PremiumPeking hat sich beim Klimaschutz ehrgeizige Ziele gesetzt. Doch die Regierung geht sehr zaghaft vor – aus Angst davor, das Wachstum zu gefährden.
Gegensätze in China
Ein Feldarbeiter in der Anhui-Provinz.
Peking Menschen stehen dicht an dicht gedrängt in einem U-Bahn-Wagon, das Wasser steht ihnen buchstäblich bis zum Hals. Auf der Straße tun sich unter strömenden Wassermassen Löcher auf und reißen Menschen in die Tiefe – es waren dramatische Szenen, die sich Mitte Juli in der zentralchinesischen Provinz Henan abspielten. Nach extremen Regenfällen hatten sich die Straßen der Provinzhauptstadt Zhengzhou in reißende Bäche verwandelt und U-Bahnen überflutet. Laut offiziellen Angaben starben mindestens 300 Menschen in den Wassermassen.
Die Überschwemmungen in Zentralchina werden einen großen Einfluss darauf haben, wie die Menschen in China über den Klimawandel denken, sagt Yan Qin, Analystin bei Refinitiv. In den vergangenen Jahren war China zurückhaltend beim Klimaschutz, in den Ministerien der Volksrepublik hatte das Thema kaum noch Relevanz.
Doch das änderte sich vor knapp einem Jahr. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kündigte bei der virtuellen Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York an, dass die Volksrepublik „vor 2060“ klimaneutral werden wolle, und versprach, dass der Ausstoß von Kohlendioxid noch „vor 2030“ den Höhepunkt erreichen würde.
Es war das erste Mal, dass ein hochrangiges Mitglied von Chinas politischer Führung ein solches Versprechen abgegeben hatte. Von den Worten des mächtigen Staats- und Parteichefs Xi Jinping ging eine enorme Signalwirkung aus. Seitdem hat die Führung auf allen Ebenen des Landes Pläne vorgelegt, wie sie die Ziele erreichen will. Tatsächlich schauen Experten im In- und Ausland genau hin, ob die chinesische Staatsführung ihren Zielen auch Taten folgen lässt.
Denn vor allem von der Volksrepublik hängt ab, wie stark sich das Klima erwärmen wird. Laut einer Analyse der Rhodium Group war Chinas Ausstoß von klimaschädlichen Gasen im Jahr 2019 nicht nur höher als der der USA, sondern übertraf auch zum ersten Mal die Emissionen aller entwickelten Länder zusammen.
Eines ist schon jetzt klar: Chinas Wirtschaft steht vor einem gewaltigen Umbruch, sollte die Regierung tatsächlich ernst machen mit der Klimaagenda. Ausgerechnet jetzt, wo die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt deutlich an Wachstumsdynamik eingebüßt hat. Coronakrise, steigende Rohstoffpreise und die zunehmende Überalterung der Gesellschaft belasten die Wirtschaft.
Zwar ist die Wirtschaft immer noch auf Erholungskurs, das Bruttoinlandsprodukt lag im vergangenen Quartal um 7,9 Prozent. Doch erst am Montag zeigte der Caixin-Einkaufsmanagerindex, eine Umfrage unter kleineren und mittelgroßen Industriebetrieben, dass sich die Stimmung verschlechtert. Der Index fiel überraschend stark auf den tiefsten Stand seit Mai 2020. Bei dem von der Regierung in Peking ermittelten Indikator für große und überwiegend staatliche Industrieunternehmen sieht es nicht viel besser aus.
Für die chinesische Regierung wird es also schwierig werden, auf der einen Seite entschlossene Maßnahmen für mehr Klimaschutz durchzusetzen, und auf der anderen Seite, die Wirtschaft zu stützen. Bislang jedenfalls ist das Engagement bezüglich des Klimaschutzes durchwachsen. Laut dem Datenanalysten Energy Policy Tracker hat der chinesische Staat zwar seit Beginn der Coronakrise mindestens 20 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien gesteckt. Allerdings unterstützte er mit fast der gleichen Summe auch fossile Energien. 2020 sind so viele neue Kohlekraftwerke in der Volksrepublik genehmigt worden wie zuletzt 2015.
