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Special

Special: Cum-Ex

24.02.2021

16:29

Cum-Ex-Skandal

Mehr Verfahren, mehr Beamte: Nordrhein-Westfalen forciert Ermittlungen wegen illegaler Aktiendeals

Von: Sönke Iwersen, Volker Votsmeier

NRW-Justizminister Peter Biesenbach stockt die Zahl der Staatsanwälte in Köln massiv auf. Fast 100 Beamte jagen nun mehr als 1000 Beschuldigte.

NRW rüstet im Kampf gegen illegale Steuerdeals massiv auf. imago/Future Image

Staatsanwaltschaft Köln

NRW rüstet im Kampf gegen illegale Steuerdeals massiv auf.

Düsseldorf Eine solche Truppe hat es im Kampf gegen die Steuerhinterziehung noch nie gegeben. 21 Beamte der Staatsanwaltschaft Köln ermitteln ab sofort in der Cum-Ex-Affäre. Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) will im Kampf gegen umstrittene Steuergeschäfte massiv aufrüsten. Deshalb hat er die Zahl gerade um sechs erhöht. Zusätzlich kümmern sich 43 Polizisten und 35 Beamte aus der Finanzverwaltung um die Beschuldigten.

Banken und vermögende Investoren ließen sich beim Cum-Ex-Handel Kapitalertragsteuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten. Nun ist ihnen eine Hundertschaft deutscher Beamter auf den Spuren. Biesenbach: „Der Staat muss zeigen, dass er wehrhaft ist.“

Jahrelang war er das nur sehr bedingt. Cum-Ex-Handel gab es schon vor der Jahrhundertwende, Warnungen an die Politik aus dem Jahr 2002 verhallten. Es dauerte bis 2012, um die Praxis abzustellen. Noch fünf Jahre später sonnten sich die Steuersünder in ihrem Erfolg. Gab es auch hier und da einsame Ermittlungsbeamte – kaum ein Beschuldigter musste sich Sorgen machen. Als Biesenbach 2017 sein Amt antrat, hörte er ein ums andere Mal, dass sich kaum jemand eine Blöße gab, wenn es um Geschäfte zulasten der Steuerzahler ging. Die Banken und ihre Premiumkunden fühlten sich sicher.

Es war eine Staatsanwältin aus Köln, die damit Schluss machte. Anne Brorhilker klagte zwei britische Investmentbanker an. Auch wenn es manchem Experten als willkürlich erschien, ausgerechnet diese beiden als Erste vor Gericht zu stellen, gilt die Strategie inzwischen als genial.

Die beiden Angeklagten gehörten nicht zur ersten Garnitur der Cum-Ex-Akteure. Sie wickelten als Angestellte der Hypo-Vereinsbank und später in der Finanzfirma Ballance unter anderem für die Hamburger Privatbank M.M. Warburg Steuerdeals ab. Beide waren noch relativ jung, beide hatten noch nicht genug verdient, um sich gegenüber der Justiz einfach stur zu stellen. Sie packten aus. Ab September 2019 belasteten die Angeklagten vor dem Landgericht Bonn ihre Chefs und Geschäftspartner. Die Front des Schweigens war gebrochen.

Heute prägen Klagen und Gegenklagen die Cum-Ex-Szene. Investoren beschuldigen ihre Banken, sie in Steuerhinterziehungsgeschäfte geführt zu haben. Banken geben die Schuld an Kanzleien weiter, die doch die rechtliche Unbedenklichkeit der Deals bescheinigt hätten. Es gibt Klagen zwischen Banken, Klagen zwischen Investoren und Klagen zwischen Anwälten. „Alle beginnen, sich gegenseitig zu zerfleischen“, sagt Biesenbach. „Uns kommt das sehr entgegen, es erleichtert die Ermittlungen.“

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Der CDU-Politiker hat die Aufklärung der Cum-Ex-Affäre nicht erfunden, aber enorm vorangetrieben. Als er 2017 das Amt übernahm, werkelte bei der Staatsanwaltschaft Köln ein einsamer Mini-Trupp vor sich hin. Die vier Beamten, die gegen Dutzende von Banken aus aller Welt ermittelten, wurden bestenfalls bemitleidet.

2019 verdoppelte Biesenbach die Personalstärke gegen den Steuerbetrug, dann legte er noch einmal nach. Biesenbach ließ sich die Details der Fälle berichten und die Schwierigkeiten bei ihrer Verzahnung. Er zog in Köln alle Fälle zu Cum-Ex in seinem Bundesland zusammen. Mal um Mal besserte Biesenbach das Personal nach, nun will er den Turbo zünden.

