Die steigende Sommerhitze bringe einer alternden Gesellschaft hohe Totenzahlen. Christian Witt fordert „Hitzemanager“ – im Sinne der Menschen und der Produktivität.
Erntestart in Sachsen
Im Osten Deutschlands beginnen die Bauern wegen Hitze und Trockenheit in diesem Jahr vielerorts früh mit der Ernte.
Bild: dpa
München Während Deutschland die Fußball-WM 2006 im eigenen Land feierte, litten die Patienten des Lungenfacharztes Christian Witt in der Berliner Charité unter der damaligen Rekordhitze. Der Zustand mancher Patienten verschlechterte sich, einige seien womöglich wegen der Hitze gestorben. Als er und seine Kolleginnen und Kollegen die Raumtemperatur auf 23 Grad herunterkühlten, ging es den Patienten schnell besser. Sie brauchten weniger Medikamente, die Dauer ihrer Krankenhausaufenthalte ging zurück.
Christian Witt, Hitzeforscher und Senior-Professor an der Charité, begann daraufhin, die Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit zu erforschen. Im Interview warnt er vor den gravierenden gesundheitlichen Folgen und stark steigenden Totenzahlen. Aktuell seien diese in Statistiken massiv untererfasst, da Patienten meist nicht direkt an, sondern „mit“ der Hitze sterben, die gesundheitliche Probleme verstärkt. Gerade Unternehmen, deren Angestellte vor allem draußen arbeiteten, müssten „Hitzemanager“ einstellen, die auf die Umsetzung von Vorsichtsmaßnahmen achteten.
Auch Büroumgebungen müssten aber stärker auf einen besseren Hitzeschutz ausgerichtet werden. Zudem sollten gerade große Kommunen wie Berlin, wo die Temperaturen in den Zentren noch einmal deutlich höher sind, öffentliche „Kälteräume“ einrichten.
Herr Witt, während die Deutschen in die Sommerferien fahren, leiden Urlaubsländer wie Italien unter einer massiven Hitzewelle. Wasser wird knapp, Bauern verbrennt die Ernte. Und auch uns stehen heiße Tage bevor. Was bedeuten Temperaturen um die 40 Grad für die Gesundheit der Menschen?
Ältere und chronisch Kranke leiden am meisten. Wer sich vorher noch einigermaßen gut bewegen konnte, ist jetzt eingeschränkt. Verkürzt kann man sagen: Die Kranken werden kränker. Chronische Bronchitis, Asthma, Herzschwäche oder hoher Blutdruck verschlechtern sich. Betroffene brauchen mehr Medikamente, fallen im Job aus und müssen sogar ins Krankenhaus. Die Hitze ist aber auch für gesunde Menschen eine große Belastung. Körperliche Arbeit fällt ab 30 Grad richtig schwer.
Christian Witt
Der Pneumologe ist Hitzeforscher und Senior-Professor an der Berliner Charité. Zuvor war er dort langjähriger klinischer Universitätsprofessor für Lungenheilkunde.
Bild: Privat
Sollte man im Sommer überhaupt noch Urlaub in Südeuropa machen?
Es gibt Menschen, die schwärmen von 40 Grad. Aber wer im internistischen Bereich Vorerkrankungen hat, etwa Probleme mit den Nieren, für den sind solche Temperaturen potenziell bedrohlich.
Wie gravierend ist die Lage aus medizinischer Sicht?
Die Entwicklung der Hochsommertemperaturen ist riskant. Natürlich werden die Kranken nicht nur kränker – am Ende sterben sie auch an der Hitze.
Laut einer aktuellen Studie des Robert Koch-Instituts haben 8700 Menschen das ungewöhnlich heiße Jahr 2018 in Deutschland mit dem Leben bezahlt.
Das ist noch eine sehr vorsichtige Schätzung. Wir haben in Deutschland schon heute einen Temperaturanstieg von 1,46 Grad, verglichen mit der Zeit zwischen 1960 und 1990. Bei Krebs würde man sagen: Der Zustand ist fortgeschritten. Eine in der Fachzeitschrift „Lancet" veröffentlichte Studie geht für Westeuropa eher von zusätzlichen 17 Hitzetoten pro 100.000 Einwohnern aus, in Osteuropa sind es fast doppelt so viele, wegen geringeren Hitzeschutzes, höherer Temperaturen und einer schlechteren Gesundheitsversorgung.
Dann hätte Deutschland im Schnitt schon jetzt über 14.000 Hitzetote pro Jahr. Die tauchen aber kaum in Statistiken auf. Gilt „Hitze“ nicht als Todesursache?
