Olaf Scholz muss sich für den Hamburger Cum-Ex-Skandal rechtfertigen. Zugleich plant er neue Gesetze gegen Steuerhinterziehung. Experten zweifeln aber an deren Wirksamkeit.
Olaf Scholz
Der Finanzminister steht in der Cum-Ex-Affäre unter Druck der Opposition.
Bild: ddp/abaca press
Berlin, Köln Am 2. Juni schrieb Fabio de Masi eine E-Mail an seine Kollegen im Bundestags-Finanzausschuss. Er freue sich, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sich nun am 17. Juni vom Bundestag zum Hamburger Cum-Ex-Steuerskandal befragen lassen wolle. Doch der geplante Sitzungsablauf ginge so gar nicht, schrieb der Finanzpolitiker der Linkspartei.
„Wenn man die üblichen Begrüßungsrituale und Vorbemerkungen abzieht, ist es bei einer Befragungszeit von 50 Minuten denkbar, dass weder meine Fraktion noch die Grünen überhaupt zur Möglichkeit kommen, Fragen zu stellen. Das ist für mich nicht akzeptabel“, so de Masi. Schon Anfang März habe sich Scholz bei einer Befragung zu dem Thema mit langen Ausschweifungen aus der Affäre gezogen.
Das will de Masi nicht noch einmal zulassen. Der Finanzminister solle deshalb auf ein längeres Eingangsstatement verzichten. Die Anhörung wird zudem als „geheim“ eingestuft, nichts darf nach außen dringen. Das soll verhindern, dass Scholz Aussagen wieder mit Verweis auf das Steuergeheimnis verweigert.
Die Finanzpolitiker im Bundestag wollen Scholz' Rolle im Hamburger Cum-Ex-Skandal um die Privatbank M.M. Warburg aufklären. Die Hamburger Finanzverwaltung hatte lange Jahre gezögert, mutmaßlich zu Unrecht an die Warburg Bank ausgeschüttete Steuergelder zurückzufordern. Scholz war in dieser Phase Hamburger Bürgermeister.
Für die Jahre 2010 und 2011 musste das Bundesfinanzministerium Steuerbescheide erzwingen, erst kürzlich erließ das Finanzamt Steuerbescheide für 2009 und davor. Es geht insgesamt um dreistellige Millionenbeträge, Warburg sieht die Ansprüche weitgehend als verjährt an.
Während Scholz die Hamburger Vergangenheit einholt, gibt er als Bundesfinanzminister den obersten Kämpfer gegen Cum-Ex-Steuerhinterzieher. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Scholz nach Handelsblatt-Informationen etliche gesetzliche Neuregelungen auf den Weg gebracht, die eine Verjährung von Cum-Ex-Fällen verhindern und dieser Art von Steuerhinterziehung in Zukunft einen Riegel vorschieben sollen.
„Die Cum-Ex-Machenschaften sind ein Skandal und es ist gut, dass die Staatsanwaltschaften gegen die Täter vorgehen“, sagte Scholz dem Handelsblatt. Steuerbetrügereien gingen zulasten der Allgemeinheit – und sie unterminierten das Vertrauen in den Staat. „Deshalb will ich sicherstellen, dass die Staatsanwaltschaften ausreichend Zeit für ihre Ermittlungsmaßnahmen erhalten, in dem die strafrechtliche Verfolgungsverjährung für Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung deutlich verlängert wird. Das sind wir den ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig“, sagte Scholz.
Mit dem lateinischen Begriff „Cum-Ex“ wird der Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch bezeichnet. Banken und Investoren zielten mit diesen Geschäften einzig und allein darauf ab, sich vom Staat Kapitalertragsteuern „erstatten“ zu lassen, die sie zuvor nie gezahlt haben.
Den Gesamtschaden für den Fiskus beziffern Experten auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Cum-Ex gilt damit als einer der größten Steuerskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Landgericht Bonn hat in einem ersten Strafprozess zwei Aktienhändler verurteilt.
Das Ausmaß des Skandals kommt auch in dem Gesetzesentwurf zum Ausdruck, den Scholz am Freitag vom Bundeskabinett beschließen lassen will. Mit den Cum-Ex-Gestaltungen seien Steuern in großem Ausmaß hinterzogen worden. „Mehr als 100 Banken auf vier Kontinenten sind von den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden betroffen sowie letztlich wohl circa 1000 Verantwortliche“, heißt es in dem Entwurf. Die Aufarbeitung dieser rechtlich komplexen und grenzüberschreitenden Gestaltungen sei sehr aufwendig – und langwierig.
Scholz greift deshalb zu einem harten Mittel. Er will die Frist für die absolute Verjährung verlängern. In den Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung beträgt die Verfolgungsverjährung bislang 20 Jahre. Scholz will diese nun auf 25 Jahre ausdehnen. Die Ermittlungsbehörden hätten somit nach der Gesetzesänderung 25 Jahre Zeit, um ihre Ermittlungen zu führen. Kommt es zu einer Hauptverhandlung, bleiben weitere fünf Jahre für eine mögliche Verurteilung der Steuerhinterziehung.
Ein Beispiel: In der Dividendensaison 2007 begangene Taten könnten so bis ins Jahr 2032 verfolgt und anschließend fünf Jahre lang vor Gericht verhandelt werden. Der Finanzwissenschaftler Frank Hechtner sagt, bislang verhandelte Cum-Ex-Fälle hätten gezeigt, wie komplex die Aufarbeitung sei. „Eine Verlängerung der absoluten Verfolgungsverjährung auf 25 Jahre ist daher zu begrüßen.“
Darüber hinaus will Scholz der Finanzwirtschaft mehr Meldepflichten und verschärfte Haftungsregeln auferlegen, wie aus einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums an mehrere Verbände der Finanzwirtschaft hervorgeht, das dem Handelsblatt ebenfalls vorliegt. So plant das Finanzministerium „die Verschärfung der Haftungsregelungen für die Ausstellung fehlerhafter Steuerbescheinigungen“.
