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15.07.2020

13:44

Start-up Ottobahn

Ein Autoexperte will mit einer Gondelbahn den Verkehr revolutionieren

Von: Axel Höpner

Marc Schindler sieht weltweit Chancen für die Ottobahn. Im Kleinen funktioniert die originelle Idee schon. Ob der Durchbruch gelingt, ist allerdings offen.

Die Passagiere der Ottobahn sollen an jeder Stelle entlang der Strecke aussteigen können. Ottobahn

Gondel auf Schienen

Die Passagiere der Ottobahn sollen an jeder Stelle entlang der Strecke aussteigen können.

München Im Kleinen funktioniert die Idee der Macher von Ottobahn zumindest schon einmal. Im Süden Münchens fährt eine Gondel auf 30 Meter Schienen durch die Firmenhalle. Wer einsteigen möchte, ordert die Kabine mit einer App herbei. So soll das einmal in der ganzen Stadt, ach was, auf der ganzen Welt funktionieren. Denn Marc Schindler und seinen Kollegen schwebt Großes vor. „Bis 2030 können wir das größte Unternehmen der Welt werden“, sagt der 40-Jährige.

Bei Ottobahn wollen sie nicht weniger, als den Verkehr in und zwischen den Städten zu revolutionieren. Schindler ist eigentlich ein Auto-Mann. Bei Audi hat er schon gearbeitet und bei einem Zulieferer, daheim bastelt er an einem 63er Corvette Coupé. „Das werde ich mein Leben lang fahren“, sagt er, der bei Ottobahn als „Can-Do-Officer“ firmiert.

Doch ansonsten seien Autos eigentlich schon eine sterbende Technologie. Die Gondel sei sicherer, zuverlässiger, günstiger und umweltfreundlicher.

Die Idee, in Städten Gondelsysteme einzusetzen, um die Verkehrsprobleme zu mildern, ist nicht neu. Auch die großen Gondelbauer Leitner und Doppelmayr wollen Stadtgondeln etablieren – und sich so etwas unabhängiger machen vom winterlichen Skibetrieb, der unter dem Klimawandel leidet. So verbindet in Pisa eine Mini-Metro von Leitner den Bahnhof mit dem Flughafen. Konkurrent Doppelmayr konnte unter anderem in Südamerika Projekte realisieren.

Doch Ottobahn setzt auf ein anderes technologisches Konzept. Die Kapazitäten seien viel größer als bei Seilbahnsystemen. Jede Kabine wird von einem eigenen kleinen Elektromotor angetrieben, der nur etwas stärker als ein normaler Staubsauger ist.

Schienennetz an Straßenlaternen

Die Gondeln hängen in fünf bis zehn Meter Höhe an Gleisen. Diese können neben Autobahnen, über Eisenbahnschienen oder an Straßenlaternen verlaufen. „Es wird nahezu kein neuer Platz benötigt“, sagt Schindler. In Stoßzeiten könnten 20 oder mehr Gondeln im Verbund durch die Gegend sausen, bei wenig Nachfrage seien die Kabinen einzeln unterwegs. Da zwei Gleise verlegt werden, kann die Gondel an jeder beliebigen Stelle ausscheren und zum Passagier herabgelassen werden.

Für den Transport auf einem Messegelände oder eine Einzelverbindung zum Beispiel zum Flughafen sind solche Systeme schon heute vorstellbar. Da gibt es viele Ansätze. Das bayerische Bauunternehmen Max Bögl zum Beispiel setzt trotz aller Rückschläge für die Technologie auf eine selbst entwickelte Magnetschwebebahn. Allerdings ist die Infrastruktur beim Modell von Ottobahn mit fünf Millionen Euro je Kilometer deutlich günstiger.

Der Ottobahn-Manager hofft, dass sich die Gondel auf Schienen weltweit durchsetzt. Ottobahn

Marc Schindler

Der Ottobahn-Manager hofft, dass sich die Gondel auf Schienen weltweit durchsetzt.

Bei Ottobahn hoffen sie bald auf den Bau einer ersten Teststrecke. Dann, sind sie überzeugt, werde sich die Technologie schnell für Kurz- wie Fernstrecken durchsetzen. Die autonomen Gondeln, die dank selbst entwickelter Software unterwegs seien, bräuchten im Betrieb nur ein Zehntel der Energie eines Elektrofahrzeugs, sagt Schindler, der auch schon bei einer Unternehmensberatung und einem Autozulieferer gearbeitet hat.

