Im ersten Jahr erzielte Everdrop zweistellige Millionenumsätze. Nun will das Start-up mit Pflegeprodukten nachlegen – die Konkurrenz lockt Kunden mit Abos.
Everdrop Tabs
Spülmaschinentabs gehören inzwischen ebenso zur Produktpalette wie WC-Putzmittel.
Bild: Everdrop
München Spätestens als er Vater wurde, stellte sich David Löwe die Sinnfrage. Wer im Marketing für zumeist überflüssige Konsumgüter arbeite, tue ja nicht nur nichts für die Umwelt: „Man verschlimmert die Situation sogar, weil man den Konsum anheizt“, sagt der Unternehmer.
So gründete er Ende 2019 gemeinsam mit Christian Becker und Daniel Schmitt-Haverkamp Everdrop. Das Münchener Start-up will Plastikverpackungen im Haushalt überflüssig machen und hat zunächst Tabs auf den Markt gebracht, die Kunden mit Wasser zu Putzmitteln vermischen können.
Flüssige Putzmittel etwa bestehen vor allem aus Wasser. „Doch wozu soll man das ganze Wasser in Plastikflaschen durchs Land fahren, wenn jeder Leitungswasser in bester Qualität daheim hat“, sagt Löwe. Das vermeidet nicht nur Plastikmüll. Die Tabs zu transportieren ist viel weniger Aufwand, und das reduziert CO2-Emissionen im Verkehr.
Alle drei Gründer kommen aus der Welt des Marketings. Die Produkte sind schick designt, das Unternehmen hat Hunderttausende Follower in den sozialen Medien. „Wenn wir den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit wirklich schaffen wollen, müssen wir raus aus der Nische“, ist Löwe überzeugt.
Und die verlässt Everdrop so langsam auch. Laut Branchenschätzungen generierte das Start-up 2020 im ersten Jahr auf Anhieb etwa zehn Millionen Euro Umsatz. Spülmaschinentabs gehören inzwischen ebenso zur Produktpalette wie WC-Putzmittel. Dominierte bislang der Onlineabsatz, kommen die Putz- und Spülmittel nun auch großflächig in die Filialen von Rossmann, Alnatura und Edeka.
Nach Informationen des Handelsblatts soll der Umsatz damit in diesem Jahr auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag vervielfacht werden. 2022 oder 2023 könnte die 100-Millionen-Euro-Marke durchbrochen werden.
Everdrop will nun die nächsten Schritte dafür machen: „Wir werden in den nächsten zwölf Monaten die Produktpalette verdoppeln und in das Segment der Pflegeprodukte einsteigen“, kündigt Mitgründer Becker im Gespräch mit dem Handelsblatt an. Bald soll es flüssige Seife und Duschgel zum Selbermischen und ohne Plastikverpackung geben.
Das Unternehmen erfüllt damit viele Kundenwünsche. Denn angesichts des Klimawandels ist eine möglichst geringe CO2-Bilanz von Produkten ein gutes Verkaufsargument. Verpackungsmüll, der etwa in den Meeren landet, ist ebenfalls ein zentrales ökologisches Problem.
Bei der letzten Erhebung im vergangenen Herbst verzeichnete das Umweltbundesamt für Deutschland mit 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsabfall für das Jahr 2018 einen neuen Höchstwert. Auf Kunststoffverpackungen entfielen 2,8 Millionen Tonnen – auch das ist ein neuer Negativrekord. Die Behörde führt das auf „veränderte Lebensbedingungen und die damit verbundenen Verzehr- und Konsumgewohnheiten“ zurück. Der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte nehme zu. Dadurch werden kleinere Packungsgrößen gekauft.
Deutschland hat zwar eine vergleichsweise hohe Verwertungsquote. Im Jahr 2018 gingen 69 Prozent der Verpackungsabfälle in das Recycling, knapp 97 Prozent wurden verwertet. Doch recycelt wird vor allem Papier. Bei Plastik dominiert die thermische Verwertung durch Verbrennen.
Für das Klima ist es besser, wenn Verpackungen gar nicht erst produziert werden. Laut einer Studie der Organisation Worldwatchers werden für ein Kilo Kunststoffverpackung zwei Kilogramm CO2 ausgestoßen.
Damit schneidet Plastik zwar besser ab als Aluminium (7,6 Kilogramm), aber deutlich schlechter als Glas (0,6) und Papier (0,53). Dabei werden alle Umwelteinflüsse des Produkts vom Rohstoff über die Herstellung bis zur Entsorgung berücksichtigt. Das Fazit von Worldwatchers lautet: „Augen auf bei der Wahl der Verpackungsart“.
