Die Mainzer Firma Biontech forciert die Entwicklung mit den ersten klinischen Studien. Doch der Kampf gegen die Pandemie erweist sich als komplex.
Biontech-Labor
Das Mainzer Biotechunternehmen gehört zu den Hoffnungsträgern im Kampf gegen das Coronavirus.
Bild: BioNTech SE
Frankfurt Ohne breite Immunisierung der Bevölkerung gegen den Erreger der Covid-19-Erkrankung wird es keine Rückkehr in die Normalität geben. Diese Überzeugung setzt sich zunehmend sowohl bei Virologen als auch in der Politik durch.
Die Entwicklung eines Impfstoffs wird damit zum Dreh- und Angelpunkt im Kampf gegen die Coronakrise. Nach Ansicht des amerikanischen Infektionsspezialisten Mark Denison ist letztlich sogar ein Art „Manhatten“-Projekt wie einst bei der Entwicklung der amerikanischen Atombombe nötig, um die Bedrohung durch Sars-CoV-2 und mögliche weitere Coronaviren zu bereinigen – ein groß angelegtes, konzertiertes Forschungsprojekt.
Eine derart zentral gesteuerte Initiative ist zwar nicht in Sicht. Die Impfstoffentwicklung läuft inzwischen aber auf Hochtouren. Weltweit wurden immerhin schon mehr als 80 Impfstoff-Projekte initiiert. Mehr als ein Dutzend Produktkandidaten dürfte dabei im laufenden Jahr in klinische Studien gehen oder hat diese bereits aufgenommen. Das stärkt bei vielen Beobachtern die Zuversicht, dass 2021 erste Impfstoffe zur Verfügung stehen könnten.
Die Mainzer Biontech und ihr US-Partner Pfizer, die jetzt die Genehmigung für erste klinische Tests erhalten haben, bewegen sich damit – neben Konkurrenten wie den US-Firmen Moderna und Inovio sowie zwei chinesischen Firmen – an vorderster Front im Kampf gegen Covid-19.
Eine möglichst große Vielzahl an Projekten ist dabei nach Einschätzung von Experten angesichts des großen Bedarfs an Impfstoffen und der vielen Unwägbarkeiten dringend erforderlich. „Niemand kann im Moment sagen, welche Art Impfstoff am erfolgreichsten sein wird und welche Technologie am schnellsten zu einer Zulassung führt“, sagt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Pharma-Verbands VFA.
Nach bisherigen Erfahrungen dauern Impfstoff-Neuentwicklungen zum Teil Jahrzehnte. Die Zulassung für einen Ebola-Impfstoff vier Jahre nach Forschungsbeginn gilt bereits als sehr schnell. Es fehlt daher auch nicht an skeptischen Stimmen, die vor überzogenen Erwartungen an die Impfstoff-Entwicklung warnen.
Severin Schwan, der Chef des Schweizer Pharmariesen Roche etwa sieht es als wahrscheinliches Szenario an, dass vor Ende 2021 kein Impfstoff verfügbar sein dürfte. Und Geoffrey Porges, Pharmaexperte der Investmentbank SVB Leering, schätzt sogar, dass es frühestens in zwei bis drei Jahren gelingen kann, einen massentauglichen Impfstoff auf den Markt zu bringen. Und selbst danach werde es noch Jahre dauern, mit einer Impfkampagne eine Herdenimmunität zu erzeugen.
Deutlich größere Zuversicht demonstrieren dagegen die Biotech-Unternehmen Moderna und Biontech. Beide setzen auf eine völlig neuartige Impfstoff-Technologie auf Basis von Boten-Nukleinsäuren, die sogenannte Messenger-RNA (mRNA).
