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01.10.2022

11:09

Digitalpreis „The Spark“

Medizin-Nobelpreisträger Südhof: „Als Biologe ist es sehr schwer, nicht vom Gehirn fasziniert zu sein“

Von: Sebastian Matthes

PremiumThomas Südhof wurde 2013 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Bei „The Spark“ spricht er über seine Faszination für das Gehirn und neue Technologie in der Forschung.

„Wenn man in der Wissenschaft davon ausgeht, dass man einen Nobelpreis gewinnt, hat man den falschen Beruf.“ Marc-Steffen Unger

Thomas Südhof (l.) im Interview mit Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes

„Wenn man in der Wissenschaft davon ausgeht, dass man einen Nobelpreis gewinnt, hat man den falschen Beruf.“

Berlin Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich der deutsche Biochemiker Thomas Südhof mit der Frage, wie Gehirnzellen miteinander kommunizieren. Seine Forschungsergebnisse sind die Basis für Therapien etwa gegen Alzheimer. 2013 wurde er mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. Der 66-Jährige arbeitet seit 1983 in den USA, derzeit an der Stanford-Universität.

Anlässlich der Verleihung des Deutschen Digitalpreises „The Spark“ in Berlin sprach Südhof über seine Faszination für das menschliche Gehirn, die Bedeutung neuer Technologien in der Wissenschaft, und erklärt, warum die US-Forschung dynamischer ist als die deutsche.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Südhof, 2013 wurden Sie mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. War das Ihr Ansporn?
Wenn man in der Wissenschaft davon ausgeht, dass man einen Nobelpreis gewinnt, hat man den falschen Beruf. Man muss Spaß daran haben, Dinge zu entdecken und Neues zu sehen. Die Wissenschaft ist ein hartes Brot, und wenn man nicht Freude daran hat, hat man keinen Erfolg.

Lassen Sie uns zunächst über Sie sprechen. Ihre Eltern sind Ärzte. Hat Sie das Gehirn schon immer interessiert oder war das Zufall?
Als Biologe ist es sehr schwer, nicht vom Gehirn fasziniert zu sein. Ursprünglich habe ich jedoch am Cholesterinstoffwechsel gearbeitet. Während meiner Ausbildungszeit haben meine Lehrer den Nobelpreis für eine Arbeit in diesem Feld erhalten. Das war für mich sehr beeindruckend. Aber als ich die Möglichkeit hatte, selber auch unabhängig forschen zu können, habe ich nach Fragen gesucht, die niemand bis dahin gestellt hat.

Zu der Zeit wusste man nicht, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren und was die molekulare und die physische Basis ist. Deshalb habe ich mich entschieden, an dem Problem zu arbeiten. Das war eine rationale Entscheidung, aber letztlich auch eine emotionale. Denn es gibt noch immer so viele Krankheiten, die das Gehirn betreffen und die wir nicht verstehen.

Für Nicht-Mediziner: Was genau war Ihr Forschungsgegenstand?
Im Gehirn kommunizieren Milliarden Zellen konstant miteinander. Alle Funktionen – von Sehen, Riechen und Entscheidungsfindung bis zu den Gefühlen – operieren im Gehirn dadurch, dass Zellen miteinander im Austausch sind. Mich interessiert, wie dieser Prozess zustande kommt, und wie durch diese Kommunikation Informationen verarbeitet werden. Was ist die Grundlage dafür, dass Zellen miteinander reden? Unsere Arbeit hat diese Frage beantwortet. Sie hat erleuchtet, wie eine Zelle es schafft zu leben, um einer anderen Zelle etwas mitzuteilen. Für diese Entdeckung bin ich sehr dankbar.

Welche Arten von Therapien werden durch diese Erkenntnisse ermöglicht?
Ich glaube, in Zukunft wird es in unseren Gesellschaften, in Deutschland, in den USA, aber auch in China, ein immer größeres Problem sein, zu verstehen, wie Krankheiten des Gehirns entstehen, und diese zu behandeln. Wir können zwar Krankheiten wie Schizophrenie und Alzheimer behandeln, aber das sind symptomatische Therapien. Im Grunde genommen geht es darum, die fundamentale Störung im Kommunikationsprozess der Nervenzellen zu lokalisieren.

„Die aktuelle Welle ist ein Mosaik von Innovationen“

Wie hat Technologie Ihre Arbeit und Ihre Forschung verändert?
Enorm. Es hat zwei Wellen der Innovation in den letzten 50 oder 80 Jahren gegeben. Die erste Welle war die Molekularbiologie, zwischen 1970 und 1990. Diese Welle hat unsere Arbeit stark beschleunigt. Die zweite Welle findet gerade statt. Sie ist nicht so einfach zu beschreiben, weil sie aus einem Mosaik von Innovationen besteht. Das ist nicht nur maschinelles Lernen oder Künstliche Intelligenz (KI).

