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19.12.2022

13:36

Zukunftstechnologie

Chipindustrie in Deutschland will wichtige Rolle bei Quantencomputern spielen

Von: Joachim Hofer

NXP und Infineon forschen so intensiv wie nie an der Zukunftstechnologie. Es lockt ein gewaltiger Markt. Nur wann sich damit Geld verdienen lässt, ist bisher unklar.

Vakuumkammer und Mikrowellenverbindung eines Quantencomputers des Start-ups Eleqtron, eines Partners des Chipherstellers NXP. eleQtron

Quantencomputer

Vakuumkammer und Mikrowellenverbindung eines Quantencomputers des Start-ups Eleqtron, eines Partners des Chipherstellers NXP.

München Als Technikvorstand von NXP ist Lars Reger für 60 Forschungsstandorte weltweit verantwortlich. Quantencomputer entwickle der Chiphersteller aber nur in Hamburg, sagte der Manager dem Handelsblatt. Das ist kein Zufall: Üppige Subventionen ebnen den Niederländern im Nachbarland Deutschland den Einstieg in die Zukunftstechnologie.

In heutigen Rechnern spielen Bauelemente aus Deutschland praktisch keine Rolle. Wenn in einigen Jahren die ersten Quantencomputer entstehen, soll das anders werden. Der Staat lässt sich das einiges kosten: So stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) NXP und verschiedenen Partnern insgesamt 208,5 Millionen Euro zur Verfügung, verteilt auf eine Handvoll Projekte. Auf dem Gelände des Halbleiterherstellers in der Hansestadt sollen mit den öffentlichen Mitteln Prototypen der neuartigen Hochleistungscomputer gebaut werden.

So wie NXP versucht auch der Münchener Rivale Infineon, frühzeitig in der vielversprechenden Technologie Fuß zu fassen. Der Dax-Konzern geht allerdings anders vor als der Wettbewerber an der Elbe.

Quantencomputer sind eine Chance für Deutschland

Quantencomputer bewegen sich bisher auf Forschungsniveau. Das ist eine gute Chance für die Chipindustrie in Deutschland. Bei der Herstellung heutiger Rechner ist das Feld verteilt zwischen Halbleiterproduzenten aus Übersee wie AMD, Intel oder Nvidia. Nun werden die Karten neu gemischt. Es locken riesige Umsätze, selbst wenn Quantencomputer anfangs nur einen kleinen Teil des Markts abdecken dürften.

Quantencomputer können Aufgaben bewältigen, für die herkömmliche Rechner Jahrhunderte benötigen würden: Medikamente finden, kryptografische Schlüssel brechen und logistische Probleme lösen. Heutige Computer arbeiten mit Bits, die Quantenmaschinen nutzen Qubits. Diese können nicht nur Nullen und Einsen, sondern auch alle Werte dazwischen einnehmen. Das erlaubt eine enorme Rechenkraft. Für den täglichen Einsatz existieren diese Computer aber bislang nicht.

Grafik

Noch ist offen, welche Art von Quantencomputer sich durchsetzen wird. NXP konzentriert sich mit seinen Kooperationspartnern auf einen einzigen Forschungsansatz: ionenfallenbasierte Quantencomputer. Dies ist eine relativ weit fortgeschrittene Technologie, die weniger Kühlung als andere Vorgehensweisen erfordert. Um zu funktionieren, müssen die Rechner fast bis zum absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Qubits sind enorm empfindlich und sollen möglichst nicht abgelenkt werden. Bei extrem niedrigen Temperaturen gelingt das am besten.

Mit den Ionenfallen werden die Quantenteilchen gefangen und durch Laser oder Mikrowellen manipuliert. „Wir glauben, dass dies der aussichtsreichste Ansatz ist“, betonte NXP-Vorstand Reger.

Infineon hingegen nutzt darüber hinaus mit mehreren Partnern zwei weitere Verfahren: einerseits die sogenannten supraleitenden Qubits. Dabei werden die Qubits durch widerstandslos fließende Ströme in entsprechenden Schaltkreisen erzeugt. Diese Leiter erfordern allerdings eine extreme Kühlung.

