Markenartikler wie Henkel oder Beiersdorf wollen Neuplastik in ihren Verpackungen vermeiden. Aktuelle Zahlen zeigen: Das gelingt nur bedingt. Jetzt macht die Politik Druck.
Verpackungen von Henkel
Die Industrie tut sich schwer, mehr Plastik aus ihren Verpackungen zu verbannen.
Bild: Henkel
Düsseldorf Den Beginn der Plastikwende sehen Verbraucher bei jedem Einkauf. Auf vielen Shampoo-Tuben oder Waschmittel-Flaschen werben Hersteller damit, mehr recyceltes Plastik in ihren Verpackungen zu nutzen.
Markenartikler wie Henkel (Persil, Pril), Beiersdorf (Nivea) oder Unilever (Dove, Axe) haben sich strengen Nachhaltigkeitszielen verschrieben. Die meisten wollen ihre Verpackungen bis Ende 2025 zu 30 Prozent aus recyceltem Plastik herstellen, dem sogenannten Rezyklat. Eine Handelsblatt-Auswertung der neuen Nachhaltigkeitsberichte zeigt allerdings: Die Firmen drohen ihre Plastik-Ziele zu verfehlen.
Henkel erreicht einen Altplastik-Anteil von 16 Prozent – kaum mehr als zwei Jahre zuvor. Beiersdorf schaffte es zwar, seine Quote im Vergleich zu 2020 mehr als zu verdoppeln, ist mit zehn Prozent aber noch weit von den anvisierten 30 Prozent entfernt. Kosmetikriese L’Oréal steigerte die Zahl von 21 auf 26 Prozent, peilt mit 50 Prozent bis Ende 2025 aber ein Ziel an, das für Beobachter kaum erreichbar scheint.
Kosmetikhersteller stehen vor einem Dilemma. Plastik ist für Verpackungen gut geeignet, es schützt anders als Papier vor dem Auslaufen und kann im Gegensatz zu Glas nicht zerspringen. Doch fabrikneues Plastik belastet die Umwelt, für die Herstellung einer Tonne Kunststoff werden zwei Tonnen Öl gebraucht. Als vor einem halben Jahrzehnt Bilder von plastikverseuchten Meeren die Öffentlichkeit aufschreckten, kündigte die Industrie an, verstärkt recyceltes Plastik einsetzen zu wollen.
„Viele Unternehmen haben zwar die ehrliche Absicht, nachhaltigere Verpackungen anzubieten. Aber sie haben unterschätzt, wie kostenintensiv und kompliziert dieser Prozess in der Praxis ist“, sagt Verpackungsexpertin Sonja Bähr von der technischen Unternehmensberatung Tilisco, die Konsumgüterhersteller bei dem Thema unterstützt.
Diese Erfahrung macht auch Henkel. Im Handel stehen seit Anfang April Persil-Flüssigwaschmittel in Verpackungen, die mehr Rezyklat enthalten. Ursprünglich sollten sie früher auf den Markt kommen, doch es dauerte länger, die Produktions- und Abfüllprozesse anzupassen.
„Rezyklat hat andere Eigenschaften als Neuplastik und ist für die Maschinen deutlich schwieriger zu handhaben“, sagt Henkel-Verpackungsexperte Carsten Bertram. „Die vollautomatisierten Produktionslinien lassen sich nicht von heute auf morgen umstellen.“ Zudem habe es Probleme mit der Verfügbarkeit von Maschinenteilen gegeben.
Weil Henkel mehr Altplastik bei seiner Kernmarke Persil einsetzt, rechnet Bertram damit, „dass sich die Rezyklat-Anteile nach oben bewegen werden“. Dass die Quote bei 16 Prozent stagniert, liege daran, dass Henkel 2022 weniger von jenen Wasch- und Reinigungsmitteln verkauft habe, deren Verpackungen schon einen hohen Rezyklatanteil hätten. Wegen steigender Preise sind viele Verbraucher zu günstigeren Handelsmarken gewechselt.
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Nivea-Hersteller Beiersdorf war von diesem Effekt weniger betroffen. Dennoch setzt der Dax-Konzern erst in zehn Prozent seiner Verpackungen Altplastik ein. Die Hamburger waren bei dem Thema spät dran, was sich nun rächt. „Neben uns haben noch viele andere Unternehmen Interesse an recyceltem Kunststoff. Die Mengen am Markt sind deshalb immer noch begrenzt“, teilt Beiersdorf mit. Das gelte gerade für qualitativ hochwertiges Rezyklat.
Solche Argumente hält Reinhard Schneider, Inhaber des Familienunternehmens Werner & Mertz, für vorgeschoben. Seine recycelten Verpackungen seien lebensmitteltauglich, sagt Schneider, der etwa Putzmittel der Marke Frosch herstellt. Der Unternehmer setzt 60 Prozent Rezyklat ein, Ende 2025 will er bei 100 Prozent sein.
Die Mainzer gelten als Vorreiter bei nachhaltigen Verpackungen. Diese bestehen zur Hälfte aus recyceltem Plastikmüll aus dem Gelben Sack. 2014 hatte Schneider diesen erstmals genutzt, Henkel etwa brachte erst 2022 solche Verpackungen auf den Markt.
Produktion von Frosch-Reinigungsmitteln
Hersteller Werner & Mertz als Vorreiter bei nachhaltigen Verpackungen.
