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27.09.2019

18:23

Digitale Gesundheit

Wenn das Smartphone zum Gesundheitsberater wird

Von: Susanne Schier, Judith Henke

Gesundheits-Apps, Online-Sprechstunde, elektronische Patientenakte – die Digitalisierung der Gesundheit ist in vollem Gange. Ein Verbraucher-Guide.

„Apps auf Rezept“ stoßen bei Ärzten noch auf Widerstand. Hero Images/Getty Images

Arztbesuch

„Apps auf Rezept“ stoßen bei Ärzten noch auf Widerstand.

Frankfurt Für den Mittvierziger Stefan Mayer (Name geändert) kam die Diagnose überraschend: Diabetes Typ 2. Mit den Veränderungen in seinem Leben tat er sich zunächst schwer. Ständig war er in Sorge, zu viele Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Mehrmals täglich musste er daher Blutzucker messen. Seit einiger Zeit trägt er nun einen Sensorchip am Oberarm, der die Glukosewerte kontinuierlich und schmerzfrei misst.

Das erste Mal hat den Chip sein Diabetologe gesetzt, Mayer muss ihn nur alle 14 Tage austauschen. Seine Werte kann er bequem mithilfe einer Smartphone-App kontrollieren und die Daten an seinen Arzt überspielen. „Die automatische Messung hat meine Lebensqualität entscheidend verbessert“, sagt Mayer.

Das Beispiel zeigt, wie Patienten von der Digitalisierung im Gesundheitswesen profitieren. Gesundheits-Apps, Online-Sprechstunden, elektronische Patientenakte und E-Rezept – in kaum einer anderen Branche ist der digitale Wandel so zu spüren wie in der Gesundheitsversorgung. Neue Gesetze sollen helfen, die Digitalisierung des Gesundheitssystems voranzutreiben und einen einheitlichen Rahmen zu schaffen.

Besonders im Fokus steht das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG): Damit soll unter anderem möglich werden, Apps auf Rezept zu erhalten und Online-Sprechstunden zu nutzen, ohne zuvor persönlich bei einem Arzt darüber informiert worden zu sein. Das Bundeskabinett hat den Entwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Juli beschlossen, das Gesetz soll im Januar 2020 in Kraft treten.

Mit dem neuen Gesetz für weniger Bürokratie soll zudem der gelbe Schein zur Krankmeldung ab Januar 2021 komplett abgeschafft werden. Stattdessen leitet der Arzt diese elektronisch an die Krankenkasse weiter. Dort kann der Arbeitgeber sie abrufen, sobald er vom Ausfall des Arbeitnehmers erfahren hat.

Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) regelt unter anderem die Fristen für die Einführung des E-Rezepts. Und bis zum 1. Januar 2021 müssen die Krankenkassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte bereitstellen. Dazu soll es bald ein separates ePA-Datenschutzgesetz geben.

Apps auf Rezept

Ab 2020 können Ärzte digitale Anwendungen, sogenannte Apps, verschreiben. Die Kosten übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung. Das gilt zum Beispiel für elektronische Tagebücher für Diabetiker oder Apps für Menschen mit Bluthochdruck. Die Apps sollen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Datensicherheit, Datenschutz und Funktionalität geprüft werden.

Schon heute gibt es unzählige Gesundheits-Apps auf dem Markt. Tanja Wolf, Gesundheitsexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW, sieht dabei ein grundsätzliches Problem: „Allgemeine Qualitäts- und Sicherheitsstandards gibt es nicht, und für digitale Anwendungen ist im Gegensatz zu Arzneimitteln keine Zulassung vorgeschrieben.“

Das sei sicherlich vielen Verbrauchern so gar nicht bewusst. Ob der Nutzen der Apps inzwischen besser erkennbar ist als bei einer umfassenden Marktuntersuchung der Verbraucherzentrale vor zwei Jahren, könne sie nicht im Detail sagen, es scheine aber fraglich.