Everdrop arbeitet an vielen dieser Stellschrauben. Die Tabs sind in Papiertüten verpackt. Das machen Konkurrenten teilweise auch, doch sind die Tüten häufig innen mit Kunststoffen beschichtet. „Wir haben ein ganz neues Verfahren entwickeln lassen, bei dem die Beschichtung aus Ernteabfällen gemacht wird“, sagt Becker.
Messbecher werden aus Holz gefertigt, die immer wieder verwendbaren Dosierspender teilweise aus Glas. Das Waschmittel gibt es individuell angepasst für verschiedene Wasserhärtegrade. Bislang, erklärt Becker, würden Kunden mit hartem Wasser oft die doppelte Menge Waschpulver nehmen. Dabei reiche es, Pulver mit einem höheren Anteil von Wasserenthärter zu nutzen – wenn es nötig ist.
Auf dem Markt hat Everdrop einige Konkurrenten. In der Schweiz gibt es seit dem vergangenen Jahr Kleandrop. Das Freiburger Start-up Moanah vertreibt seit 2020 Reinigungspulver in Kombination mit Glassprühflaschen. Wettbewerber Twentyless war in der Start-up-Show „Höhle der Löwen“ dabei. Ähnliche Ansätze gibt es auch vom Pionier Biobaule, von Blauen Helden und Klaeny.
Dass Everdrop aber durch gutes Marketing und größere Finanzierungsrunden auf sich aufmerksam macht, nütze auch anderen Unternehmen, sagt Martina Ponath, Mitgründerin des Start-ups Future Stories. „Nachhaltigkeit wird zur Normalität, wenn immer mehr Produkte ohne Plastik-Verpackung auf den Markt kommen.“
Future Stories hat nach eigenen Angaben als erstes Unternehmen in Europa ein Pulvergranulat entwickelt, aus dem die Kunden mit Wasser flüssige Handseife und Duschgels mit Geltextur anschütteln können.
Das Prinzip ist ähnlich wie bei Everdrop, nur im Hygienebereich. „Viele Kunden kommen mit festen Seifen und Seifenshampoos nicht gut zurecht und wollen lieber ein Gel, wie sie es gewohnt sind“, sagt Ponath.
Das Gründerteam habe anfangs mit alternativen Verpackungen experimentiert, zum Beispiel mit Tetrapak oder Verpackungen aus Holzresten. Doch die Pulverform sei am effizientesten. Schließlich bestünden zum Beispiel Duschgels zu 90 Prozent aus Wasser, der Transport verursache große Mengen an CO2.
Perfekt ist dieses System nicht. Auch das Pulver muss verschickt werden, der Dosierspender, der wieder befüllt wird, besteht aus dem Kunststoff Tritan.
Future Stories kompensiert die Belastungen, indem es über die Eden Reforestation Projects für jedes verkaufte Pflegeprodukt einen Baum pflanzt. Das Plastik wird in Kooperation mit der Plastik Bank kompensiert. Die Umweltschutzorganisation finanziert Projekte in Entwicklungsländern, bei denen zum Beispiel Meere und Strände von Plastik gereinigt werden. Der Versand erfolgt klimaneutral, die entstandene Menge CO2 wird also ausgeglichen.
Das Münchener Start-up bietet, ähnlich wie Everdrop, ein Abo-Modell an. Schließlich lohnt sich die Produktion des Seifenspenders nur, wenn er öfter als einmal genutzt wird. Mitgründerin Ponath ist überzeugt: „Es kann ein Massenprodukt werden. Wir sind der Vorreiter für den Standard der Zukunft.“
Viele Kunden wollten heute Gutes tun. „Es wächst eine Generation von sehr bewusst denkenden Menschen heran.“ Diese wollten aber auch komfortable und praktische Produkte. „Nachhaltigkeit und Convenience müssen miteinander verbunden werden.“ Wer zum Beispiel in der Küche ein Seifengel nutze, wolle oft nicht auf feste Seife umsteigen.
Everdrop
Die Gründer von links nach rechts: Daniel Schmitt-Haverkamp, David Löwe und Chris Becker.
Bild: Everdrop
Experten sind überzeugt, dass Everdrop und andere Unternehmen die richtigen Ansätze verfolgen. „Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn der durch Produktverpackung verursachte Bedarf an Ressourcen und damit auch verursachte CO2-Emissionen so gering wie möglich gehalten werden“, sagte Dieter Niewierra von der Unternehmensberatung Climate Partner dem Handelsblatt.
