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07.06.2020

13:00

Mobilität

Das autonome Fahren soll kommen – doch es droht ein Wust an Bürokratie und Verboten

Von: Daniel Delhaes

Das Verkehrsministerium will autonomes Fahren ermöglichen. Nun liegt ein Gesetzentwurf vor – der es jedoch in sich hat und selbst im Ministerium umstritten ist.

Viele Fragen rund um das autonome Fahren sind noch ungeklärt. RooM/Getty Images

Autonomes Fahren

Viele Fragen rund um das autonome Fahren sind noch ungeklärt.

Berlin Den Arbeitsauftrag fanden die Beamten von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in Zeile 3672 des Koalitionsvertrags: „Damit autonome Fahrzeuge im öffentlichen Raum rechtssicher getestet und eingesetzt werden können, werden wir Experimentierklauseln bzw. Ausnahmeregelungen schaffen“, hatten Union und SPD niedergeschrieben und gleich noch einen Termin angefügt: „Bis zum Ende der Legislaturperiode werden wir die rechtlichen Voraussetzungen für vollautonome Fahrzeuge (Stufe 5) auf geeigneten Infrastrukturen schaffen.“

Gut zwei Jahre später liegt zumindest auf der Arbeitsebene des Ministeriums ein „vertraulicher Arbeitsentwurf“ vor, mit dem die Zukunft des von Geisterhand gesteuerten Fahrzeugs auch in Deutschland wahr werden soll. Der Gesetzentwurf, vor allem aber die dazugehörige Verordnung und die Anlagen haben es allerdings in sich und sind selbst im Ministerium umstritten. Das Konvolut liegt dem Handelsblatt vor.

Das Gesetz könnte der zweite Vorstoß der Bundesregierung werden, um im Autoland Deutschland die Voraussetzungen für autonome Fahrzeuge zu schaffen. Den ersten Versuch hatte in der vergangenen Wahlperiode der damalige Minister Alexander Dobrindt (CSU) unternommen.

Seine neuen Regeln für das Straßenverkehrsrecht sollten die Haftungsfragen und Probleme lösen, die vor allem Verfassungsrechtler sehen, wenn Maschinen allein verantwortlich am Straßenverkehr teilnehmen und womöglich in unauflöslichen Situationen über Leben und Tod entscheiden müssen. Ethische Fragen blieben offen. Die Probleme löste das Gesetz nicht. Deshalb wollten die Koalitionäre in dieser Legislatur „drohende Haftungslücken“ schließen und zudem die Zulassung der Fahrzeuge regeln.

Wenn es nach den nun niedergeschriebenen Plänen geht, dann müssen Hersteller autonomer Fahrzeuge künftig eine Betriebserlaubnis nicht mehr bei den Bundesländern, sondern beim Kraftfahrt-Bundesamt beantragen und wären dann bundesweit genehmigt.

Dazu müssen sie etwa Fähigkeiten des Fahrzeugs garantieren – aber auch ausschließen. Fahrten bei Schnee, Laub und Nebel seien noch nicht möglich. Das Amt kann auch eine „Erprobungsgenehmigung“ erteilen, damit die Hersteller auf der Straße autonome Fahrfunktionen testen. Das alles ist noch unproblematisch.

Gesetz eher für Mobilitätsanbieter?

Schwieriger wird es schon bei der Frage, wo die Fahrzeuge fahren dürfen. Bislang erteilen die Länder für derartige Tests die Genehmigung und legen dazu Strecken fest. So ist in Bayern ein Abschnitt auf der A9 freigegeben, in Baden-Württemberg und Niedersachsen sind es große Testfelder über Autobahnen, Bundes- und Landstraßen. Auch haben Kommunen Straßen freigegeben, etwa in Berlin.

Künftig beantragen die Halter Strecken bei den Ländern, die dann sogenannte „festgelegte Betriebsbereiche“ freigeben. Wie es heißt, können dies Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen zwei Standorten eines Betriebs sein oder auch ein festgelegtes Gebiet, etwa eine landwirtschaftliche Fläche.

Vorher aber muss eine „örtliche Besichtigung“ stattfinden und geprüft werden, ob das Fahrzeug für den Einsatz in diesem Gebiet geeignet ist. „Hierzu werden auch amtlich anerkannte Sachverständige oder vergleichbare Stellen beauftragt werden können“, heißt es in der Verordnung. Außerhalb der definierten Strecken dürfen die führerlosen Fahrzeuge nicht fahren, „was als Beitrag zu einer höheren Verkehrssicherheit und einer höheren Akzeptanz in der Bevölkerung unerlässlich ist“, wie es im Entwurf heißt.

Allein diese Regeln lassen erahnen, dass das Gesetz nicht für Privatnutzer, sondern eher für Mobilitätsanbieter gedacht ist. So können die Einsatzgebiete Strecken umfassen, die den Nahverkehr erweitern und so die „Beförderung von Personen und/oder Gütern auf der letzten Meile oder nachfrageorientierte Angebote in Randzeiten“ ermöglichen.

Fest steht: Die Halter sollen viel Verantwortung übernehmen und im Zweifel haften, weniger die Hersteller. Die Halter müssen „alle 90 Tage eine Gesamtprüfung des Kraftfahrzeugs“ durchführen. Das Ergebnis muss „dokumentiert und dem Kraftfahrt-Bundesamt unverzüglich elektronisch übermittelt werden“.