Bild: Pressefoto
Viele Firmen nutzen dafür PET-Kunststoff aus dem Pfandflaschenkreislauf. Weil das Material durch Cremes oder Duschgels verunreinigt wird, steht es nicht wieder für Getränkeflaschen zur Verfügung. Das erschwert es Firmen wie Coca-Cola, an Rezyklat zu kommen.
Frosch-Chef Schneider kritisiert die Konzerne: „Der wahre und einzige Grund, weiterhin auf Neuplastik zu setzen statt auf Rezyklat, ist der niedrige Preis.“ Weil Altplastik umfangreich gereinigt und aufgearbeitet werden muss, ist es deutlich teurer als Neuplastik.
Eine Tonne PET-Rezyklat kostet rund 2000 Euro, Neuware etwa 1300 Euro, zeigen Daten des Branchendienstes Kunststoff-Information. Dabei leiden Markenartikler ohnehin unter hohen Ausgaben, etwa für Energie. Sie beteuern jedoch unisono, nicht an ihrem Nachhaltigkeitsbudget zu sparen.
Die Europäische Union verschärft zudem den Druck. Brüssel will Hersteller ab 2030 dazu verpflichten, zwischen zehn und 35 Prozent Rezyklat einzusetzen. Das Gesetz könnte im Sommer verabschiedet werden. Viele Hersteller begrüßen das: „Der derzeitige Flickenteppich unterschiedlicher und sich zum Teil widersprechender Regeln stellt alle Beteiligten vor große Probleme“, teilt Procter & Gamble (Ariel, Head & Shoulders) mit.
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft sind Markenartikler auf Unterstützung in der gesamten Wertschöpfungskette angewiesen. So trennen Verbraucher den Müll oft nicht richtig. Wenn Speisereste im Müll verschimmeln, nimmt Plastik diesen Geruch an und erschwert das Recycling. Die Hersteller adressieren das, indem sie Entsorgungshinweise größer auf die Packungen schreiben.
Markenartikler selbst haben einen wichtigen Hebel, um die Rezyklat-Menge zu steigern: Sie müssen Verpackungen so gestalten, dass sie sich gut recyceln lassen. Das ist der Fall, wenn sie nur aus einem Material bestehen, mit wenig Farben bedruckt sind und das Plastik nicht von einem großflächiges Etikett abgedeckt ist. Auch digitale Wasserzeichen können Recyclingbetrieben helfen, zielgenauer zu sortieren.
Doch auch hier machen viele Hersteller kaum Fortschritte – selbst Vorreiter Werner & Mertz stagniert bei einer Quote von 74 Prozent. Weit zurück liegt L’Oréal: Wie vor zwei Jahren sind nur knapp 40 Prozent der Verpackungen wiederverwertbar. Dabei will der Kosmetikreise Ende 2025 bei 100 Prozent sein – so wie alle anderen Wettbewerber auch.
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Gründe nennt L’Oréal auf Anfrage nicht. Der Konzern vermeide neuerdings metallische Etiketten auf den Verpackungen, um die Erkennung in den Sortierzentren zu verbessern. Unilever verweist darauf, dass in vielen Ländern das System des Verpackungsrecyclings noch nicht so etabliert sei wie in Deutschland. Das erschwere die Entwicklung. Hierzulande liege der Anteil bei 72 Prozent, global bei 55 Prozent.
Für Experten wie Joachim Christiani ist es unwahrscheinlich, dass Hersteller ihre kompletten Verpackungen kurzfristig wiederverwertbar gestalten können. Der Geschäftsführer der Beratung Cyclos-HTP unterstützt Markenartikler bei diesem Thema. „Viele Hersteller machen die Erfahrung, dass sie mehrere Jahre an ihren Verpackungen werkeln müssen, um sie recycelfähig zu gestalten.“
Denn manche Rezyklatsorten würden das Produkt verunreinigen oder es nicht gut genug vor äußerlichen Einflüssen schützen, erklärt er. Ein Problem sieht er in dem Trend, dass Firmen „vermehrt auf Verpackungen setzen, die auch Papier enthalten, weil das für Kunden einen nachhaltigen Eindruck erweckt“. Tatsächlich erschwere das die Recycelfähigkeit.
PET-Recyclinganlage in Rostock
Entsorgungsfirmen gelingt es nur mit großem Aufwand Rezyklat aufzuarbeiten.
Bild: picture alliance/dpa
Weil viele Verpackungen noch immer aus unterschiedlichen Stoffen und Farben bestehen, gelingt es Entsorgungsfirmen nur mit großem Aufwand, sortenreines und hochwertiges Rezyklat bereitzustellen.
Abfall- und Kreislaufexperte Roman Maletz von der Technischen Universität Dresden sieht langsame Fortschritte: „Weil die Hersteller hohe Mengen nachfragen, hat die hiesige Recyclingindustrie jede zweite Sortieranlage optimiert und konnte innerhalb eines Jahres 400.000 Tonnen mehr fabrikneues Plastik durch Rezyklat ersetzen.“
Um die Sortierung zu verbessern, seien weitere millionenschwere Investitionen in neue Technologien nötig, so Ingenieur Maletz. Wegen hoher Ausgaben entlang der gesamten Wertschöpfungskette stellt Frosch-Unternehmer Schneider Kunden darauf ein, dass nachhaltige Verpackungen zu höheren Preisen führen. „Nachhaltigkeit hat bis zur Überwindung von Skalierungsschwellen erst mal einen höheren Preis – wer etwas anderes behauptet, macht Verbrauchern etwas vor.“
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