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03.09.2021

13:09

Klimaklagen

Deutsche Umwelthilfe: „Der weltweite Verbrennerausstieg muss bis 2030 erfolgen“

Von: Markus Fasse, Volker Votsmeier, Kathrin Witsch

Umweltverbände drohen den Autokonzernen mit Klagen, wenn der CO2-Ausstoß nicht gesenkt wird. Die Autoindustrie will sich mit allen Mitteln verteidigen.

Die Umweltverbände kritisieren ein fehlendes Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotoren.  REUTERS

Jürgen Resch

Die Umweltverbände kritisieren ein fehlendes Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotoren. 

Düsseldorf Ein paar Wochen Gnadenfrist haben die Autokonzerne von den Umweltschützern noch bekommen. „Aber wenn keine Unterlassungserklärung abgegeben wird, reichen wir Klage ein. Die Unterlagen sind fertig, und wir sind startbereit“, betonte Remo Klinger am Freitagmorgen in Berlin.

Der Rechtsanwalt vertritt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in ihrem Vorgehen gegen die Autokonzerne Mercedes-Benz und BMW sowie den Öl- und Gaskonzern Wintershall DEA. Die Klimarechtlerin Roda Verheyen vertritt Greenpeace gegen Volkswagen. Auf einer Pressekonferenz am Freitag äußerten sich die Umweltverbände zu den Details der geplanten Klimaklagen gegen die deutsche Autoindustrie. 

Am Donnerstag hatten die Ökoverbände angekündigt an Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW sogenannte „klimaschützende Unterlassungsansprüche“ zu verschicken. In den Schreiben geben die Verbände den Autobauern ein paar Wochen Zeit, um sich zu verpflichten, ab 2030 keine „Pkw und leichten Nutzfahrzeuge“ mit Verbrennungsmotor mehr in den Markt zu bringen.

Das Ausstiegsdatum haben die Kläger aus Studien von Wissenschaftlern und Experten berechnet. Es orientiert sich an dem verbleibenden CO2-Budget für die Unternehmen, insofern man sich noch im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens befinden würde. Dafür müsste Volkswagen seinen CO2-Fußabdruck bis 2030 um mindestens 65 Prozent senken. Ziele, die keiner der drei Autobauer bislang auch nur ansatzweise anpeilt.

Die reagierten am Freitag unterschiedlich auf die drohenden Klimaklagen. „Wir sehen keine Grundlage für einen Unterlassungsanspruch“, teilte ein Daimler-Sprecher auf Anfrage des Handelsblatts mit. Sollte es zu einer Klage kommen, werde man sich dagegen „mit allen juristischen Mitteln verteidigen“.

Auch Volkswagen ließ durchblicken, dass man sich nicht unter Druck setzen lassen will. Den zugestellten Schriftsatz wolle man zunächst eingehend prüfen. „Generell halten wir diese Vorgehensweise sowie die Ankündigung einer Klageerhebung gegen ein einzelnes Unternehmen nicht für ein angemessenes Mittel zur Lösung wichtiger gesellschaftlicher Herausforderungen“, sagte ein Sprecher. Volkswagen habe sich bereits 2018 klar zum Pariser Klimaabkommen bekannt und die ambitionierteste Elektrifizierungsstrategie. Bis 2025 würden 25 Milliarden Euro in die Elektromobilität investiert.

Währenddessen wich BMW den Fragen nach einer konkreten Antwort auf die Attacke der Klimaschützer aus. Ein Sprecher des Münchener Autobauers erklärte lediglich, dass BMW bisher weder eine Klageschrift noch ein Unterlassungsanspruch zugestellt wurde. Deshalb wolle man sich dazu nicht äußern. 

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BMW sieht sich selbst als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel, auch innerhalb der Automobilindustrie. „Im Sinne des Pariser Klimaabkommens bekennt sich die BMW Group zum 1,5-Grad-Ziel“, sagte der Sprecher. 

„Selbst wenn die Konzerne ihre jetzigen Klimazusagen einhalten würden – das reicht nicht“, sagte DUH-Chef Jürgen Resch. Trotz sichtbarer Folgen der Klimakrise gebe es bei den Konzernen keine Einsicht, wirklich umzusteuern. Stattdessen verhindere man seit Jahren jede Bestrebung für mehr Klimaschutz, „das werden wir mit unseren Klagen aushebeln“. 

Dabei setzen die Umweltschützer unter anderem auf die Schadensersatzpflicht und andere zivilrechtliche Grundlagen. „Derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu vermeiden“, erklärte die Hamburgerin Roda Verheyen. Aber besonders das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte den beiden Juristen Rückendeckung geben. „Jeder Mensch hat das Grundrecht auf Klimaschutz“, betonte Klinger am Freitag. 

Wegweisende Entscheidung aus Karlsruhe

Das gleiche Team um die Anwälte Verheyen und Klinger hatte im April mit einer aufsehenerregenden Klage gegen die Bundesregierung vor dem höchsten Gericht ein historisches Urteil erstritten. Das Bundesverfassungsgericht zwang die Regierung daraufhin im Eilverfahren, ihr zu lasches Klimaschutzgesetz deutlich nachzuschärfen, und machte Klimaschutz quasi zum Grundrecht. In ihrem juristischen Kampf gegen die Konzerne orientieren sich Verheyen und Klinger nach eigener Aussage aber auch stark am Klimaurteil aus den Niederlanden gegen den Öl- und Gaskonzern Shell

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Dort hatten mehrere Umweltorganisationen sowie mehr als 17.000 Bürger das fossile Multimilliardenunternehmen verklagt. Shell verstoße gegen die globalen Klimaziele und investiere weiter umfangreich in die Förderung von Öl und Erdgas. Im Mai gab der Gerichtshof in Den Haag den Klägern in einem historischen Urteil überraschend recht. Die Richter erklärten, dass die beschlossenen Maßnahmen des Unternehmens „wenig konkret und voller Vorbehalte“ seien. Um dem Urteil gerecht zu werden, muss Shell nun seine gesamte Strategie verschärfen. 

Im Falle der deutschen Autoindustrie und Wintershall hoffen DUH und Greenpeace auf ein ähnlich historisches Urteil, sollte es zu Klagen kommen. Das ist angesichts der Forderungen der Klimaschützer sehr wahrscheinlich. Während VW, Mercedes und BMW ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkaufen und ihre Emissionen im gleichen Zeitraum um 65 Prozent senken sollen, müsste der deutsche Energiekonzern Wintershall DEA sich verpflichten, ab 2026 keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu erschließen. Das Unternehmen aus Kassel will sich auf Anfrage nicht äußern. Man wolle das Schreiben erst „sorgfältig“ prüfen, teilt ein Sprecher mit. Erdgas und auch Öl will Wintershall auf unbestimmte Zeit weiter fördern. Über CO2-Ausgleichslösungen und Speicherung sollen die direkten Emissionen bis 2030 dann trotzdem auf netto Null sinken. 

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„Der eingeschlagene Transformationsprozess ist viel zu langsam. Die Unternehmen müssen endlich auf einen Paris-konformen Kurs kommen“, fordert Greenpeace Deutschlandchef Martin Kaiser. Die Umweltverbände rechnen damit, dass sich die Verfahren über mehrere Jahre hinziehen könnten, sollte es zu einer Klage kommen.

„Darauf sind wir vorbereitet“, betonte Kaiser. Finanziert werde man dabei ausschließlich von privaten Spendengeldern. 

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