Chinas Aufstieg basiert auf gewaltigen Mengen von billigem Kohlestrom, der vielerorts das Wachstum treibt. 2019 lag der Anteil von Kohlestrom an der primären Energieerzeugung bei rund 70 Prozent, beim Energieverbrauch lag er bei fast 60 Prozent. Und das Wachstum stützt sich auf riesige Investitionen in Infrastruktur und Megastädte. „Betonimperium“ nannte das „Wall Street Journal“ das Land einst. Einer Analyse der Unternehmensberatung PwC zufolge ist Chinas Energieverbrauch in Relation zur Wirtschaftsleistung 1,5-mal so hoch wie der Weltdurchschnitt und zwei- bis dreimal so hoch wie der der Industrieländer.
Chinas Verhalten in der Corona-Pandemie hat vor Augen geführt, wie stark die Volksrepublik bei der Ankurbelung des Wirtschaftswachstums in alte Muster zurückfällt. Um schneller aus der Krise zu kommen, hatte die chinesische Staatsführung aller Klimaversprechen zum Trotz doch wieder auf das altbewährte, klimaschädliche Rezept gesetzt: massive Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen. Die Nachfrage nach energieintensiven Rohstoffen wie Stahl und Zement schnellte in die Höhe.
In den vergangenen Monaten hat sich Peking jedoch einige große Ziele gesetzt. Im 14. Fünfjahresplan, der die Weichen bis zum Jahr 2025 stellt, hat sich Chinas Staatsführung vorgenommen, den Energieverbrauch um 13,5 Prozent und die CO2-Emissionen um 18 Prozent pro BIP-Einheit zu senken. Bei einer Rede im Dezember kündigte Xi zudem an, dass der Anteil von nicht fossiler Energie beim primären Energieverbrauch 25 Prozent erreichen soll. Derzeit liegt dieser Wert bei rund 15 Prozent – obwohl sowohl chinesische Unternehmen als auch der Staat in den vergangenen Jahren massiv in erneuerbare Energien investiert haben.
Im Juli startete nach einiger Verzögerung Chinas Emissionshandelssystem – es ist das größte der Welt. Doch Experten sind sich einig, dass es in den ersten Jahren kaum einen Effekt auf die Menge des CO2-Ausstoßes in der Volksrepublik haben wird. Als einen Grund dafür nennt Rosealea Yao von dem Pekinger Analysehaus Gavekal Dragonomics in einem aktuellen Report das Fehlen einer starren Obergrenze für die thermische Stromerzeugung.
Diese würde eine harte Einschränkung des Wirtschaftswachstums bedeuten, die die Führung noch nicht zu akzeptieren bereit sei. „Das Fehlen einer harten Obergrenze zeigt die Grenzen des Ministeriums für Ökologie und Umwelt, das die Einführung des Kohlenstoffmarktes geleitet hat, gegenüber der etablierten und größtenteils staatlichen Elektrizitätsindustrie und einer Führung, die immer noch auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet ist“, schreibt Yao.
Für China, das in Teilen noch unterentwickelt ist und anders als weiter entwickelte Länder wie Deutschland auf ein hohes Wachstum angewiesen ist, stellt die Umstellung auf eine klimafreundlichere Wirtschaft ein Dilemma dar. China müsse „erst noch ein solides wirtschaftliches Fundament aufbauen, und die Urbanisierung und Industrialisierung des Landes ist noch lange nicht abgeschlossen, was in Zukunft eine große Nachfrage nach Stahl, Zement, Autos und anderen Industrieprodukten mit hohem Kohlenstoffausstoß zur Folge haben wird“, heißt es in der Analyse von PwC.