Natürlich sind die Verfahren wichtig, denn es sind die einzigen Methoden, große Datenmengen zu verarbeiten. Sie werden die Wissenschaft konstant verändern. Aber sie sind nur Werkzeuge und bieten keine Lösung an. Sie sind nur so gut wie die Daten, die ihnen zugeführt werden. Sie ähneln einem Mikroskop, das alleine keine Lösungen findet.

Um welche Art von Innovation geht es dann?
DNA-Sequenzierung war vor 20 Jahren unerträglich teuer. Es hat fast zwei oder drei Milliarden Dollar gekostet, das erste menschliche Genom zu sequenzieren. Heute sprechen wir davon, dass wir bald ein 100-Dollar-Genom haben. Diese Innovation verändert die Art, wie wir forschen, und schafft Möglichkeiten, Probleme anders anzugehen. Aber mit diesen Informationen müssen wir auch lernen umzugehen. Wir müssen versuchen, mit diesen Innovationen Lösungen für die großen Probleme zu finden, etwa die Frage, was Alzheimer wirklich ist, und was wir wir tun können, um die Krankheit zu therapieren.

Wenn Sie einmal in die Zukunft blicken, was wird in den kommenden zehn Jahren möglich sein, was jetzt noch undenkbar ist?
Ich glaube, dass wir in dieser Welle von Innovationen sicherlich noch weitere Veränderungen erleben werden. Aber ich glaube auch, dass wir in vielerlei Hinsicht noch nicht gelernt haben, die Informationsmöglichkeiten zu verarbeiten.

Wie meinen Sie das?
Wir wissen zurzeit, wie das menschliche Genom aussieht. Wir kennen Basenpaare, aber wir haben keine Ahnung, wie das Genom wirklich Informationen enkodiert. Wie ist es möglich, dass so ein relativ kleines Genom, das vielleicht 20.000 bis 22.000 Gene hat, den gesamten Menschen programmiert?

Das ist vielleicht übertrieben, aber immerhin trägt es entscheidend dazu bei, wie sich eine Zelle und der Gesamtorganismus verhalten. Die größte Herausforderung der Zukunft besteht darin, diese Informationen in ein sinnvolles Ganzes zu integrieren, sodass wir das Verständnis in Anwendungen umsetzen können, die wir dringend brauchen.

Hören Sie hier unseren Podcast: Handelsblatt Rethink Work mit Gehirnchirurg Peter Vajkoczy

In der Forschung werden häufig Regionen miteinander verglichen. Wie steht Deutschland im Vergleich zu den USA oder zum Rest der Welt da?
Um ehrlich zu sein, kenne ich Deutschland nicht gut genug, sondern bin vor allem in den USA tätig. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass in Deutschland die Pharmaforschung in vielerlei Hinsicht nicht die gleiche Dynamik hat wie die in der Bay Area in San Francisco.

Was heißt das?
Es geht um die Möglichkeit, sich schnell auf neue Ideen, Personen, Technologien und Therapien einzustellen. Ich habe das Gefühl, dass in den USA die Dynamik in pharmakologischen Fragen und Biotech größer ist – möglicherweise weil Personen schneller die Firma wechseln und auch die Firmen selbst schneller entstehen und wieder verschwinden können.

In den USA sind Forschung und Unternehmertum eng miteinander verknüpft. Sie sind Aufsichtsratsmitglied von Sanofi. Haben Sie einmal überlegt, in die Wirtschaft zu wechseln?
Ja, ich habe einige Firmen mitgegründet und bin an vielen Firmen als wissenschaftlicher Berater beteiligt. Das macht mir Spaß, aber letztendlich bin ich Grundlagenforscher. Grundlagenforschung dient dazu, dass man die Grundlagen für spätere Anwendungen legt. Mich treibt das Verständnis eines biologischen Prozesses an. Letztlich möchte ich forschen und dazu beitragen, dass wir Krankheiten verstehen.

Diese enge Verknüpfung gilt auch als Erfolgsfaktor in den USA. Sehen Sie das genauso?
Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen Forschung und Unternehmen, das ist richtig. Aber es gibt auch eine rigide Trennung. Meine Forschung war immer unabhängig. Das ist wichtig, denn würde sie von der Industrie finanziert, bestünde die Gefahr, dass sie zu anwendungsbezogen wird und nicht mehr innovativ ist.

Sie haben im Rahmen der Humboldt-Professur ein Angebot bekommen, in Deutschland zu forschen und zu lehren. Werden Sie zurückkommen?
Ehrlich gesagt habe ich bis jetzt kein Angebot erhalten. Die Humboldt-Stiftung hat mir aufgrund eines Antrages der Charité freundlicherweise eine Professur zugesagt, aber ein Angebot an mich müsste umfassend sein. Ich habe in meinem Leben viel gemacht und es würde mich reizen, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Gerade in Berlin gibt es viele Möglichkeiten. Aber es muss nicht sein.

Herr Südhof, vielen Dank für das Interview.

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