Grundlage ist dabei die Funktion der RNA als Zwischenglied zwischen Genen und Proteinen. Mithilfe von mRNA lassen sich daher Körperzellen im Prinzip beliebig umprogrammieren, um bestimmte Proteine zu produzieren. Diesen Effekt versuchen die RNA-Spezialisten zu nutzen, um sowohl Medikamente als auch Impfstoffe zu entwickeln. Die entscheidende Herausforderung besteht dabei darin, die künstlich hergestellte mRNA so aufzubereiten, dass sie vom Immunsystem nicht abgestoßen werden kann, bevor sie in den Zellen ihre Wirkung entfaltet.
Die Technologie befindet sich dabei noch in relativ früher Entwicklung. Bislang gibt es weder für Medikamente noch für Impfstoffe aus mRNA eine Zulassung. Die Arbeiten an Covid-19-Impfstoffen indes bietet für die Unternehmen eine Chance, ihrer Technologie auf einem besonders wichtigen Feld zum Durchbruch zu verhelfen. Das hat den RNA-Pionieren auch am Kapitalmarkt Auftrieb gegeben.
Niemand kann im Moment sagen, welche Art Impfstoff am erfolgreichsten sein wird. Rolf Hömke, Forschungssprecher VFA
Moderna wird inzwischen mit rund 16 Milliarden Dollar bewertet. Biontech bringt knapp elf Milliarden Dollar auf die Waage, nachdem der Kurs am Dienstag um rund zwölf Prozent zugelegt hat. Das Mainzer Unternehmen, das sich noch rund zur Hälfte im Besitz der Unternehmerfamilie Strüngmann befindet, ist damit das höchstbewertete deutsche Biotechunternehmen.
Biontech war im vergangenen Herbst mit einer Anfangsbewertung von knapp vier Milliarden Dollar an die US-Technologiebörse Nasdaq gegangen. Ein Listing in Deutschland galt damals als aussichtslos.
Gegenüber herkömmlichen Impfstoffen, die auf abgetöteten oder modifizierten Viren sowie auf Fragmenten von Viren basieren, bietet das Verfahren den Vorteil, dass zum einen deutlich schneller Produktkandidaten generiert werden können. Zum anderen lässt sich die Entwicklung im Erfolgsfall theoretisch schneller und kostengünstiger ausbauen.
Ein erster Produktkandidat von Moderna ging bereits im März in die klinischen Tests. Biontech folgt nun mit gleich vier Produktkandidaten, die zunächst parallel an rund 200 Patienten getestet werden sollen. In einer zweiten Stufe der Tests wollen Biontech und Pfizer 500 weitere Probanten in die Studie aufnehmen, darunter auch ältere und besonders gefährdete Personen. Weitere klinische Studien sind in den USA und in China geplant, wo Biontech mit dem chinesischen Pharmahersteller Fosun kooperiert.
Das Mainzer Unternehmen ist schwerpunktmäßig eigentlich auf die Krebstherapie spezialisiert und hat in diesem Bereich bereits mRNA-Produkte als therapeutische Impfstoffe an mehr als 400 Patienten klinisch getestet. Ebenso wie der US-Konkurrent verfügt Biontech daher bereits über klinische Erfahrungen mit dieser Art von Wirkstoffen.
Firmenchef und Gründer Ugur Sahin zeigt sich entsprechend zuversichtlich, dass auch im Kampf gegen Covid-19 mit den mRNA-Vakzinen starke Immunreaktionen angeregt werden können.
Biontech testet dabei die vier Produktkandidaten in Dosierungen zwischen einem und 100 Mikrogramm – und signalisiert damit indirekt, dass man hofft, mit sehr geringen Dosierungen starke Schutzwirkungen zu erzeugen. Diese Qualität ist relativ wichtig mit Blick auf den Kapazitätsausbau für die Produktion großer Mengen an Impfstoffen. Je geringer die Dosierung ausfallen kann, desto günstiger und schneller können große Mengen an Impfstoff für den Masseneinsatz erzeugt werden.
