damit auch beim Gründer Sümer, der das Unternehmen Anfang 2020 aus dem Boden stampfte. Mit ihm werden allerdings auch Probleme mit dem Betriebsrat, verärgerten Anwohnern und schlechten Arbeitsbedingungen verbunden. Insidern zufolge wird der Chef nun dem Unternehmen den Rücken kehren.

Fusioniertes Unternehmen will frisches Geld haben

Im Gespräch ist aktuell, dass das fusionierte Unternehmen noch mal frisches Geld vom Investor Mubadala, dem Staatsfonds aus Abu Dhabi, erhält. Dann könnte die Bewertung auf zehn Milliarden Dollar steigen. Mubadala ist auch an Flink beteiligt.

In der Pressemitteilung von Getir zum Gorillas-Kauf wurden auch keine Angaben dazu gemacht, ob Mitarbeitende – wie von vielen Seiten vermutet – die Unternehmen verlassen müssen. Beide Firmen haben in diesem Jahr bereits Hunderte Angestellte entlassen. An vielen Stellen dürfte es nun Überschneidungen geben. So operiert Getir auch in Deutschland, Großbritannien sowie den USA.

Zu den Investoren von Gorillas gehören neben dem Essenslieferdienst Delivery Hero der chinesische E-Commerce-Riese Tencent, der renommierte Fonds Coatue und DST Global. Frühe Investoren waren Atlantic Food Labs aus Berlin sowie David Nothacker, Chef des Logistikspezialisten Sennder. Er ist zufrieden mit der Übernahme: „Das ist ein guter Deal für Gorillas, die Branche und auch für mich als Angel-Investor.“

Mitarbeit: Florian Kolf

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