Ähnlich wie in Deutschland in der Vergangenheit hängt das Wachstum in vielen Regionen und Städten in China von der Kohleproduktion und -verstromung ab. Ganze Branchen wie etwa die über Jahre boomende Bitcoin-Industrie basieren auf billigen Strompreisen und immer weiter steigendem Stromverbrauch. Die energieintensive Stahlindustrie, die seit Jahren Überkapazitäten produziert, steht für Hunderttausende Arbeitsplätze.
Regenfälle in Zhengzhou
Es waren dramatische Szenen, die sich Mitte Juli in der zentralchinesischen Provinz Henan abspielten.
Bild: VIA REUTERS
Auf der anderen Seite kommen die riesigen Subventionen und anderen Unterstützungsmaßnahmen in grüne Industrien auch bestimmten Branchen zugute. Das sieht man etwa in Shenzhen. Die Stadt hat innerhalb weniger Jahre die öffentlichen Busse nahezu komplett elektrifiziert – Auftragnehmer war das chinesische Unternehmen BYD. Bei Elektroautos und -batterien sind chinesische Unternehmen weltweit ganz vorn mit dabei. Bei Wind- und Solaranlagen gehören sie dank üppiger Subventionen inzwischen zur Weltspitze.
Wenn China es gut anstellt, dann könnte der Wandel zu mehr Klimaschutz sogar das Wirtschaftswachstum ankurbeln, glauben Experten daher. Refinitiv-Expertin Yan Qin hält es für möglich, dass China jährlich um vier bis fünf Prozent wächst und trotzdem sein Klimaziel für 2060 erreicht. „Aber es braucht stärkere Maßnahmen, vor allem im Bereich der Energieeinsparung“, sagt Yan Qin. Wenn es richtig gemacht wird, könnte eine bessere Energieeffizienz den Anstieg des Energieverbrauchs aufgrund des Wirtschaftswachstums aufwiegen.
Die chinesische Staatsführung versucht derzeit, mit einer Mischung aus Zwang und finanziellen Hilfen den Wandel zu erreichen. Laut dem Forschungsinstitut für Klimawandel an der renommierten Tsinghua-Universität muss China in den nächsten 30 Jahren 138 Billionen Yuan (rund 18 Billionen Euro) für umweltfreundliche Investitionen aufwenden, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Um mehr Finanzierung für den Bereich zu bekommen, wächst der Markt für sogenannte Green Bonds (siehe Grafik).
Experten glauben, dass China sich bei dem Wandel seiner Wirtschaft viel von Deutschland abschauen und von den Technologien profitieren kann. Für die Dekarbonisierung lägen im Bereich erneuerbare Energien, Wasserstoff und Verkehr „riesige Chancen“, sagt Refinitiv-Expertin Yan Qin. Doch China hinke bei den fortschrittlichen Technologien hinterher. „In diesem Bereich gibt es ein großes Potenzial für deutsche Unternehmen.“ Vorbild kann Deutschland auch bei der Anpassung des Stromnetzes sein, schließlich liegt der Anteil von erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Deutschland bereits bei rund 46 Prozent.
„Die deutsche Wirtschaft ist in diesem Bereich hervorragend aufgestellt, und unsere Unternehmen wollen aktiv bei der Ausgestaltung des Fahrplans der chinesischen Regierung zur Dekarbonisierung mitwirken“, sagt Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in China für Nordchina. Dazu müssten jedoch weiter indirekte Marktzugangsbarrieren „konsequent beseitigt“ und für alle Wirtschaftsakteure auf dem chinesischen Markt faire und transparente Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden, fordert Hildebrandt.
Mehr Klarheit darüber, wie genau die chinesische Staatsführung ihre Klimaschutzziele erreichen und dabei gleichzeitig das Wachstum weiter vorantreiben will, wird es in den kommenden Monaten geben. Xie Zhenhua, Sonderbeauftragter für den Klimawandel, kündigte auf einem Gipfeltreffen in Peking jüngst an, dass „in Kürze“ ein Fahrplan für die Erreichung von Kohlenstoffspitzenwerten und Kohlenstoffneutralität veröffentlicht werden soll.
Mitarbeit: Yukun Zhang
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