Christian Kroll hält nichts von Profitmaximierung. Der Erfolg seiner Suchmaschine Ecosia wird in gepflanzten Bäumen gemessen. Nächstes Ziel: 130 Millionen.
Ecosia-Gründer Christian Kroll
Eine Kooperation mit Microsoft sorgt dafür, dass die Suchmaschine Ecosia mit Geld aus Werbeeinnahmen Bäume pflanzen kann.
Bild: Ecosia
Düsseldorf Alle 1,3 Sekunden wird mithilfe von Ecosia ein Baum gepflanzt. Dabei haben Bäume mit dem Kerngeschäft der Berliner Internetfirma eigentlich nichts zu tun. Ecosia betreibt eine Suchmaschine – ähnlich wie Google. „Wir pflanzen keine Bäume, um Geld zu verdienen. Wir verdienen Geld, um Bäume zu pflanzen“, sagt Christian Kroll. Er ist der Gründer eines Unternehmens, bei dem vieles anders läuft als gewöhnlich.
Der studierte Betriebswirtschaftler hält nichts von Profitmaximierung und macht sich nichts aus persönlichem Reichtum. Er trägt so gut wie immer ein einfaches, weißes T-Shirt. Und er fährt mit einem klapprigen Rad zur Arbeit. Was den Unternehmer antreibt, ist der Klimawandel.
Längst gilt er mit seinem 2009 gegründeten Unternehmen in der Start-up-Szene und darüber hinaus als Vorbild für Unternehmer, die mehr wollen, als die von ihnen produzierten Umweltschäden auszugleichen. Denn er vereint ökologischen mit ökonomischem Erfolg. Vor Corona zählte seine Firma sogar zu den 50 am schnellsten wachsenden deutschen Start-ups.
Auf den ersten Blick scheint es widersinnig, als Umweltfreund ein Suchmaschinenunternehmen aufzubauen. Jede Dienstleistung im Netz führt zu Stromverbrauch. Der Thinktank The Shift Project führt fast vier Prozent der klimaschädlichen C02-Emissionen auf die Digitalbranche zurück.
Suchriese Google schätzte 2012, das pro Anfrage 0,2 Gramm CO2 ausgestoßen werden. Seither soll sich die Effizienz der konzerneigenen Systeme verbessert haben. Aber neuere Zahlen fehlen.
Wieso also gründet einer wie Kroll ausgerechnet eine Suchmaschine? Kroll kann die Internetnutzung nicht eindämmen. Aber er kann einen Teil der im Netz generierten Gewinne wieder in den Klimaschutz stecken. Zu diesem Zweck kooperiert er seit 2009 mit Microsoft.
Microsoft ist im amerikanischen und europäischen Suchgeschäft die einzige echte Alternative zu Google, weil es einen eigenen Index an Inhalten aufgebaut hat. Dazu braucht es unheimlich viel Geld und Millionen von Nutzern.
Wer eine Suchanfrage bei Ecosia eintippt, sieht im Prinzip die gleichen Ergebnisse wie bei Microsofts Suchmaschine Bing. Das gilt auch für die Werbung, mit der sich die Suchmaschine finanziert.
„Wenn bei uns jemand auf eine Anzeige klickt, verdient erst mal Microsoft Geld“, sagt Kroll. Der US-Konzern erkenne aber, dass der Umsatz über Ecosia generiert worden sei. „Und dann bekommen wir einen Großteil des Umsatzes.“
Wie viel Prozent es genau sind, darf Kroll nicht sagen. Aber Ecosia veröffentlicht jeden Monat seine Einnahmen und wie sie verwendet wurden – für Bäume, grüne Investitionen, Steuern und Sozialabgaben, Marketing und operative Kosten.
Beispiel März 2021: Aus knapp zwei Millionen Euro Einnahmen konnten 1.783.307 Bäume finanziert werden. Die neuen Bäume kosten Ecosia dabei 789.113 Euro – 80 Prozent des Überschusses.
An anderer Stelle lässt sich nachlesen, dass es durchschnittlich 45 Suchanfragen braucht, um einen Baum zu finanzieren. Die Firma zeigt damit auch, wie viel Geld sich selbst mit einem mickrigen Marktanteil im Suchgeschäft verdienen lässt. In Deutschland hat Ecosia nach eigenen Angaben einen Marktanteil von etwas mehr als einem Prozent, in den USA etwas weniger. Europaweit sind es Analysten zufolge 0,37 Prozent.
Für Microsoft ist die Partnerschaft wirtschaftlich sinnvoll, weil es selbst nur einen geringen Anteil des Suchmarkts hält. Es kann davon ausgehen, dass Ecosia seine Nutzer eher von Google abwirbt – und ein kleiner Zugewinn für Microsoft ist immer noch besser als keiner.
Ecosia wiederum kommt nur dank der Microsoft-Technologie mit geringen Investitionen aus. Gut 73.000 Euro gab die 82-Mitarbeiter-Firma im März für Server und Software aus, etwas mehr als 381.000 Euro für Personal. Zu den Eigenentwicklungen zählen Symbole in den Suchergebnissen, die Nutzer über die Umweltverträglichkeit von Unternehmen informieren.
„Wenn man ein besonders nachhaltiges Unternehmen ist, bekommt man ein kleines grünes Blättchen. Wenn man ein besonders nicht-nachhaltiges Unternehmen ist, ein kleines Kohlesymbol“, sagt Kroll. Er hätte viele Ideen, wie sich die Suchmaschine noch verbessern ließe – aber das ginge immer auf Kosten der Klimaziele.
