Chemie und Stahl treiben ihre Umstellung auf grüne Technologien und Energie voran. Doch die geballte Regulierung droht viele Unternehmen zu überfordern.
Testanlage von BASF zur Produktion von klimafreundlichem Wasserstoff
Der Konzern will spätestens 2050 klimaneutral werden.
Bild: obs
Düsseldorf Trotz der Belastungen durch die hohen Gaspreise rücken energieintensive Unternehmen nicht von ihren milliardenschweren Investitionen in Klimaprojekte ab. Das zeigt eine Umfrage des Handelsblatts unter Konzernen aus der Chemie- und Stahlindustrie. Die aktuellen Entwicklungen führen etwa beim Chemieriesen BASF dazu, dass der Umbau nun sogar noch beschleunigt wird, wie Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel sagt.
Ähnlich positionieren sich andere große Chemiehersteller, die an ihren ambitionierten Zielen zur CO2-Einsparung und zum grünen Umbau insgesamt festhalten. „Die aktuelle Situation bestärkt uns in unserer eingeschlagenen Richtung, denn die Themen erneuerbare Energien und alternative Rohstoffe sind aktueller denn je“, heißt es beim Kunststoffhersteller Covestro.
Beim Essener Spezialchemiekonzern Evonik wird die teure Energie dazu führen, dass der Konzern seine grüne Transformation „eher noch verstärken wird“, sagt Finanzchefin Ute Wolf. Auch Stahlhersteller wie Thyssen-Krupp wollen sich von der aktuellen Preisentwicklung beim Erdgas nicht bremsen lassen und halten an ihren Zeitplänen für den Ersatz von kohlebetriebenen Hochöfen etwa durch Elektroöfen fest.
Beide Industrien – Chemie wie Stahl – hatten eigentlich preiswertes Gas als Brückentechnologie in den kommenden Jahren eingeplant. Dadurch sollte die milliardenteure Umstellung auf erneuerbare Energie und alternative Rohstoffe finanziell besser verkraftet werden.
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Doch Ukrainekrieg und der im Raum stehende Lieferboykott von Gas aus Russland haben dieses Kalkül zunichtegemacht: Der Preis ist seit Anfang 2019 von 22,45 Euro je Megawattstunde (MWh) Erdgas auf zeitweise mehr als 200 Euro gestiegen. Aktuell liegt er bei 85 Euro je MWh und dürfte auf absehbare Zeit hoch bleiben.
Schon jetzt sind die aktuellen Belastungen wegen der Strom- und Gaspreise hoch. Beim Kölner Chemiekonzern Lanxess könnten die Energiekosten im laufenden Jahr die Marke von einer Milliarde Euro erreichen, was in etwa den gesamten Personalkosten entspricht. Bei Covestro könnten sich die Ausgaben für Energie im Vergleich zu 2020 voraussichtlich auf mehr als 1,5 Milliarden Euro verdreifachen.
Zugleich aber müssen die Unternehmen in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen in den grünen Umbau stemmen. BASF etwa hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um ein Viertel zu senken und 2050 klimaneutral zu sein. Dazu will der Konzern mittelfristig weitere vier Milliarden Euro investieren. Langfristig sind Beträge von mehr als zehn Milliarden Euro vorgesehen.
Der Chemiekonzern hat sich bereits mehrere große Lieferverträge über Strom aus Offshore-Windparks gesichert, etwa vor der holländischen Nordseeküste. Dieser Wechsel hin zu erneuerbarer Energie werde jetzt forciert, sagt BASF-Finanzvorstand Engel – ungeachtet der Belastungen durch das absehbar teure Gas als aktuelle Energieform Nummer eins für die Chemie.
Diese Entwicklung zeigt sich insgesamt beim Umbau der deutschen Industrie. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine können sich Hersteller von Solar, Wind und Speichern kaum noch retten vor Anfragen. Mit dem absehbar teuer bleibenden Gas werden die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähiger – in einigen Regionen der Welt ist grüner Strom schon jetzt die günstigere Alternative.
„Gerade im Gewerbe ist der Preis das größte Argument“, sagt der Chef des deutschen Bundesverbands für Energiespeicher, Urban Windelen. Sei 2020 noch ein Rückgang bei Industrie- und Gewerbespeichern zu beobachten gewesen, steige die Nachfrage nun rapide.