Genau. Denn mit Ausnahme eines Hitzeschlages sterben diese Menschen natürlich nicht primär an, sondern mit der Hitze. Sie ist ein Verstärker schon bestehender Krankheiten, und der Höhepunkt wird erst Ende des Jahrhunderts erreicht sein. Dazu kommen die lokalen Auswirkungen der Erwärmung und Trockenheit, wie die Konzentration von Feinstaub, Ozon oder Stickoxid. Trockenheit verhindert, dass diese Schadstoffe aus der Luft gewaschen werden. Die Schadstoffe verursachen deutschlandweit fast 100.000 vorzeitige Todesfälle im Jahr. Die Zahl wird erfreulicherweise künftig durch Emissionsminderung bei Mobilität und Heizung sinken. Dafür werden ohne Schutzmaßnahmen aber mehr Menschen durch die hohen Temperaturen sterben. Deshalb müssen wir uns dringend auf die Folgen der Erwärmung vorbereiten.
Und wie?
Zunächst braucht es eine Bewusstseinsänderung. Gerade für chronisch Kranke, Ältere und ihre Angehörigen darf es nicht mehr heißen „Hurra“, sondern „Achtung, Sommer!“ Die warme Jahreszeit wird gefährlich. Vulnerable Gruppen sollten ihre Medikation überprüfen und, wenn sie können, ihren Wohnraum so anpassen, dass sie zumindest über ein gut gekühltes Zimmer verfügen. Studien zeigen: Passen wir unsere Bauweise so an, dass Gebäude besser kühlen, reduzieren wir die Folgen direkter Hitzeeinwirkungen um die Hälfte.
Was können die Kommunen tun?
Die Hitzeaktionspläne, die ja schon existieren, auch umsetzen. Das bedeutet, dass etwa Städte wie Berlin öffentlich zugängliche Kälteräume bereitstellen, in denen sich die Anwohner für ein paar Stunden abkühlen können. So etwas fehlt bislang, gehört aber bei der Erderwärmung essenziell zum Gesundheitsschutz. Wir können gerade ältere Menschen nicht in aufgeheizten Mietwohnungen alleinlassen. Oder darauf vertrauen, dass die mobileren sich in klimatisierten Kaufhäusern abkühlen. Ich habe Patienten, die sich wegen der Klimaanlage stundenlang ins Auto setzen. Verständlicherweise: Gerade im Zentrum von Berlin wird es mitunter acht Grad wärmer als in der Peripherie. Ich leide manchmal enorm unter dieser Hitze.
Welche Verantwortung tragen Unternehmen, um ihre Mitarbeiter vor Hitze zu schützen?
Eine große, schon im Interesse der Produktivität. Die erste Wirkung von Hitze ist nachlassende Konzentration. Unser Land lebt von seiner Innovationskraft, es braucht geistige Hochleistungen. Mit hitzeadaptiven Maßnahmen können Arbeitgeber die Raumtemperaturen senken und für ein gutes Arbeitsklima sorgen. Etwa durch Klimatisierung, begrünte Fassaden oder den Einsatz von Baumaterialien die Hitze abweisen. Glasfronten heizen das Raumklima dagegen auf. Ich glaube, dass wir den Klimawandel nur meistern, wenn wir ihn auch als Treiber für Innovationen nutzen, gerade in Hinblick auf CO2-arme Technologien und regenerative Energien. Not macht erfinderisch.
Ob das auch die Feldarbeiter so sehen, die auf Äckern Gemüse und Obst ernten?
Natürlich müssen wir gefährdete Menschen schützen. „Outdoor“-Arbeiter gehören in Deutschland zur Risikogruppe. Erntebetriebe bräuchten künftig wohl „Hitzemanager“, die auf Pausen im Schatten und Flüssigkeitszufuhr der Erntehelfer achten. Das ist essenziell, um Nierenversagen oder einem Hitzschlag vorzubeugen.
Haben Sie dafür Verständnis, dass sich Finanzminister Christian Lindner gegen ein Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 stemmt?
Kaum, gerade mit Blick auf die vielen chronisch Kranken und vorzeitigen Todesfälle. Denn auch bei der Verbrennung synthetischer Kraftstoffe, mit denen man Verbrenner betanken kann, entstehen Luftschadstoffe. Zwar weniger Feinstaubpartikel, dafür aber mehr Kohlenmonoxid und gleichbleibend Stickoxide. Verbrenner haben in Pkw in der großen Breite keine Zukunft. Schon heute senken Elektroautos die Belastung durch Feinstaub und Stickoxide. Das wird künftig noch besser. Die Hitze wird sich aber stärker auswirken, sodass wir Ende des Jahrhunderts mehr Hitze- als Feinstaubtote zählen werden.
Gerade für ein Land mit alternder Bevölkerung klingt das nach schlechten Nachrichten.
Das war lange abzusehen. Wir sehen forcierte Zeichen der Erwärmung und bekommen von unserem Planeten gerade eine deftige Abmahnung. Aber jammern hilft nicht, wir müssen uns jetzt um die Anpassung an eine sich verändernde Umwelt kümmern. Und jeder muss sehen, wie er CO2 einspart.
Herr Witt, vielen Dank für das Interview.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (1)