Die 40 Polizisten, die Biesenbach den 21 Staatsanwälten nun zusätzlich zur Seite stellt, sind „alle erfahrene Beamtinnen und Beamte, die wissen, wie man Vernehmungen führt“, sagt der Minister. Das Sonderpersonal, bewilligt von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), bedeutet eine dramatische Aufstockung – die Zahl der bisher für Cum-Ex eingesetzten Polizisten lag bei drei. Mit den 35 zusätzlich unterstützenden Finanzbeamten entsteht der wohl schlagkräftigste Trupp in Sachen Cum-Ex weltweit.

All das ist nötig, wenn nicht überfällig. Schon 2014 kaufte die Steuerfahndung Wuppertal von einem Insider einen Datenträger, auf dem Cum-Ex-Geschäfte von 130 Banken dargestellt waren – darunter die der landeseigenen WestLB. Dass damit eine Bank ihren eigenen Gesellschafter schädigte, ist eine der vielen Absurditäten in der Cum-Ex-Affäre. Andere Landesbanken wie die LBBW, die Helaba oder die ehemalige HSH Nordbank handelten ähnlich.

Die Sahneschicht der Gesellschaft

Die ganze Dimension des Falls sei erst durch sehr intensive Ermittlungen aufgedeckt worden, sagt Biesenbach: „Wir erleben, dass viele Beschuldigte behaupten, dass sie nicht gewusst haben, dass es um eine doppelte Erstattung der Kapitalertragsteuer ging. Sichergestellte Unterlagen zeigen aber oft das Gegenteil.“

Einmal im Bild, wuchs bei Biesenbach die Wut. Bei den Cum-Ex-Profiteuren handelt es sich neben den Banken um die Sahneschicht der Gesellschaft. Hochbezahlte Bankmanager, Steueranwälte, Kapitalmarktexperten und die vermögendsten Familien.

„Wir haben es mit einer besonders dreisten Form der Steuerhinterziehung zu tun“, sagt der Minister. „Die Beteiligten haben sich international organisiert und sind nur schwer greifbar. Das darf uns aber nicht davon abhalten, diese Straftäter zu verfolgen.“

Aufklärerin der ersten Stunde war die Kölner Staatsanwältin Brorhilker. Mit einer international angelegten Großrazzia machte sie schon Ende 2014 in der Szene Furore. Der Kern des Falls spielte bei der Schweizer Bank J. Safra Sarasin, Ableitungen führten zu etlichen weiteren Verfahren im In- und Ausland.

Einsatzwille einer einzelnen Staatsanwältin

Heute ermitteln die Kölner in 87 verschiedenen Verfahren, die Liste der Beschuldigten trägt 1022 Namen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem Handelsblatt auf Nachfrage mitteilte. Nordrhein-Westfalen ist damit einsame Spitze in der Cum-Ex-Aufklärung. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt führt elf Fälle mit 70 Beschuldigten, in München und Stuttgart gibt es ebenfalls einzelne Cum-Ex-Verfahren. Grund für die Konzentration in Nordrhein-Westfalen ist nicht die dort besonders verbreitete Kriminalität, sondern die besondere Hartnäckigkeit der dortigen Ermittler.

Bei der Begründung von Ermittlungen hilft den Kölnern die Sonderzuständigkeit des Bundeszentralamts für Steuern gleich nebenan in Bonn. Es seien jedoch vor allem die Einsatzbereitschaft und die Ausdauer von Oberstaatsanwältin Brorhilker gewesen, die nun Hunderte von Finanzjongleuren dorthin zwingt, wo sie nach Meinung des Justizministers hingehören: vor Gericht. „Frau Brorhilker hat sich tief in die Materie eingearbeitet“, sagt Biesenbach. „Sie hat meine volle Unterstützung.“

Der erste Ermittlungserfolg ist bereits erreicht: Im Frühjahr 2020 verurteilte das Landgericht Bonn die beiden zuerst angeklagten britischen Börsenhändler als Helfer beziehungsweise Mittäter einer schweren Steuerhinterziehung. Das Urteil fiel milde aus, weil ihre Aussagen den Weg zu Ermittlungen gegen Dutzende weiterer Beteiligter ebneten.

Aktuell sitzt der frühere Generalbevollmächtigte der Hamburger Privatbank M.M. Warburg auf der Anklagebank. Er weist jegliche Schuld zurück, wie viele andere Verdächtige. Biesenbach ist überzeugt davon, dass diese Mauertaktik scheitern wird.

