Das Start-up Blue Yonder hilft Händlern zu entscheiden, welche Waren sie auf Lager haben müssen. Sein Gründer ist ein Karlsruher Physikprofessor.
Michael Feindt
Der Physiker wurde vom Forscher zum Unternehmer.
Bild: Simon Buxton / JDA.BlueYonder
Begonnen hat alles mit dem Urknall. Lange bevor Michael Feindt ein Start-up gründete, in den neunziger Jahren des letzten Jahrtausends, forschte der Physiker am Cern, der europäischen Organisation für Kernforschung. In der Nähe von Genf steht der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. „Man schießt Teilchen auf Anti-Teilchen“, erklärt Feindt. So entstünden Milliarden kleiner Urknall-Ereignisse. Diese würden die Wissenschaftler dann statistisch analysieren, auf der Suche nach dem Ursprung des Universums.
„Im Mikrokosmos kann man nicht sagen, was ist. Man kann nur Wahrscheinlichkeiten berechnen“, sagt Feindt. Später fiel ihm auf, dass es in der Wirtschaft nicht anders ist. Heute berechnet er mit seiner Firma Blue Yonder für Handelsunternehmen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Produkt gekauft wird oder nicht. Von seiner Professur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat er sich beurlauben lassen.
Damit ist Feindt eine Besonderheit in Deutschland. Zwar nimmt die Zahl der Ausgründungen aus der Wissenschaft zu, doch nur etwas mehr als zehn Prozent aller Start-ups werden an einer Universität gegründet. „Der Begriff Unternehmertum ist nicht positiv besetzt – und schon gar nicht mit der eigenen Person verknüpft“, sagt Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurship an der TU München. Sie forscht gerade für die Joachim-Herz-Stiftung zu der Frage, wie man den Wissenschaftlern das Gründen schmackhafter machen kann.
Michael Feindt erinnert sich, dass viele seiner Kollegen mit Unverständnis reagierten, als er 2002 die erste Firma gründete. Da war er schon Professor für Physik in Karlsruhe. Am Cern hatte er sich auf die Berechnung großer Datenmengen mithilfe von neuronalen Netzen spezialisiert. Das sei damals noch nicht üblich gewesen in der Teilchenphysik. Auch in der Wirtschaft konnte kaum jemand etwas mit Begriffen wie Big Data oder Künstlicher Intelligenz anfangen. Aber Feindt hatte „so eine Ahnung, dass das etwas von Wert ist“.
Er probierte seine Algorithmen am Aktienmarkt und bei Versicherungen aus und landete schließlich beim Handel. Zu seinen ersten Kunden gehörte die Drogeriemarktkette DM. Deren Gründer, Götz Werner, hatte damals eine Ehrenprofessur am KIT inne – die Wege waren kurz.
Ein Händler, lernte der Physikprofessor, kann nie so genau wissen, wie viele Leute kommen und was genau sie wollen. Hat er zu wenig auf Lager, sind die Kunden enttäuscht. Hat er zu viel, muss er hohe Rabatte gewähren – vor allem, wenn die Ware verderblich ist. Zu Weihnachten, sagt Feindt, sei es mit der Lebensmittelverschwendung am Schlimmsten, da kauften immer alle zu viel.
„Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, dafür ist der Mensch nicht gemacht. Egal wie viel Berufserfahrung er hat“, sagt Feindt. Er programmierte mit seinem Team eine Software, die mehr als 200 Einflussfaktoren pro Prognose kombiniert, Wetterdaten, etwa, Wochentage oder Warenbestand, und zwei Fragen beantwortet: Was muss wann auf Lager sein? Was braucht welchen Preis?
Er stellte einen Geschäftsführer ein, Uwe Weiß, der Ahnung hatte von Vertrieb und Marketing. Der überzeugte den Professor auch davon, sich auf ein Produkt zu fokussieren, statt ständig neue, spannende Aufträge anzunehmen. „Als Physiker denkt man, man könne alles“, sagt Feindt rückblickend. „Aber das hat Grenzen.“
Über einen Wettbewerb gewann die Firma den Otto-Konzern als Kunden – und als Investor. Später stieg auch die Private-Equity-Firma Warburg Pincus bei Blue Yonder ein. Im letzten Jahr wurde das Start-up an das amerikanische Software-Unternehmen JDA verkauft.
Als Start-up in Deutschland habe man es schwer, allein groß zu werden, meint Feindt: „Entweder man wird von oben herab behandelt, oder die Konzerne wollen einen gleich aufkaufen. Hier muss man Schlange stehen, um Zulieferer werden zu dürfen.“ Er ist auch nach dem Verkauf noch für Blue Yonder tätig, „Founder & Chief Scientist“ steht auf seiner Visitenkarte.
Ob er sich vorstellen kann, wieder als Wissenschaftler an der Universität zu arbeiten? „Ausschließlich? Nein“, sagt Feindt. Sicher habe man als Professor viele Freiheiten. „Als Unternehmer hat man auch Freiheiten – aber auch viel Druck. Man muss ständig Geld beschaffen. Und man hat immer Probleme im Kopf, kann nie abschalten.“ Andererseits sei das ein tolles Gefühl, wenn bei der Weihnachtsfeier 150 Leute an einem gedeckten Tisch säßen, nur weil einer diese Idee hatte. „Da ist man schon stolz“, sagt Feindt.
Der Unternehmer beklagt, dass Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland so strikt voneinander getrennt sind – anders als in den USA. An der Hochschule in Texas, wo die Entwickler von JDA sitzen, habe man ihn nach der Übernahme gleich kennen lernen wollen.
Vom Wesen her seien sich Wissenschaftler und Gründer gar nicht so unähnlich, meint auch Forscherin Nicola Breugst. So müssten sich beide gut strukturieren und auch mal Misserfolge aushalten können: „Es gibt kein Rezept – weder für das Gründen noch für die Wissenschaft.“
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