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22.10.2021

08:01

Klimaschutz

„Prestige der USA steht auf dem Spiel“ – Bidens ambitionierte Klimapläne drohen zu scheitern

Von: Annett Meiritz, Katharina Kort

In den kommenden Tagen könnten die USA eine grüne Infrastrukturreform beschließen. Doch den großen Wurf, den der Präsident versprach, wird es wohl nicht geben.

Herzstück der Klima-Agenda von US-Präsident Joe Biden sind zwei Billionenpakete im Kongress, die für eine Beschleunigung der amerikanischen Energiewende sorgen sollen. Denver Post/Getty Images

US-Präsident Joe Biden in Colorado

Herzstück der Klima-Agenda von US-Präsident Joe Biden sind zwei Billionenpakete im Kongress, die für eine Beschleunigung der amerikanischen Energiewende sorgen sollen.

New York, Washington Wenn US-Präsident Joe Biden in der kommenden Woche die Air Force One besteigt, beginnt ein Gipfelmarathon. Er fliegt zum G20-Treffen in Rom, bekommt eine Audienz beim Papst, zum Finale besucht er die UN-Klimakonferenz (COP26) im schottischen Glasgow. Es ist der größte Klimagipfel seit Jahren, und die USA wollen die Hauptrolle spielen: Fast sein halbes Kabinett begleitet Biden, auch Ex-Präsident Barack Obama wird auf der COP26 auftreten.

Doch Bidens zweite Reise nach Europa soll mehr erzeugen als nur Gruppenfotos. Seine Regierung will zeigen, dass die USA mit gutem Beispiel vorangehen – vor allem im Kampf gegen den Klimawandel, den Biden als „größte Herausforderung für die Menschheit“ betrachtet. 

Am Donnerstagabend warnte Biden bei einer CNN-Veranstaltung noch einmal mit drastischen Worten vor den Folgen des Klimawandels und forderte ein entschlossenes Handeln: „Der Klimawandel ist die existenzielle Bedrohung für die Menschheit.“

Allerdings hat der US-Präsident ein Glaubwürdigkeitsproblem auf der internationalen Bühne. Denn während andere Länder, insbesondere in der EU, ihre Klimaziele konkret umsetzen, fällt Bidens bisherige Bilanz weit hinter den Erwartungen zurück.

Biden zog als Klima-Präsident ins Weiße Haus, er drängt auf eine globale Allianz, um die Erderwärmung zu stoppen. Doch neun Monate nach Amtsantritt scheint es, als ob die USA, zweitgrößter CO2-Verschmutzer hinter China, auf die Bremse treten. Bidens Ziel einer grünen Kehrtwende kommt kaum voran.

„Der US-Präsident wollte nach den Donald-Trump-Jahren schnell ein neues Kapitel aufschlagen“, sagt Barry Rabe, Klima- und Umweltexperte an der Washingtoner Denkfabrik Brookings. „Er wollte vom ersten Tag an beweisen, dass die Welt auf die USA zählen kann. Aber wir wissen immer noch nicht, ob und was Biden tatsächlich liefern kann.“

Ein Billionenpaket wird immer kleiner

Herzstück seiner Klima-Agenda sind zwei Billionenpakete im Kongress, die die amerikanische Energiewende beschleunigen sollen. Schließlich hat Biden auf dem Papier ehrgeizige Ziele definiert.

Die Treibhausgasemissionen der USA sollen sich bis 2030 fast halbieren, und die US-Wirtschaft soll bis Mitte des Jahrhunderts den Umstieg auf CO2-Neutralität geschafft haben. Doch Flügelkämpfe in seiner eigenen Partei blockieren seit Monaten ein Vorankommen, mehrfach mussten Abstimmungen im Kongress verschoben werden.

In dieser Woche lud der US-Präsident zu einem Krisentreffen ein, in dem Biden Teilnehmern zufolge sagte: „Das Prestige der USA auf der ganzen Welt steht auf dem Spiel.“ Laut dem Weißen Haus könnte schon in den nächsten Tagen eine neue Abstimmung angesetzt werden. „Das Zeitfenster, um ein Gesetz zu verabschieden, droht sich zu schließen“, warnte die Regierungszentrale in ungewohnt alarmistischem Ton. 

