PremiumIn Klimakammern der TU München reift Getreide sechsmal so schnell wie auf dem Feld und verbraucht einen Bruchteil des Wassers. Ist das die Lösung in Zeiten von Dürren und Starkregen?
Weizen in der „Klimakammer“ der TU München
Pro Jahr sollen fünf bis sechs Ernten möglich sein.
Bild: TU München
Freising Was passiert eigentlich, wenn Weizen auch nachts Licht bekommt? Dazu immer genug Wasser, Wärme und Luftfeuchtigkeit? Die Antwort auf diese Frage verbirgt sich in einem kleinen Raum in einer Forschungseinrichtung in Freising nördlich von München.
Violettes Licht flutet in den grauen Gang, als Sebastian Eichelsbacher die Tür zur „Klimakammer“ öffnet. Der Agrarwissenschaftler tritt ein und beugt sich über einen Pflanzentisch aus Metall, auf dem sich grüne Weizenähren drängen. Von oben beleuchtet sie ein Panel mit hunderten kleinen LED-Leuchten. Kleine Ventilatoren bewegen die Luft.
Eichelsbacher streicht über die Halme und deutet auf zarte gelbe Flecken an der Blattspitze. „Die Verfärbung ist Lichtstress, aber das Blatt sieht insgesamt gut aus.“ 20 Stunden am Tag belichten Forscher der School of Life Sciences der TU München ihren Weizen. Es surren Entfeuchter, Kühlung und Bewässerungsanlagen, die sich über einen Außencomputer steuern lassen. Sensoren messen den CO2-Gehalt, Kameras überwachen das Wachstum.
Das Ergebnis nach nur 50 Tagen bei Temperaturen um die 20 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von rund 65 Prozent: „Das Korn fühlt sich teigig an, in zehn Tagen ist es hart genug für die Ernte“, sagt der 27-Jährige zufrieden. Mit einer Reifephase von nur 60 Tagen schaffen die TUM-Forscher fünf bis sechs Ernten im Jahr. Landwirte können Weizen vom Feld nur einmal im Jahr dreschen.
„Hier drinnen können wir das ideale Klima erschaffen, das es draußen nun einmal nicht gibt“, erklärt Eichelsbacher. Erst recht nicht inmitten des Klimawandels mit häufigeren Dürren und Starkregenfällen, die zuletzt Teile Norditaliens verwüstet haben, und die in Europa immer wieder für schwerwiegende Ernteausfälle sorgen.
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Das Ziel des interdisziplinären Forschungsprojekts „Revolution der Nahrungsmittelproduktion“: mithilfe „hochautomatisierter Bedingungen“ maximale Erträge in kürzester Zeit erreichen, und das ohne Pestizide und bei minimalem Verbrauch von Fläche und Wasser.
„Wie anders soll sich eine wachsende Weltbevölkerung künftig ernähren, ohne die Umwelt zu zerstören?“, fragt Senthold Asseng, Doktorvater von Eichelsbacher und Direktor des Hans-Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften an der TUM. Mit seinem Team hat er kürzlich das Finale eines mit rund 100 Millionen Euro dotierten Wettbewerbs der Werner-Siemens-Stiftung erreicht. Mit dem Geld will Asseng ein Zentrum aufbauen, um den Anbau von Nutzpflanzen in „kontrollierten Bedingungen“ in großem Stile zu erforschen.
Vertikale Indoor-Farmen gibt es bereits am Markt. Anstelle von Getreide wachsen dort hochwertige Gemüsesorten wie Salat oder Kohl. Denn nur die bringen genug Marge, um die hohen Energiekosten für Beleuchtung und Klimatisierung auszugleichen.
Asseng aber will mit seinem Team untersuchen, ob künftig auch Weizen in vertikalen Farmen wettbewerbsfähig gedeihen kann. Schließlich ist das Getreide die wichtigste Ernährungspflanze. Sie liefere ein Fünftel aller Kalorien und Proteine für die Welternährung, sagt Asseng.
Assengs Team verwendet einen von der US-Weltraumagentur Nasa gezüchteten raumsparenden Weizen. Statt einem Meter ragt dieser nur 50 Zentimeter in die Höhe. Stapelt man diese in Schichten übereinander, steigen die Ertragsraten enorm. „Mit 100 Schichten könnten wir auf nur einem Hektar 6000-mal mehr Weizen produzieren, als es auf dem Feld möglich wäre“, sagt Asseng.