Grundsätzlich lassen sich die Apps in zwei Kategorien einteilen: Die Mehrheit der Anwendungen sind reine Fitness- oder Wellnessangebote. Immer mehr Menschen nutzen Smartwatches und Fitnesstracker, die Puls, Schrittzahl oder Blutdruck messen. Mithilfe der Apps können sie die Daten auswerten oder sich an ihr Work-out erinnern lassen.

Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom verwenden zwei von drei Smartphone-Besitzern Gesundheits-Apps. Jeder Zweite gibt an, sein Training durch die App-Nutzung optimiert zu haben. Wolf weist jedoch darauf hin, dass solche Wellness-Apps nicht immer harmlos seien: Falsch angewandte Übungen, übermäßige Fitness oder nicht zielführende Diäten könnten mehr schaden als nutzen, hieß es bereits im Marktcheck aus dem Jahr 2017.

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Davon abzugrenzen sind sogenannte Medizin-Apps. Diese unterliegen dem Geltungsbereich des Medizinproduktegesetzes (MPG) und entsprechenden Verordnungen. Für sie ist eine CE-Kennzeichnung erforderlich. Laut BfArM kann eine Smartphone-App unter anderem dann ein Medizinprodukt sein, wenn sie bei der Erkennung, Überwachung und Behandlung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen hilft.

Einen Überblick über diverse Apps können sich Verbraucher auf Plattformen wie HealthOn verschaffen. Eine staatliche Stelle, die qualitätsgesicherte Apps auflistet, gibt es noch nicht. Ein Beispiel für eine zertifizierte App ist M-Sense, eine digitale Migränetherapie. Die Anwendung bietet ein interaktives Kopfschmerztagebuch, das bei der Analyse persönlicher Schmerzmuster hilft.

Das In-App Therapiemodul M-Sense Active enthält Funktionen für eine wirksame Reduzierung von Schmerzattacken und verspricht eine Verringerung der Einnahmehäufigkeit von Schmerzmitteln. Kalmeda, eine App zur Tinnitus-Therapie, ist ebenfalls als Medizinprodukt zertifiziert. Ein individuelles Übungsprogramm soll die Einstellung des Patienten zu den wahrgenommenen Ohrgeräuschen ändern. Zudem erhält der Nutzer systematische Entspannungshilfen.

Zukunftsprojekt Telemedizin

Ein weiterer Aspekt, den das Digitale-Versorgung-Gesetz fördert, ist die Online-Sprechstunde. Patienten sollen Ärzte, die Sprechstunden per Computer oder Smartphone anbieten, künftig leichter finden. Ärzte dürfen deshalb auf ihrer Internetseite über solche Angebote informieren. Die Aufklärung für eine Videosprechstunde kann künftig auch online im Rahmen der Videosprechstunde erfolgen und nicht wie bisher im Vorfeld.

Bereits beim Ärztetag 2018 wurde das berufsrechtliche Fernbehandlungsverbot gelockert. Ärzte dürfen nun im Einzelfall auch bei ihnen noch unbekannten Patienten eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien vornehmen. Als einer der Vorreiter bietet die Plattform TeleClinic bundesweit Fernbehandlungen an.

Zunächst müssen Patienten sich registrieren und ihr Anliegen übermitteln. Danach vermittelt TeleClinic ihnen einen Arzt, mit dem sie per Telefon oder Video-Konferenz sprechen können. Zugelassen sind nur Ärzte mit deutscher Approbation. Bislang haben den Service laut TeleClinic-Chefin Katharina Jünger rund 44.000 Patienten genutzt. In der Regel wenden sie sich mit akuten Beschwerden an TeleClinic. Rund 59 Prozent der Fälle werden von einem Allgemeinmediziner gelöst.

Telemedizinische Angebote, bei denen nicht mit einem Arzt gesprochen wird, beobachten Experten mit Skepsis. So können Verbraucher über das Start-up Fernarzt.com verschreibungspflichtige Medikamente bestellen. Sie müssen dazu einen Online-Fragebogen ausfüllen, der an einen Partnerarzt in England weitergeleitet wird. Der stellt das Rezept aus.