Eigentlich wollte Biden schon im Sommer einen Erfolg präsentieren. Das 1,2 Billionen Dollar schwere Infrastrukturpaket ist Konsens, es wurde im August überparteilich im US-Senat, einer von zwei Kammern im Kongress, beschlossen. Die USA würden damit so viel Geld wie noch nie in die Hand nehmen, um Brücken, Straßen, Gebäude zu modernisieren, dazu E-Mobilität und Katastrophenschutz fördern.

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Doch das Paket hängt im Repräsentantenhaus fest, der zweiten Kongresskammer. Denn das linke demokratische Lager will dem Infrastrukturpaket nur dann zustimmen, wenn der Kongress parallel ein 3,5 Billionen Dollar teures Haushaltspaket verabschiedet, zur Not im Alleingang und ohne republikanische Stimmen.

Dieses Megapaket enthält signifikante Investitionen in den Klimaschutz, zum Teil finanziert durch höhere Steuern. Experte Rabe geht jedoch davon aus, das die zweite, entscheidende Klimareform „nur in abgeschwächter Form“ kommen wird. 

In der jüngsten Verhandlungsrunde, berichtete die „Washington Post“ habe Biden das größere Paket auf maximal 1,9 Billionen Dollar eingedampft. Er kommt damit einer Handvoll moderater Demokraten im US-Senat entgegen, die wegen der knappen Mehrheiten alles zum Scheitern bringen können. So stammt der Chef des Energie-Ausschusses, der demokratische Senator Joe Manchin, aus dem konservativen West Virginia, einer der größten Kohlelieferanten der Nation. 

Worauf sich die US-Wirtschaft einstellen muss

Manchin und andere Zentristen sind zwar nicht grundsätzlich gegen grüne Energien. Steueranreize für E-Autos und andere Prämien bleiben wohl im Paket. „Damit kann man schon einiges erreichen“, erklärt Rabe.

Doch Abstriche machen muss Biden wohl bei einem Kern der Reform, der 150 Milliarden Dollar kostet: Das sogenannte Clean Electricity Programm belohnt Energieversorger, die auf Solar, Wind und Atomkraft setzen – und bestraft jene, die an fossilen Brennstoffen hängen.

„Dieser Ansatz ist absolutes Neuland in den USA, so etwas haben wir noch nie gemacht“, so Rabe. Sollte die Passage aus dem Gesetz fliegen, wäre die Klimareform „viel weniger ehrgeizig, als Biden es einmal versprochen hat“. 

Aktuell stammen 40 Prozent des Stroms in den USA aus erneuerbaren Quellen oder Kernkraft. Geht es nach Biden, soll die Quote bis 2030 doppelt so hoch sein. Doch ohne ein starkes Gesetz dürfte es „sehr schwer sein, dieses Ziel zu erreichen“, sagt der Experte. 

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Noch scheint der linke Flügel nicht bereit, das Clean Electricity Programm aufzugeben. „Wir können es uns nicht leisten, das Paket auszuhöhlen“, warnte die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. „Nur eine große Reform neutralisiert den Schaden der letzten Jahrzehnte und lässt uns die Klimakrise bewältigen“, sagte die New Yorkerin. „Wir brauchen saubere Energie. Das ist ein moralischer Imperativ für die Menschheit.“

Sogar bei den Öl- und Gaskonzernen fängt ein Umdenken an

In den vergangenen Jahren hat sich aber auch ohne Vorgaben aus Washington einiges bewegt, selbst in klimafeindlichen Zeiten unter Trump. Viele Unternehmen gestalten ihre Strategien schon aus Eigeninteresse nachhaltig: Immer mehr Menschen wollen E-Autos fahren und immer mehr Investoren wollen, dass ihre Anlagen klimafreundlich sind.

So hat der größte US-Autokonzern General Motors unter CEO Mary Barra bereits angekündigt, 2035 nur noch elektrische Autos produzieren zu wollen. Auch Konkurrent Ford hat erst vor wenigen Monaten angekündigt, 22 Milliarden in die Elektrifizierung zu investieren, und dass bis 2030 immerhin 40 Prozent seiner Fahrzeuge E-Autos sein sollen.