Und das bei einem Bruchteil des Wasserverbrauchs: Während auf dem Acker für ein Kilo Weizen 1500 Liter Wasser anfallen, sind es in der TUM-Weizenwachstumsfabrik nur 140 Milliliter, das ist ein Zehntausendstel. Denn dort verbleibt das Wasser im Kreislauf, während draußen ein Großteil verdunstet.
Agrarwissenschaftler Senthold Asseng
„Mit 100 Schichten könnten wir auf nur einem Hektar 6000-mal mehr Weizen produzieren, als es auf dem Feld möglich wäre.“
Bild: TU München
Eichelsbacher deutet auf zwei Schläuche, die mit einem Wassertank außerhalb der Klimakammer verbunden sind und die unter den Pflanzentisch führen. Ein Schlauch bewässert dort zweimal täglich das Getreide, durch den zweiten fließt der Rest zurück. „Das Wasser, das durch Verdunstung in unsere Mikroatmosphäre gelangt, fangen wir mit dem Entfeuchter auf und nutzen es weiter“, sagt Eichelsbacher. Ein minimaler Wasseranteil bleibe bei der Ernte im Korn.
Aus Sicht von Asseng sind Indoor-Farmen daher ein „absolutes Zukunftsthema“. Sie werden laut dem Agrarwissenschaftler Landwirtschaft zwar nicht ersetzen, aber als „wichtigen Baustein für unsere Ernährung ergänzen“.
Wann und ob sich Indoor-Weizen am Markt behaupten kann, hänge auch davon ab, wie schnell große Mengen erneuerbaren Stroms verfügbar sein werden. Investoren aus den Emiraten hätten sich schon bei Asseng gemeldet. Energiepreise, das hatten sie durchblicken lassen, spielten für sie keine Rolle.
Während einige Vertical-Farming-Firmen wie das Berliner Start-up Infarm nicht zuletzt aufgrund der Energiekrise straucheln, hat das Unternehmen Bustanica erst kürzlich in Dubai die größte vertikale Farm im Nahen Osten eröffnet. Laut Siemens, das Automatisierungs- und Gebäudetechnik für die 330.000 Quadratmeter große und 40 Millionen Dollar teure Anlage liefert, sei der Wasserverbrauch um 95 Prozent geringer als in der konventionellen Landwirtschaft. Und dazu frei von Pestiziden und Chemikalien.
Jährlich soll die Wüstenfarm eine Million Kilogramm Gemüse wie Blattsalat, Rucola oder Kohl produzieren. Auch Anders Riemann, Gründer des dänischen Start-ups Nordic Harvest, sieht für das Geschäft vor allem Wachstumspotenzial. Nordic Harvest profitiere vom günstigen Offshore-Strom in Dänemark.
Indoor-Farm von Nordic Harvest bei Kopenhagen
Die Firma, die vom günstigen Offshore-Strom in Dänemark profitiert, will auch nach Deutschland expandieren.
Bild: Reuters
Im Gespräch mit dem Handelsblatt kündigt er an, im kommenden Jahr nach Deutschland expandieren zu wollen. Ab 2025 soll der Bau einer vertikalen Farm in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Anbaufläche von 120.000 Quadratmetern abgeschlossen sein. Jährlich wollen die Dänen dort 5000 Tonnen Salat, Kräuter und Kohl für den deutschen Markt produzieren.
Damit reagiert Nordic Harvest auf einen Bedarf, der durch den Klimawandel stetig steigt: „Der deutsche Einzelhandel kämpft mit Ertragsverlusten und schlechter Qualität von Gemüse oder Obst. Einkäufer suchen händeringend nach Alternativen“, sagt Volkmar Keuter, der am Fraunhofer UMSICHT-Institut seit zehn Jahren zu gebäudeintegrierter Landwirtschaft forscht.
Wegen des Dürresommers im vergangenen Jahr habe Blattsalat aus Deutschland fast komplett in den Supermärkten gefehlt. Ein Problem sieht Keuter aber vor allem in den hohen Importmengen. „Wir bekommen die Hälfte aller Gemüsesorten aus dem Ausland. Wenn wir uns nicht komplett abhängig und verletzbar machen wollen, brauchen wir Ersatz, wenn andernorts die Ernte ausfällt.“
Für den Fraunhofer-Forscher führe wegen der Klimakrise daher kein Weg vorbei an mehr Gewächshäusern und mit sinkenden Strompreisen auch vertikalen Farmen, die platzsparender produzieren. Ob künftig auch Indoor-Weizen dazu beiträgt, muss sich allerdings noch zeigen.
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