Evonik hat vor wenigen Tagen angekündigt, rund 700 Millionen Euro in neue Technologien zur Senkung des CO2-Ausstoßes zu investieren. Bis 2030 sollen die Emissionen um weitere 25 Prozent gesenkt werden. Zugleich fließen drei Milliarden Euro in die Entwicklung neuer, nachhaltigerer Produkte.
Finanzchefin Wolf sieht die Pläne durch die aktuell hohe Energiepreisbelastung nicht in Gefahr. Im Gegenteil: Mit der schnellen Umsetzung könne sich die Chemie in Europa als Vorreiter bei der Entwicklung von energieeffizienten Lösungen positionieren und Konkurrenten einen entscheidenden Schritt voraus sein, sagt sie.
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Auch Lanxess hält ungeachtet der teuren Energie weiter an dem Ziel fest, im Jahr 2040 klimaneutral zu produzieren. Man kann die Schritte dahin nun forcieren, sagt Vorstandschef Matthias Zachert. Aber er sieht auch Schmerzgrenzen.
Sollte die hohen Gaspreise dazu führen, dass Arbeitsplätze in Gefahr geraten, könnte sich Lanxess gezwungen sehen, seine grüne Ausrichtung neu zu justieren: etwa, indem das Unternehmen den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken an den Standorten prüft, die eigentlich im Zuge der grünen Transformation zügig abgeschaltet werden sollen.
Zugleich klagen viele Unternehmen über die zunehmende gesetzliche Regulierung bei den sogenannten ESG-Themen – also neue Anforderungen etwa an Umweltschutz, soziale Ziele und gute Unternehmensführung. Das Problem seien weniger die einzelnen Ziele, sondern dass diese etwa im Green Deal der EU geballt und zeitgleich eingefordert werden.
„Die Geschwindigkeit ist atemberaubend und stellt Unternehmen vor echte Probleme“, sagt BASF-Finanzchef Engel. Das gelte vor allem für mittelständische Industriefirmen, die für die Umsetzung weniger finanzielle und personelle Kapazitäten hätten. Laut Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, könnte sich die geballte Regulierung „negativ auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmen auswirken“.
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Das fürchtet auch die deutsche Stahlindustrie. Sie rüttelt aktuell zwar nicht am Zeitplan zur Umstellung vom Kohlebetrieb der Hochöfen, denn bis 2030 muss sie entsprechend den EU-Vorgaben den CO2-Ausstoß um gut ein Drittel senken.
Produktion von Thyssen-Krupp in Duisburg
Der Konzern muss seine kohlebetriebenen Hochöfen austauschen.
Bild: dpa
Doch für die Hersteller ist Erdgas dabei die entscheidende Brückentechnologie, denn mit modernen gasbetriebenen Anlagen können schon große Mengen CO2 eingespart werden.
Zwar ließen sich die neuen Anlagen auch mit klimaneutral hergestelltem Wasserstoff betreiben, womit sie gleichzeitig selbst nahezu klimaneutral produzieren könnten. Doch die Mengen, die die Unternehmen benötigen würden, um nur das derzeitige Produktionsniveau zu halten, wären immens.
Kaum jemand in der Branche geht davon aus, dass sich die benötigten Mengen Wasserstoff innerhalb der kommenden zehn Jahre auftreiben lassen. Entsprechend besorgt sind die Unternehmen. „Bleiben die Energiepreise so hoch, brauchen wir auch hier staatliche Unterstützung“, sagte Thyssen-Krupps Stahlchef Bernhard Osburg dem Handelsblatt.
Eine Verzögerung der Transformation kann sich der Konzern allerdings nicht leisten. Denn bereits 2025 müsste einer der Hochöfen in Duisburg nach dem Ende seiner Laufzeit für mehr als zehn weitere Betriebsjahre instand gesetzt werden – wenn er bis dahin nicht endgültig durch eine Direktreduktionsanlage und Elektroöfen ersetzt wird. Den Auftrag für den Bau muss Thyssen-Krupp noch 2022 erteilen. Sonst drohen Produktionsausfälle, wenn die Anlage nicht rechtzeitig fertig wird.
Dieser Artikel erschien zuerst am 23.05.2022 um 14:02 Uhr.
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