Noch gebe es Produkte, bei denen die Verpackung eine Marketing-Funktion habe. In der Industrie insgesamt zeichne sich jedoch ein Trend zur Optimierung und möglichen Minimierung von Verpackung ab. „Wollen Unternehmen ihren Produkt-bedingten CO2-Fußabdruck verringern, kann hierin ein großer Hebel liegen.“
Produkte als Pulver oder Tabs zu verkaufen statt in flüssiger Form sei dabei ein Weg. Das Papier, das dabei benutzt wird, solle allerdings ohne Plastik- oder Aluminiumbeschichtung und bestenfalls Recyclingpapier sein, „damit der Emissions-Vorteil gegenüber konventionellen Verpackungen möglichst groß zum Tragen kommt“.
Auch die Versandverpackung beschäftigt die Branche. „Die perfekte Lösung hat noch niemand gefunden“, sagt Philipp Wellmer von der Initiative WeRepack.org. Fast jeder kenne das Problem: „Die Papiertonnen quillen wegen der vielen Kartons über.“ Durch Corona und den Boom des E-Commerce hat sich das Problem noch verschärft.
Zwar verwendeten die meisten Versender inzwischen Verpackungen aus recyceltem Karton. „Doch auch dafür ist viel Energie nötig.“ Zudem könne die Kartonage nicht beliebig oft aufbereitet werden. WeRepack setzt deswegen auf die direkte Wiederverwertung der Versandkartons.
Die Initiative aus München hat ein Softwaretool für Onlineshops entwickelt, in dem die Kunden anklicken können, dass sie einen wiederverwendeten Karton akzeptieren. Eine Versenderin, die Bienenwachstücher in ihrem Shop verkauft, hat so schon Hunderte Bestellungen versandt. Die Kartons sammelt sie in ihrem Viertel ein. Für größere Versender wie Everdrop ist das aber schwer umzusetzen. „Vielleicht ließen sich zumindest die Kartons der Retouren wieder mehrmals verwenden“, sagt Wellmer.
Der Ansatz von WeRepack.org sei interessant, sagt Everdrop-Mitgründer Becker. „Am besten wäre es, wenn es auch bei den Versandverpackungen eine Kreislaufwirtschaft gibt.“ Wiederverwendung sei oft der bessere Weg als energieaufwendig zu recyclen.
Es gibt aber auch Kritik an Everdrop. Das Unternehmen konnte anfangs wenige Umweltzertifikate vorweisen. Zudem nutzt es zwar keine Tenside auf Mineralölbasis, dafür aber welche aus zertifiziertem Palmöl. Auch bei der CO2-Bilanz gibt es Skepsis. „Einige der Zutaten der Putzmittel waren vor der Tab-Produktion flüssig, und die Trockenprozesse benötigen teils auch sehr viel Energie“, sagte Tristan Jorde, Experte für Umweltschutz und Hygiene bei der Verbraucherzentrale Hamburg, der „Zeit“.
Bei Everdrop haben sie die Kritik angenommen. Zertifizierung sei erst sinnvoll, wenn das Rezept optimiert sei. Die neueste Produktserie habe aber von der Bio-Zertifizierungsgesellschaft Ecocert alle Zertifikate erhalten.
Die Investoren überzeugt das Geschäftsmodell von Everdrop bislang. 18 Millionen Euro hat das Start-up bereits eingesammelt. Die jüngste Finanzierungsrunde wurde vom Londoner Investor Felix Capital angeführt. Neu an Bord ist Vorwerk Ventures. Der VC-Ableger des Thermomix-Herstellers soll Vertriebsexpertise einbringen. Zu den Investoren gehört auch HV Capital (Holtzbrinck Ventures).
Reinigungsmittel ohne Plastikverpackung hat Everdrop zwar nicht erfunden. „Das haben schon andere vor uns gemacht“, räumt Löwe offen ein. Doch dürfte Everdrop in Deutschland mit klarem Abstand Marktführer sein, inzwischen kopieren andere Anbieter den Lifestyle-Ansatz mit dem schicken Design.
Spannend ist nun, ob die großen Hersteller mir ihren Milliardenetats in das Segment einsteigen. Bislang gibt es vereinzelte Ansätze zum Beispiel bei Henkel mit der Marke Pro Nature. Die Produkte enthalten laut Konzernangaben natürliche Inhaltsstoffe und bestehen nur aus leicht abbaubaren Tensiden und Rohstoffen aus nachhaltigem Anbau. Die Verpackungen werden aus recyceltem Plastik hergestellt, zu einem Viertel aus sogenanntem Social Plastic, das zum Beispiel in Haiti von der lokalen Bevölkerung am Strand gesammelt wird.
Bei Everdrop sehen sie die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Eigentlich würden sie den Markt gern selbst erobern. „Doch wenn die ganz Großen umschwenken, dann profitiert die Welt eigentlich am meisten davon.“
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