Sogar bei den Öl- und Gaskonzernen fängt ein Umdenken an, das nicht zuletzt von der Wall Street beeinflusst ist. Der aktivistische Hedgefonds „Engine No1“ etwa sorgte mit der Unterstützung mächtiger Pensionsfonds dafür, dass Exxon Mobil drei seiner zwölf Board-Mitglieder austauschen und mit Experten für erneuerbare Energien ersetzen musste. 

Es sind zum Teil beeindruckende Zahlen, die der Privatsektor vorlegt. So wollen Unternehmen wie Apple, PwC, Facebook, Microsoft und Burger King ihre CO2-Emissionen bis 2030 auf null bringen. Amazon, PepsiCo und Visa wollen das bis 2040 schaffen. Auch die Fluggesellschaften American Airlines und United Airlines, bei denen die Reduzierung deutlich komplizierter ist, wollen das bis 2050 erreichen. 

Doch die Realität führt vor Augen, wie viel noch getan werden muss, bis die USA ihre Klimaziele erfüllen: Laut einer Studie des Electric Power Research Institute müssten die meisten Kohlekraftwerke noch in diesem Jahrzehnt schließen, obwohl der Großteil der Energiekonzerne weiter auf fossile Brennstoffe setzt.

Dazu müsste der Anteil von E-Autos auf bis zu 70 Prozent steigen – im Moment beträgt er knapp zwei Prozent. Ohne staatliche Hilfe wird die Transformation nicht gelingen, heißt es aus der Wirtschaft. „Wir brauchen Anreize, um den E-Auto-Markt ins Rollen zu bringen“, sagte der US-Chef von Volkswagen, Scott Keogh, im Handelsblatt-Interview.

Bidens Macht ist begrenzt

Während auf dem Capitol Hill Stillstand herrscht, versucht Biden, den Wandel per Dekret zu beschleunigen. So erließ der Präsident in seiner ersten Woche im Oval Office ein Moratorium für neue Öl- und Gasbohrungen auf Bundesgebieten.

Die Umweltbehörde EPA kündigte erst vergangene Woche an, erderwärmende Chemikalien in Kühl- und Kälteanlagen massiv einzuschränken, im Gespräch sind auch strengere Emissionsstandards für Kraftwerke und Neuwagen.

Fast die gesamte Küste der USA soll mit Windparks ausgestattet werden. Doch bei vielen Maßnahmen dauert es lange, bis sie umgesetzt werden. AP

Offshore-Windpark in den USA

Fast die gesamte Küste der USA soll mit Windparks ausgestattet werden. Doch bei vielen Maßnahmen dauert es lange, bis sie umgesetzt werden.

Kürzlich enthüllte das Weiße Haus zudem Pläne für eine gigantische Offshore-Strategie: Fast die gesamte Küste der USA soll mit Windparks ausgestattet werden. Doch bei vielen Maßnahmen dauert es lange, bis sie umgesetzt werden. Auch hat Biden das Potenzial für Regulierungen längst nicht ausgeschöpft: So tastet die US-Regierung Förderungen auf privatem Land vorerst nicht an, auch ein Fracking-Verbot ließ Biden fallen. 

Ein Grund dafür ist die polarisierte politische Landschaft, denn vor allem aus republikanisch regierten Bundesstaaten droht eine Klagewelle. Landesweit sind Gerichte konservativ besetzt – ein Erbe aus der Zeit von Trump, der Hunderte konservative Richter auf lokaler, staatlicher und Bundesebene installieren ließ. „Alles, was Biden im Klima- und Umweltbereich beschließt, wird auf Widerstand stoßen“, erklärt Rabe.

Die USA bräuchten eine umfassende Klimareform, wenn sie langfristig grüner werden wollen. Denn im Unterschied zu Dekreten überdauern Beschlüsse im Kongress einen Regierungswechsel. „Ein großes Gesetz ist viel stabiler und glaubwürdiger als das, was der nächste Präsident mit einem Federstrich wieder rückgängig machen kann.“

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