Dirk Lewandowski forscht an der HAW Hamburg zu Suchmaschinen und Informationsverhalten. Er sagt: „Ecosia hat mit dem Umweltargument eine loyale Nutzerschaft gewinnen können“ - und er kann sich sogar vorstellen, dass sich das Modell zur Förderung anderer Zwecke kopieren lässt - solange Microsoft selbst von den Deals profitiert.
Bis zur Publikation dieses Textes hatte Ecosia laut dem automatischen Zähler in der Suchmaschine 125,3 Millionen Bäume gepflanzt. Beim Knacken der 100-Millionen-Marke ging es davon aus, dass seine Bäume nun täglich 1771 Tonnen CO2 neutralisieren. Für diese Kalkulationen nutzt Ecosia ein Rechenmodel nach Win Rock, das Ort und Aufforstungstechnik berücksichtigt.
Bäume sind ein anerkanntes Klimaschutzmittel. Aber: „Wie viel CO2 ein Wald letztendlich bindet, hängt von lokalen Gegebenheiten wie Klima, Wasserangebot und natürlich von den gepflanzten Spezies ab“, sagt Umweltingenieur Benedikt Buchspies vom Investor Planet A. Zudem müsse dieses CO2 „für lange Zeiträume gebunden bleiben, damit der positive Effekt auf den Klimawandel zum Tragen kommt“. Zwar gibt es keine unabhängige Prüfung von Ecosias Effekten. Aber der Experte lobt, dass die Firma alle wesentlichen Punkte adressiert.
Bei der Projektauswahl fokussiert Ecosia sich auf Gebiete mit besonders großer Artenvielfalt. Zudem setzt es auf Kooperationen mit Menschen vor Ort, die die Bäume brauchen, pflanzen und sich um sie kümmern. Sie wüssten am besten, wo Bäume „Erosion verhindern, ein stabiles Mikroklima für andere Anbaukulturen erzeugen, für eine Wiederherstellung des Wassersystems sorgen oder neue Einnahmequellen bieten“.
Anfangs überließ Ecosia der Organisation WeForest die Projektauswahl. Inzwischen kümmert sich ein eigenes Team um „Chief Tree Planting Officer“ Pieter van Midwoud darum, ein studierter Forst- und Umweltpolitikwissenschaftler. Im März floss das meiste Geld nach Burkina Faso, Indien und Brasilien.
Weiter verspricht das Unternehmen: „Ecosia pflanzt keine Monokulturen oder invasive, nicht heimische Arten. Die Bäume werden mithilfe von Satellitentechnik und Besuchen vor Ort genau überwacht und nur gezählt, wenn sie länger als drei Jahre überleben.“
Weil die Pflanzpartner Planungssicherheit brauchen, schwanken die Einnahmen von Ecosia. Das zeigte sich in der Coronakrise besonders. Im November wurde die Taktung des automatischen Baumzählers von 0,8 Sekunden auf 1,3 Sekunden verlangsamt – bedingt auch durch geringere Werbeumsätze. Um die Schwankungen auszugleichen, zahlt Ecosia einen Teil seiner Einnahmen nicht sofort aus, sondern zunächst in einen Fonds.
2018 hat Ecosia zudem begonnen, mit eigenen Solaranlagen die negativen Folgen des Stromverbrauchs zu begrenzen. Heute produziere die Firma doppelt so viel Energie aus erneuerbaren Quellen, wie Ecosia-Suchanfragen verbrauchen, heißt es.
Ecosia soll keine Profite maximieren, sondern den Gewinn fürs Klima. Damit das auch so bleibt, wenn Kroll mal ausscheidet, hat der 37-Jährige seine Anteile in eine Stiftung überführt und in den Statuten festgehalten, dass der Firma keine Gewinne entnommen werden können. Die Mitarbeiter bestimmen selbst über das Schicksal ihrer Firma.
Und Kroll bekommt nur noch ein Gehalt, das nach Meinung einer Mitarbeiterin nicht mal das höchste in der Firma ist. Mit anderen Unternehmern setzt er sich auch für eine neue Rechtsform für Unternehmen ein, in der treuhänderisches Unternehmertum einfacher verankert werden kann.
Keine Profitentnahme – das gilt auch für Tim Schumacher, der durch die Entscheidung de facto enteignet wurde. Der Kölner Investor war 2013 in die Firma eingestiegen, unterstützte Krolls Idee aber sofort: „Für mich war Ecosia vom Herzen vielleicht das liebste Projekt, aber finanziell nur eins von vielen.“ Andere Menschen gründeten eine Stiftung, er habe sich eben zum Verschenken seiner Anteile entschieden.
Negative Folgen für die Entwicklung des Unternehmens beobachtet Schumacher nicht. Im Gegenteil: „Wenn wir bei Ecosia und einem anderen Start-up die gleiche Stelle ausschreiben, bekommen wir bei Ecosia fünfmal so viel gute Bewerbungen“, sagt er.
Das gelte sowohl für die Qualifikation als auch für die Motivation, obwohl andere Start-ups mit Aktienoptionen attraktivere Vergütungen anbieten könnten. „Die Leute, die dabei sind, sind weniger finanziell getrieben und sehr viel mehr missionsgetrieben.“
Serie – Klimapioniere der Wirtschaft: Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht ein neues Unternehmen auf der Welt seine frisch gesetzten Klimaziele und Ambitionen für die Energiewende erklärt. Dabei gibt es einige, die dem Trend der „Green Economy“ schon lange vorausgehen und seit vielen Jahren beweisen, dass Ökologie und Ökonomie kein Widerspruch sein müssen. In unserer Serie stellen wir ein paar dieser „Klimapioniere“ vor.
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