Im größten Steuerskandal der Republik gerät ein früherer Partner des angeklagten Ex-Star-Anwalts Hanno Berger ins Kreuzverhör. Er berichtet von Forderungen in Milliardenhöhe.
Bonn Zu Beginn des Kreuzverhörs fließen beinahe Tränen. „Ich kann jetzt morgens in den Spiegel schauen, ohne mich zu übergeben“, sagt Benjamin Frey (Name geändert). „Ich habe viel Schaden angerichtet. Ich arbeite seit sechs Jahren daran, ihn wiedergutzumachen. Meine Tochter ist noch klein, die versteht das alles nicht. Eines Tages möchte ich ihr wieder in die Augen schauen können.“
Es ist kurz vor zwölf im Landgericht Bonn bei der Verhandlung des größten Steuerskandals der Republik. Die nächsten Stunden sind geprägt von Misstrauen und Vorwürfen.
Bühne des Geschehens ist Saal S 011. Auf der Anklagebank sitzt Hanno Berger, einst Staranwalt und Berater vieler großer Unternehmen und sehr vermögender Familien. Berger wird schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen. Mittel waren Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Privatbank M.M. Warburg und ihrer Tochter Warburg Invest.
Cum-Ex bezeichnet eine Methode des Aktienhandels, bei der sich die Beteiligten mehr Steuern erstatten ließen, als sie zahlten. Allein in diesem Verfahren geht es um 278 Millionen Euro. Berger ist noch in eine Reihe anderer verwickelt. Der 71-Jährige sitzt seit mehr als einem Jahr in Auslieferungs- und Untersuchungshaft.
Benjamin Frey kann sich frei bewegen. Der Mann, der seit Montag im Zeugenstand sitzt, war einmal enger Partner von Berger. Sie begegneten sich 2001 in der Kanzlei Shearman & Sterling, dann wechselten sie zu Dewey Ballantine, 2010 machten sie sich selbstständig. Nach Angaben von Frey verdiente jeder von ihnen mit Cum-Ex-Geschäften 50 Millionen Euro.
Das Geld wurde gut versteckt. In der Strafakte gegen Berger findet sich ein Organigramm, das die vielen Verschachtelungen zeigt, mit denen Berger und Frey glaubten, ihre „Tatbeute“, wie es die Staatsanwaltschaft nennt, in Sicherheit zu bringen.
„Stonewall Securities“ hieß eine der dazu gegründeten Gesellschaften. Berger und Frey wollten eine Steinmauer zwischen ihr Geld und die Finanzbehörden bauen. Außerdem fanden sie es laut Frey witzig, damit auch auf den früheren Finanzminister Steinbrück hinzudeuten.
Der Vorsitzende des Landgerichts, Roland Zickler, hat dazu Fragen. „Welche Rückforderungsverfahren gibt es gegen Sie?“, möchte Zickler wissen. Frey atmet durch. „Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt der Zeuge. Dann macht er eine Rechnung auf, die Frey „existenzbedrohend“ nennt.
Es sind zwei Sorgen, die Frey umtreiben. Er ist vielfacher Millionär, doch die Ansprüche gegen ihn lauten noch viel höher. Die Forderungen beziffert Frey auf insgesamt rund eine Milliarde Euro.
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Gleichzeitig weiß er, dass sein ehemaliger Partner Berger schon vorgetragen hat, er sei mittellos. „Ich bin bereit und fähig, all meine Cum-Ex-Gewinne zurückzuzahlen“, sagt dagegen Frey. Er sei dabei, sein Vermögen zu liquidieren.
Das Landgericht Bonn fordert gut 13 Millionen Euro von Frey. Vom Finanzgericht Frankfurt habe er schon 2019 einen Haftungsbescheid über 22 Millionen Euro erhalten. Außerdem hat das Bundeszentralamt für Steuern vor wenigen Wochen einen Bescheid über 60 Millionen Euro verschickt. Glaubt man der Aussage des Kronzeugen sind das nur kleine Bruchteile.
Die Zahlen zeigen Freys Dilemma. Es liegt in der Natur von Cum-Ex-Geschäften, dass viele verschiedene Parteien daran beteiligt sind. Banken, Depotbanken, Investoren, Anwälte, Steuerexperten und diverse Berater.
Oft wurden extra Gesellschaften gegründet, teils in Luxemburg und der Karibik, um die „Beute“ zu verteilen, wie Frey das Geld aus der Steuerkasse bezeichnet. Frey ist einer von ganz wenigen Beteiligten, die nicht nur eine Schuld zugegeben haben, sondern auch Zahlen nennen.
Das macht ihn zum Adressaten von Forderungen. Juristisch ist es möglich, jeden einzelnen Beteiligten einer Straftat zur Wiedergutmachung des Gesamtschadens heranzuziehen. Diese „gesamtschuldnerische Haftung“ führt in Freys Fall dazu, dass er viele Millionen Euro mehr zurückzahlen soll, als er mit Cum-Ex-Geschäften verdiente.
Die Warburg Bank hat Frey auf 300 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Es ist in etwa der Betrag, den die Bank selbst an die Behörden zahlen soll, weil sie sich an Cum-Ex-Geschäften beteiligte. Warburg trägt vor, Frey habe sie dabei anwaltlich beraten und sei deshalb verantwortlich für den Schaden.
In München läuft ein Verfahren wegen eines Cum-Ex-Fonds, den Frey und Berger aufsetzten und bei dem es dann schieflief. Deshalb hat die Caceis Bank Frey verklagt – auf 300 Millionen Euro. „Frivol“ nennt Frey diese Klage. Sie enthalte unwahre Tatsachenbehauptungen – er habe deshalb die Verantwortlichen der Bank wegen Prozessbetrug angezeigt.
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Mehr als 13 Millionen habe er schon auf ein Anderkonto eingezahlt, sagt Frey. Dort ist es unter der Obhut eines Notars. Eines will er aber verhindern: „Ich möchte nicht den Teil zahlen, den Herr Dr. Berger verdient hat.“
Sein Ziel, sagt Frey, sei eine zweite Chance. Er ist jetzt 50 Jahre alt. Er will nicht enden wie Berger, der fünf Meter neben ihm sitzt. „Es ist für uns beide ein Drama, was hier geschieht“, sagt Frey. „Ich habe Mitgefühl für Herrn Dr. Berger. Ich hoffe sehr für ihn, dass es nicht zu spät ist, wirklich hinzuschauen und die Dinge wirklich als das zu sehen, was sie waren: Straftaten.“
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