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07.11.2020

10:46

Überwachungstechnologie

EU will Export von Späh-Programmen an Diktatoren stoppen

Von: Stephan Scheuer, Hans-Peter Siebenhaar

Deutsche Firmen sind stark im Geschäft mit digitaler Überwachungstechnik. Doch Brüssel könnte derartige Ausfuhren in bestimmte Länder bald erschweren.

Die EU könnte den Export von Software in bestimmte Länder einschränken. AFP/Getty Images

Gesichtserkennung

Die EU könnte den Export von Software in bestimmte Länder einschränken.

Düsseldorf, Brüssel Über Monate saß Peter Steudtner in der Türkei in Untersuchungshaft, bis man ihn im Juli freisprach. Im Gefängnis hatte der deutsche Menschenrechtler seine Smartphones und Computer an Ermittler übergeben müssen. „Ich wurde gefragt, mein Passwort herauszugeben“, erzählt Steudtner. „Das habe ich natürlich nicht gemacht.

Nach der Entlassung bekam er die Geräte zurück, zusammen mit einer Festplatte. Gemeinsam mit der Stiftung Quirium Media Foundation fand er anschließend heraus: Die türkischen Behörden hatten die Überwachungssoftware einer Firma aus Schweden eingesetzt, um an seine Daten zu gelangen. Auch eine Firma aus Israel war beteiligt.

Der Vorfall beleuchtet einen zweifelhaften Trend. In den vergangenen Jahren hat sich ein Markt für professionelle Überwachungstechnik entwickelt, in dem auch deutsche Firmen kräftig mitmischen. Dabei ist der Export dieser Technologien meist genehmigungspflichtig.
Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion aus dem vergangenen Jahr hervorgeht, wurde zwischen 2015 und 2019 die Ausfuhr von Spähsystemen im Wert von mehr als 26 Millionen Euro genehmigt. Zielländer waren unter anderem Ägypten, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, in denen es immer wieder Menschenrechtsverstöße gibt.

Mehrere Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International und Brot für die Welt, fordern ein Verbot des Exports von Überwachungstechnologie an repressive Regime sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.

Die exportierten Güter trügen dazu bei, demokratische Prozesse zu behindern, etwa wenn kritische Berichterstattung unterbunden, Regimegegner verfolgt oder Verabredungen zu Demonstrationen unterbunden werden können. Damit richten sich die Appelle nicht nur direkt an Brüssel, sondern auch an die Bundesregierung, die bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Nun könnte die EU diese Geschäfte mit „Dual Use“-Gütern erschweren. Darunter werden Waren verstanden, die sowohl für militärische oder geheimdienstliche als auch zivile Zwecke verwendet werden können, wie beispielsweise Überwachungselektronik oder Navigationssysteme.

Ende der Hängepartie?

Die deutsche Ratspräsidentschaft ist optimistisch, die vierjährigen Gespräche bis Ende des Jahres abschließen zu können. Die Bundesregierung erwartet, dass die Einigung eine strengere Regulierung der Exporte von Überwachungstechnik aus der EU in Drittstaaten vorsehen wird. Wichtig dabei sei es, dass die Regeln für einen Schutz der Menschenrechte so ausgestaltet sind, dass sie in der Praxis rechtssicher anwendbar sind - sowohl für die Unternehmen als auch für Behörden wie den Zoll. Die Bundesregierung wünsche sich daher eine möglichst klare und präzise Regelung.

An diesem Montag werden unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft die finalen Gespräche mit dem Europaparlament und der Kommission geführt. Insider in Brüssel sind zuversichtlich, dass es dort nach der jahrelangen Hängepartie zu einem Ergebnis kommen wird.

Die überarbeitete Version sieht vor, dass angesichts der Menschenrechtsverstöße digitale Überwachungssoftware nicht mehr in zweifelhafte Länder außerhalb der EU exportiert werden kann. Damit kommt der Kompromiss den Wünschen des Europäischen Parlaments entgegen. „Die Dual-Use-Verordnung muss sicherstellen, dass Überwachungstechnologien wie Gesichtserkennungssoftware made in Europe nicht für systematische Menschenrechtsverletzungen genutzt werden“, sagte die Europaabgeordnete Svenja Hahn (FDP) dem Handelsblatt in Brüssel. „Spähsoftware stellt in Händen autoritärer Regime eine große Gefahr für Menschenrechte dar. Daher unterstütze ich eine Einschränkung des Exports dieser Technologien.“

Während der deutsche Menschenrechtler in Haft saß, werteten türkische Behörden sein Smartphone und seinen Computer aus. dpa

Peter Steudtner

Während der deutsche Menschenrechtler in Haft saß, werteten türkische Behörden sein Smartphone und seinen Computer aus.

Nach der politischen Einigung könnte die restriktivere Verordnung nach Meinung von Experten bis zum Sommer in Kraft treten. Industrieverbände mahnen zu einem gemäßigteren Kurs. Gerade für die deutsche Wirtschaft ist das Thema von großer Bedeutung. Denn eine zu enge Auslegung könnte zu Nachteilen für die Exportwirtschaft führen, fürchten Wirtschaftsexperten.

In einem ausführlichen Positionspapier befürwortet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zwar grundsätzlich einen stärkeren Schutz der Menschenrechte, warnt jedoch vor Nachteilen für Unternehmen. Die geplanten Regeln könnten zu erheblichen Einschränkungen für Softwareexporte führen, fürchtete der Verband.

Im Kern geht es dabei um die Frage, wie weit der Schutz der Menschenrechte ausgelegt werden soll. Der Kompromiss, an dem die EU-Kommission seit dem Jahr 2016 gearbeitet hat, sieht nun eine verschärfte „Catch All“-Regel vor.

Damit sollen alle Exporte für Überwachungstechnologie abgefangen werden, um die Verletzung von Menschenrechten zu verhindern - was der BDI für riskant hält: „Aus Sicht der deutschen Industrie wäre eine verwendungsbezogene Ausfuhrkontrolle zu terroristischer oder militärischer Endverwendung eine fatale Fehlregulierung mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaftsbeteiligten.“

In der Praxis könnte das heißen, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei deutschen Behörden nachfragen müssen, ob ihr Exportprodukt genehmigungspflichtig ist – eine Problematik, der sich EU-Kommission und -Rat bewusst sind. Am Ende bleibt es wohl stets eine schwierige Definitionsfrage.

„Vor allem die Online-Überwachung ist ein drängendes Thema, da sich diese Technologien sehr schnell weiterentwickeln“, warnt Europapolitikerin Hahn. „Die Regeln müssen mit diesen Entwicklungen unbedingt mithalten können, die Dual-Use-Liste muss regelmäßig angepasst werden.“

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