Für Ottobahn seien bis 2028 theoretisch rund 200 Milliarden Euro Umsatz drin, wenn sich die Idee durchsetze. Entwickelt hatte das Konzept von der fahrenden Gondel übrigens Frank Heinrich, ein Tüftler, der auch schon einen intelligenten Einkaufswagen erdacht und an eine Handelskette verkauft hat.

Innovatoren und Disruptoren stehen oft im Verdacht, ein wenig größenwahnsinnig zu sein. Verkehrsexperten sehen die großen Ambitionen des Start-ups zumindest auch skeptisch. „Verkehrsinfrastrukturen sind extrem langlebige, stabile Wirtschaftsgüter, die sich selbst über sehr lange Zeiträume kaum oder nur ganz langsam ändern“, sagt Arnd Stephan, Professor an der Fakultät für Verkehrswissenschaften der TU Dresden. Ein neues System müsse diese Infrastrukturen erst einmal verdrängen.

Doch spurgeführte Gondeln mit effizientem Elektroantrieb gebe es schon mehrfach, zum Beispiel als Eisenbahn, Magnetbahn oder Seilbahn. Da sei es schwer vorstellbar, dass im großen Stil eine neue Infrastruktur parallel zum Bestand errichtet werde. Neue Verkehrssysteme müssten immer erst einmal in der Nische anfangen und zeigen, dass es für einen sehr spezifischen Anwendungsfall funktioniert. Von dort aus könne es dann weitergehen.

Doch bei Ottobahn haben sie zumindest schon einige gefunden, die an die Idee glauben. „Zuerst dachte ich: Was für ein Schmarrn! Aber nach einer Zeit dämmerte mir: Die Idee ist einfach zu gut, um es nicht zu probieren“, sagt Wolfgang Klopfer, Chef der Investmentfirma Xaia, der privat bei Ottobahn eingestiegen ist.

Auch Michael Henke, Professor am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund, sagt: „Ich finde die Idee total spannend.“ Die Welt suche schon lange nach Wegen, die Fülle an Verkehr in den Griff zu bekommen. „Da ist Ottobahn eine gute Idee. Mich beeindruckt vor allem die Individualisierung.“

Phase zwei soll starten

Es gebe sicherlich noch einige Hürden. Bei einer von ihnen, nämlich bei dem richtigen Weg, die Gondeln zum Einstieg abzusenken, will das Fraunhofer-Institut im Rahmen eines Projekts helfen. Ob man eines Tages, wie es Heinrich vorschwebt, von der Haustür in einem Vorort von München mit einer Gondel bis nach Berlin fahren kann? „Das weiß ich auch nicht, das wird sich zeigen“, sagt Henke. Disruptive Veränderungen hätten aber immer mit großen Visionen begonnen.

Vor einem Jahr gab es neben Schindler nur einen weiteren Mitarbeiter, inzwischen hat Ottobahn ein Dutzend Beschäftigte und einen fertigen Prototypen. „Wir haben bewiesen, dass die Hardware funktioniert“, sagt Schindler. „Bei der Software sind wir dabei, es zu beweisen.“

Nun soll die Phase zwei beginnen, wichtigster Punkt ist die erste Teststrecke. Es sei zu befürchten, meint Schindler, dass dies eher im Ausland als in Deutschland passieren werde, wo vieles langsam geht. Doch noch hoffe man: „Es wäre doch toll, wenn das hier in Bayern klappt.“ Momentan sind die Macher von Ottobahn mit Kommunalpolitikern, Messebetreibern und anderen Unternehmern im Gespräch.

Der frühere Chef des Münchener Flughafens, Michael Kerkloh, ist überzeugt: „Ein Modellversuch auf einem Campus einer Universität oder eines Flughafens wäre jetzt der richtige nächste Schritt, um eine erste Tauglichkeit unter Beweis zu stellen.“ Die Idee von Ottobahn sei „erst mal ebenso verblüffend wie einfach und attraktiv, weil sie vergleichsweise geringe Entwicklungskosten hat und gleichzeitig große Transportvolumina verspricht“.

Anfang 2023 könne dann das erste kommerzielle Schienennetz mit einer Schienenlänge von 20 bis 50 Kilometern entstehen. Die Schienen, so der Plan, könnten bewährte Firmen wie Bechtel bauen, die Gondeln Anbieter wie Bell oder Eurocopter. Ottobahn selbst versteht sich vor allem als Softwarefirma, Herzstück der Idee ist die Steuerung der autonom fahrenden Gondeln.

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