Daneben soll die Finanzwirtschaft erheblich mehr Daten an die Finanzämter liefern, etwa Art und Umfang der Kapitalerträge bei bestimmten Wertpapieren und die darauf erhobene Kapitalertragsteuer. Diese Meldungen sollen künftig elektronisch erfolgen.
Die Missbrauchskontrolle bei der Anrechnung oder Erstattung von Kapitalertragsteuern werde dadurch erschwert, „dass die Finanzverwaltung keine Informationen darüber hat“, heißt es in dem Schreiben des Finanzministeriums zu Begründung. Das ist ein bitteres Eingeständnis: Zwar wurde Cum-Ex-Deals längst ein Riegel vorgeschoben. Aber den Behörden mangelt es offenbar an maßgeblichen Daten, um ähnlich gelagerte Steuertricks zu verhindern.
Und auch die von Scholz geplanten Maßnahmen werden daran vorerst wenig ändern. Für die Umsetzung des elektronischen Meldeverfahrens seien „umfangreiche technische Vorbereitungen“ erforderlich, heißt es in dem Schreiben an die Verbände. Das elektronische Meldeverfahren werde daher wohl erst ab 2024 laufen.
Noch gravierender aber: Auch die Verlängerung der Strafverfolgungsfrist hilft der Staatsanwaltschaft nicht weiter, wenn nicht spätestens nach zehn Jahren sogenannte „verjährungsunterbrechende Maßnahmen“ eingeleitet wurden. Wer etwa im Jahr 2007 an Cum-Ex-Geschäften beteiligt war, bis heute aber nicht als Beschuldigter identifiziert wurde, hat trotz der geplanten Gesetzesänderung nichts mehr zu befürchten.
So verjähren in diesem Jahr gerade Fälle aus der Dividendensaison 2010, soweit bis dato keine Ermittlungen eingeleitet wurden. „Die Staatsanwaltschaft gewinnt für ihre Ermittlungen zwar Zeit, trotzdem sind viele Banker aus dem Schneider“, sagt ein Verteidiger, der ein Finanzinstitut im Cum-Ex-Komplex vertritt.
In Ermittlerkreisen ist man daher ernüchtert. „Das hilft uns nicht wirklich weiter“, sagt eine mit der Sache befasste Person. Der Gesetzgeber habe viel zu spät reagiert, viele Fälle seien nicht mehr zu retten. Hunderte von Verantwortlichen kämen ungestraft davon. Vor allem viele Auslandsbanken hätten nicht kooperiert, die verantwortlichen Manager seien nicht rechtzeitig zu identifizieren gewesen.
Fabio De Masi
Der Linkenpolitiker will Olaf Scholz befragen.
Bild: imago/Olaf Malzahn
Die Cum-Ex-Ermittlungen konzentrieren sich im Wesentlichen bei der Staatsanwaltschaft Köln und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Frankfurt ermittelt in elf Komplexen, zwei Anklagen sind fertig. Hier geht es um Cum-Ex-Geschäfte der Hypo-Vereinsbank und der Maple Bank. Für den Großteil der Fälle ist jedoch Köln zuständig, weil das Bundeszentralamt für Steuern seinen Sitz in Bonn hat. Die Behörde ist in vielen Fällen für die Auszahlung der Steuern zuständig.
Kürzlich nannte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) neue Ermittlungszahlen: Danach arbeitet die Staatsanwaltschaft Köln an 69 Ermittlungskomplexen mit rund 900 Beschuldigten. In einem Fall ist am Landgericht Bonn bereits ein Urteil gegen zwei britische Börsenhändler gesprochen worden, nun liegt die zweite Anklage gegen vier aktuelle und ehemalige Banker aus dem Haus M.M. Warburg vor. Mangels Kapazitäten geht es bei der Aufarbeitung aber nur langsam voran.
Um M.M. Warburg wird es auch in der angesetzten Anhörung im Finanzausschuss mit Scholz gehen. „Olaf Scholz muss beantworten, warum er sich als Hamburger Bürgermeister laut Warburg-Bankier Christian Olearius bei einem Treffen die Sichtweise von Warburg auf die Cum Ex Deals zu eigen gemacht hat“, fordert Linkspartei-Finanzpolitiker de Masi.
Scholz habe sich damals nach Anweisung des Bundesfinanzministeriums, keine Steuergelder verjähren zu lassen, im laufenden Ermittlungsverfahren mit Olearius getroffen, gegen den persönlich ermittelt wurde. „Der Cum-Ex-Richter am Bonner Landgericht sagte ganz klar, Warburg habe kriminelle Geschäfte gemacht“, so de Masi. „Warum war für Gerichte ersichtlich, dass Warburg Cum-Ex macht, aber nicht für die Finanzbehörde Hamburg?“, so de Masi.
Die Begründung eines Prozesskostenrisikos für Hamburg überzeuge nicht, da es zunächst gereicht hätte, die Verjährung zu hemmen. Scholz hatte in einer ersten Anhörung im Bundestag Anfang März gesagt, die Hamburger Behörden blieben untätig, weil man das Risiko eines Rechtsstreits mit Warburg nicht tragen wollte.
Für die Vorbereitung auf die neue Anhörung hat der in der Coronakrise extrem geforderte Scholz nun noch ein paar Tage mehr Zeit bekommen. Am Dienstag wurde der Termin noch einmal verschoben. Die Sitzung soll jetzt am 1. Juli stattfinden.
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