Infineon will ins Herz der neuen Rechner

Andererseits nutzt Infineon die siliziumbasierten Qubits. Hier entsteht die Quanteninformation durch den Spin – den Eigendrehimpuls – von Elektronen. Bei diesem Verfahren kommen Technologien zum Einsatz, die der Chipproduzent aus seinem Geschäft mit Radarsensoren für Autos kennt.

Die beiden Chipkonzerne unterscheiden sich stark in dem, was sie zu der Entwicklung von Quantencomputern beisteuern wollen. So liefert NXP in dem vom DLR finanzierten Projekt die Steuerungselektronik, mit der die Quantencomputer in herkömmliche Rechnerumgebungen eingebettet werden sollen.

Quantencomputer werden alle gängigen Verschlüsselungsverfahren knacken. eleQtron

Quantencomputer

Quantencomputer werden alle gängigen Verschlüsselungsverfahren knacken.

Darüber hinaus stellen die Niederländer ihr Material-Know-how zur Verfügung, um die Bauteile dieser Computer bei den extrem niedrigen Temperaturen zu verpacken. Die Rechner müssen auf bis zu minus 273 Grad gekühlt werden. Zudem stammen von NXP die sogenannten Photonendetektoren, mit denen sich die Quantenzustände auslesen lassen. „Wir optimieren dabei Lösungen, die wir schon im Regal haben“, sagt Forschungschef Reger.

Infineon dagegen hat sich vorgenommen, auch den Kern der Quantencomputer zu entwickeln, den Prozessor. Er ist das Gehirn eines jeden Rechners und stammt heute meist von AMD oder Intel. „Wir bauen vor allem auch den zentralen Chip, auf dem die Rechnung stattfindet. Dort spielt die Musik in den Quantencomputern“, erläutert Infineon-Manager Sebastian Luber. Der Physiker ist verantwortlich dafür, dass der Chipkonzern in der neuen Technologie keinen Trend verpasst.

Die Bayern treiben die Quantenentwicklung im Gegensatz zu NXP an mehreren Standorten voran und kooperieren mit zahlreichen Start-ups und Universitäten. „Infineon ist als Technologiepartner für alle interessant, die einen Quantencomputer bauen wollen“, meint Luber.

Infineon ist der größte europäische Chiphersteller, NXP liegt auf Rang drei. Der französisch-italienische Konkurrent STMicroelectronics, die Nummer zwei auf dem Kontinent, wollte sich auf Handelsblatt-Anfrage nicht dazu äußern, inwiefern der Konzern an Quantencomputern forscht.

Kryptografie gegen Quantencomputer

Uneins sind sich die Halbleiterhersteller unterdessen, ab wann sich mit den neuen Maschinen Geld verdienen lässt. NXP-Vorstand Reger rechnet auf absehbare Zeit nicht mit Einnahmen durch Quantencomputer. „Der Business-Case existiert nicht“, unterstreicht der Manager.

Infineon ist optimistischer: „In naher Zukunft werden wir mit Quantentechnologie Umsätze erwirtschaften“, so Luber.

Womöglich ist es nur eine Frage der Definition, was überhaupt als Erlös mit Quantencomputern gilt. Beide Firmen haben bereits Verschlüsselungsverfahren entwickelt, die Angriffen standhalten sollen und die über die neuartigen Rechner erfolgen. Experten sprechen hierbei von der Post-Quantum-Kryptografie. „Es geht darum, die Daten schon heute so zu verschlüsseln, dass sie auch in zehn Jahren noch sicher sind, wenn leistungsfähige Quantencomputer Realität werden“, so Infineon-Manager Luber. Das ist zum Beispiel für Pässe und Ausweise wichtig, die heute ausgestellt werden und auch nächstes Jahrzehnt noch gültig sind.

Eigene Quantencomputer wollen die beiden Chiphersteller nicht bauen. Aber sie möchten von Anfang an zu den wichtigsten Lieferanten der Produzenten gehören. Das zeigt die Auswahl der Entwicklungspartner. So arbeitet NXP in dem DLR-Projekt unter anderem mit Eleqtron zusammen, einer Ausgründung der Universität Siegen, die derartige Rechner herstellt.

Ob sich solche Start-ups letztlich durchsetzen? Die Konkurrenten sind milliardenschwere Konzerne wie Google und IBM. Auch sie könnten eines Tages zu den Kunden von NXP und Infineon zählen.

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