Gegenüber dem US-Konkurrenten Moderna, der seine Produktkandidaten in Dosierungen von 25 bis 250 Mikrogramm testet, deutet sich damit ein gewisser technischer Vorteil für die Mainzer an. Ob sich dieser bestätigt, dürften allerdings erst die klinischen Studien in den nächsten Monaten zeigen.
Pfizer und Biontech haben dessen ungeachtet angekündigt, bis Ende des Jahres Kapazitäten für „Millionen an Impfstoffdosen“ für den europäischen und den amerikanischen Markt aufbauen zu wollen. Für 2021 wird „ein rascher Ausbau der Kapazität zur Herstellung von Hunderten von Millionen Dosen“ angestrebt. Die Produktion soll dabei sowohl in Anlagen von Biontech als auch bei Pfizer erfolgen.
Die beiden Unternehmen unterlegen ihre Ambitionen mit hohen Investitionen. Dazu wird Pfizer im Zuge der Allianz zunächst 185 Millionen Dollar an Biontech zahlen, davon 72 Millionen Dollar als Vorabzahlung und 113 Millionen Euro in Form einer Kapitalbeteiligung. Abhängig von bestimmten Entwicklungserfolgen hat das Mainzer Biotechunternehmen zudem Anspruch auf weitere Zahlungen von bis zu 563 Millionen Euro.
Die Corona-Allianz der beiden Unternehmen gehört damit zu den bisher größten Deals auf dem Gebiet. Eine ähnliche Allianz wie mit Pfizer hat Biontech außerdem mit der chinesischen Firma Fosun vereinbart.
Ähnlich wie Biontech arbeitet auf deutscher Seite auch die von SAP-Gründer Dietmar Hopp finanzierte Tübinger Firma Curevac an einem RNA-basierten Impfstoff. Hier ist der Start der klinischen Versuche für den Frühsommer geplant. Die belgische RNA-Forschungsfirma Etheris will unterdessen im Laufe des Jahres mit einem RNA-Impfstoff, der als Nasenspray verabreicht wird, in die klinischen Tests gehen.
Neben den Projekten der RNA-Spezialisten sind unterdessen auch bereits mehrere Produkte auf Basis etablierter Impfstofftechnologien in die klinischen Tests gestartet. Ähnlich wie im Medikamentenbereich geht es hier um Kandidaten, für die bereits gewisse Entwicklungsschritte erfolgt waren, bevor das neue Coronavirus überhaupt in Erscheinung trat.
Dazu gehören insbesondere Impfstoffprojekte gegen die ebenfalls von Coronaviren verursachten Sars- und Mers-Infektionen. Typische Beispiele dafür sind etwa die Projekte der Oxford University und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. Der US-Konzern Johnson & Johnson setzt mit seinem Großprojekt vor allem auf Erfahrungen bei der Entwicklung eines Ebola-Impfstoffs.
Diese Impfstoffe basieren überwiegend auf sogenannten viralen Vektoren, das heißt auf modifizierten Viren, die einzelne Bestandteile des Covid-19-Erregers tragen. Die Herausforderung für diese Produkte besteht unter anderem darin, dass die Produktion komplexer ist als bei RNA-Produkten. Denn die Viren müssen zunächst in Zellkulturen vermehrt werden. Ähnliches gilt für proteinbasierte Impfstoffe, die mithilfe von genmodifizierten Mikroorganismen erzeugt werden.
Angriffspunkt für die Impfstoffe, darunter auch die Produkte von Moderna und Biontech, ist dabei praktisch durchweg das gleiche Ziel, das sogenannte Spike-Protein auf der Hülle des Coronavirus. Die rund 100 Protein-Höcker auf der Oberfläche des Erregers geben ihm sein typisches Aussehen und gelten als entscheidend für seine Fähigkeit, in Zellen einzudringen.
Konkret zielen fast alle Impfstoff-Projekte darauf, die Immunabwehr prophylaktisch gegen diese Spike-Proteine zu aktivieren und damit zu verhindern, dass Viren in die Zellen eindringen und sich vermehren.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×