Über eine Partnerapotheke in den Niederlanden wird das Medikament an den Kunden versendet. In einem Selbstversuch war es möglich, das Blasenentzündungsmedikament Monuril zu bestellen, ohne dass akute Beschwerden bestanden. Auch war es möglich, das falsche Geschlecht anzugeben.

„Wenn durch die Fernbehandlung nicht verifiziert werden kann, dass der Patient unter einem bestimmten Krankheitsbild leidet, verstößt eine Verschreibung gegen die Sorgfaltspflicht“, sagt Valentin Saalfrank, Fachanwalt für Medizinrecht.

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Laut Fernarzt-Geschäftsführer Florian Tonner wurde der Fragebogen nach höchsten medizinischen Standards erstellt, von den Partnerärzten geprüft und durch den medizinischen Beirat des Unternehmens abgesegnet. Außerdem würden die Partnerärzte im Zweifelsfall Rückfragen an den Patienten stellen.

Das Start-up AU-schein.de bietet seit Dezember 2018 Krankschreibungen für Erkältungen und seit diesem September für Regelschmerzen an. Auch hier beantworten Patienten einen Online-Fragebogen, der an Tele-Ärzte weitergeleitet wird, die den AU-Schein ausstellen.

Die Gefahr von Fehldiagnosen sieht Firmengründer Can Ansay als gering an. Würde der Patient Symptome auswählen, die nicht zu Erkältung oder Regelschmerzen passen, bekäme er keinen AU-Schein. Beate Puplick, Fachanwältin für Arbeitsrecht, sieht bei Online-Krankschreibungen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitgeber den Beweiswert anfechten. „Die Hemmschwelle des Patienten zu lügen ist geringer, wenn er dem Arzt nicht persönlich gegenübersitzt“, so Puplick.

E-Patientenakte

Spätestens bis 1. Januar 2021 müssen Krankenkassen ihren Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA) anbieten. Sie ermöglicht eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation der Krankengeschichte des Patienten. Die ePA muss von der Gematik, der Betreibergesellschaft der Telematik-Infrastruktur, zugelassen sein.

Die Führung einer solchen Akte ist für den Patienten freiwillig. Laut Bitkom-Umfrage würden aber zwei Drittel der Bundesbürger die E-Akte nutzen. 61 Prozent der potenziellen Nutzer fordern jedoch, dass die Datenhoheit beim Patienten liegt.
Nicht zu verwechseln mit der elektronischen Patientenakte ist die elektronische Gesundheitsakte, die nur dem Informationsrecht von Patienten dient. Schon heute kooperieren die privaten Krankenversicherer Allianz, Gothaer, Barmenia und SDK sowie einige gesetzliche Krankenkassen, darunter DAK und mehrere Innungs- und Betriebskrankenkassen, mit Vivy.

Das ist eine Gesundheits-App, mit der Patienten ihre Dokumente von Ärzten und Laboren verwalten können. Zugleich können sie sich an Impftermine, Vorsorgeuntersuchungen und Medikamenteneinnahmen erinnern lassen. Vier private Krankenversicherer und 29 gesetzliche Kassen machen bei der App mit, sie wurde bislang 130.000-mal heruntergeladen.

Die Techniker Krankenkasse bietet ihren Kunden unter dem Namen TK-Safe eine eigene elektronische Gesundheitsakte an. Diese hat 200.000 Nutzer. Laut TK-Vorstandschef Jens Baas loggt sich ein Viertel der Versicherten mindestens einmal pro Monat ein.

Ebenfalls stark von den Verbrauchern genutzt werden Online-Apotheken. Der Bitkom rechnet damit, dass noch mehr Arzneien über das Internet bestellt werden, wenn im nächsten Jahr das E-Rezept eingeführt wird.

Mehr: Sich im Krankheitsfall über einen Online-Dienst krankschreiben zu lassen, klingt verlockend. Doch eine Umfrage zeigt die Bedenken vieler Patienten.

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