Darüber hinaus muss der Halter eine „Technische Aufsicht“ benennen. Sie muss während der Fahrt „für Fahrgäste und andere Verkehrsteilnehmer ansprechbar sein“. Das Konstrukt soll helfen, die bis heute fehlenden internationalen Regeln für den Einsatz von Roboter-Autos im Straßenverkehr zu umgehen und den nächsten „Schritt hin zur Einführung automatisierter, autonomer und vernetzter Fahrzeuge in den Regelbetrieb auf öffentlichen Straßen“ zu ermöglichen. Vorher muss der Halter „nachweisen, dass die für die Durchführung der technischen und organisatorischen Anforderungen verantwortlichen Personen über eine hierfür geeignete Qualifikation im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik verfügen“.

Dokumentationspflichten, Tüv und weitere Prüfungen

Der Wust an Anforderungen wird weiter ausgeführt in einer Anlage 1. Dort ist etwa hinterlegt, dass der Halter das Fahrzeug sogar täglich überprüfen und neben der viermal im Jahr verordneten Inspektion einmal im Jahr auch zum Tüv muss. Hinzu kommen weitere Dokumentationspflichten und der Nachweis einer Haftpflichtversicherung. Prüfer dürfen die Geschäftsräume des Halters unangemeldet betreten, um „dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen und die vorgeschriebenen Aufzeichnungen einzusehen“.

Ob die Nahverkehrs- und neuen Mobilitätsanbieter wie Uber, Moia und Co. allerdings die Anforderungen erfüllen können und wollen, ist völlig offen. „Autonome, emissionsarme Fahrzeuge, zum Beispiel in Form von Kleinbussen, bieten gute Chancen, um Stadtquartiere und auch ländliche Räume besser an ein bestehendes Bus- und Bahnsystem anzuschließen“, erklärt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Das Nahverkehrsangebot könne so etwa „auf dem letzten Kilometer von der Haltestelle nach Hause“ verbessert werden.

„Allerdings stellen wir fest, dass es technologisch in den vergangenen zwei Jahren keine nennenswerten Fortschritte mehr beim autonomen Fahren gegeben hat“, klagt Wolff. „Es fehlt sowohl an Weiterentwicklungen bei den Fahrzeugen als auch an den nötigen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, um weitere Test und Pilotprojekte zu realisieren.“

In der Tat fahren die großen Autobauer die Investitionen in autonome Fahrzeuge zurück, nicht zuletzt wegen der Umsatzeinbrüche in der Coronakrise. Auch müssen BMW, Daimler und Co. massiv in alternative Antriebe investieren, um die Klimavorgaben zu erfüllen.

So bleibt das führerlose Auto fürs Erste in den Investitionsplänen Zukunftsmusik. Ohnehin fehlen die Geschäftsmodelle. Eine Idee schließen die Gesetzespläne sogar aus: die Teleoperation. Fahrzeuge aus der Ferne zu steuern, was ein Zwischenschritt zum autonomen Fahrzeug sein könnte, soll nur in Ausnahmefällen erlaubt sein. Als Beispiel ist in dem Entwurf „die Querung einer durchgezogenen Fahrbahnbegrenzung auf Anordnung eines Polizisten“ genannt. „Der Halter bzw. die Technische Aufsicht autorisiert lediglich die Ausführung“, heißt es in der Anlage zum Gesetzentwurf.

Das Ministerium will vorpreschen

Kein Wunder, dass der Verband der Automobilindustrie (VDA) lieber von einem evolutionären Prozess spricht. „Da das autonome Fahren erst in Zukunft eine höhere Marktdurchdringung haben wird, handelt es sich hier um Investitionen, die von zentraler Bedeutung für die künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie sind.“

Um die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur zu ermöglichen, möge daher die Politik in Vorleistung gehen. „Eine wichtige Voraussetzung für die Mobilität der Zukunft sind der flächendeckende Ausbau der dynamischen Mobilfunkversorgung sowie die Abdeckung aller Hauptverkehrswege und urbanen Räume mit 5G bis 2025“, erklärt der VDA. „Dafür müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.“

Auf ein nationales Gesetz zum automatisierten und vernetzten Fahren pocht der VDA daher gar nicht, sondern verweist auf die internationalen Gremien der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) in Genf. Dort werden derzeit zum Beispiel die technischen Regeln für den Einsatz von Autobahnassistenten erarbeitet, damit sie dann international, also auf den Zukunftsmärkten, zugelassen werden können.

Während die Mühlen in Genf langsam mahlen, will das Ministerium vorpreschen, „um dem Innovationsdrang der Technologie des führerlosen Fahrens Rechnung zu tragen“, wie es in dem vertraulichen Verordnungsentwurf heißt. Dabei gibt es noch unzählige Fragen zu klären, wie auch eine Expertenrunde zur Zulassung und Normierung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge bei der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität jüngst festgestellt hat.

So ist allein die Frage ungeklärt, mit welchem Standard die Fahrzeuge kommunizieren sollen. Eine Festlegung hatte das Ministerium im vergangenen Jahr in Brüssel verhindert.

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