„Viele Beschuldigte äußerten sich bisher nur zögerlich, das ist richtig“, sagt der Justizminister. „Das wird sich aber ändern, sollte der Bundesgerichtshof die bisher gefällten Gerichtsentscheidungen des Landgerichts Bonn und einiger Finanzgerichte stützen.“

Der NRW-Justizminister beweist bei der Jagd nach Steuersündern einen langen Atem. imago images/Political-Moments

Peter Biesenbach

Der NRW-Justizminister beweist bei der Jagd nach Steuersündern einen langen Atem.

Kern dieser Entscheidungen: Cum-Ex-Geschäfte waren illegal. Übernimmt der Bundesgerichtshof diese Einschätzung, verliere für die Täter jeder Prozess seinen Reiz. Biesenbach selbst bezeichnet Cum-Ex-Geschäfte als „industriell betriebenen Steuerbetrug“.

Klangvolle Namen aus der Finanzwelt

Es war eine Großindustrie. Auf den Aktendeckeln der Ermittlungsbehörden stehen große Namen wie die Deutsche Bank (Aktenzeichen 213 Js 375/17), die Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank (Aktenzeichen 213 Js 150/19). Internationale Finanzriesen wie Barclays (Aktenzeichen 21 Js 57/17) in London, Merrill Lynch (Aktenzeichen 213 Js 184/17) und Morgan Stanley (Aktenzeichen 213 Js 186/17) in New York und Macquarie (Aktenzeichen 213 Js 87/19) in Sydney sind vertreten. Dazu Traditionshäuser wie M.M. Warburg (Aktenzeichen 113 Js 522/16) in Hamburg und J. Safra Sarasin (Aktenzeichen 113 Js 952/13) in Basel.

Cum-Ex-Geschäfte sind kompliziert, pro Bank waren teils viele Dutzend Mitarbeiter beteiligt. Geht es nach Biesenbach, wird juristisch nicht nur durch die unteren Etagen gefegt. „Es ist wichtig, die Leitungsebene zur Verantwortung zu ziehen, dort wurden schließlich die Entscheidungen getroffen“, sagt der Minister. „Ich will, dass alle Fälle vor dem Gericht verhandelt werden.“

Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. „Ende 2020 waren wir in einer brisanten Situation, weil Fälle zu verjähren drohten“, berichtet Biesenbach. Er habe deshalb für eine Verlängerung der Verjährungsfristen gesorgt. Nun habe die Staatsanwaltschaft länger Zeit für ihre Ermittlungen.

Seinen nächsten Vorstoß hat der Minister schon lanciert: Er hat eine Änderung der Strafprozessordung angestoßen, die neue Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. So soll künftig bei Fällen der bandenmäßig begangenen Steuerhinterziehung mit großem Ausmaß eine Telefonüberwachung von Verdächtigen möglich sein. Bisher ist das nur bei bestimmten Steuerarten wie der Umsatzsteuer der Fall. Bereits 13 Bundesländer haben ihre Unterstützung zugesagt. Am 5. März berät der Bundesrat über den Antrag.

Schweizer Exilant unter Druck

Das Landgericht Bonn ist schon seit geraumer Zeit auf weitere Anklagen vorbereitet. Inzwischen gibt es dort vier Strafkammern für Cum-Ex-Fälle, die förmlich auf Arbeit warten. Lediglich an einer Kammer wird derzeit gegen den ehemaligen Warburg-Manager verhandelt, zwei weitere Anklagen liegen vor. Eine richtet sich gegen einen ehemaligen Sarasin-Banker.

In dem anderem Fall soll sich Steueranwalt Hanno Berger vor Gericht verantworten. Er gilt als Drahtzieher im Cum-Ex-Geflecht, auch in Frankfurt ist er bereits angeklagt. Bei ihm ist allerdings ungewiss, ob er jemals vor einem deutschen Gericht erscheint.

Berger zog sich nach der ersten Durchsuchung seiner Frankfurter Kanzlei schon 2012 nach Zuoz zurück – ein malerisch gelegenes Bergdorf in der Schweiz. Auch Berger hält sich für unschuldig und bezeichnet die Ermittlungen gegen ihn als Justizskandal. Auf die Anklagen in Wiesbaden und Bonn reagierte Berger mit einem Attest, eine Untersuchung durch einen deutschen Amtsarzt schlug fehl.

Der 70-Jährige setzt offenbar darauf, nicht nach Deutschland zurückkommen zu müssen. Die Schweiz liefert Steuersünder traditionell nicht aus. Da für Peter Biesenbach aber Cum-Ex-Handel kein Kleinvergehen ist, sondern international organisiertes Verbrechen, hofft er auf Einsicht jenseits der Grenze.

Es liege auf der Hand, dass erfolgreiche Cum-Ex-Täter mehr als genug Mittel haben, um sich ins Ausland abzusetzen und die Früchte ihrer Vergehen zu genießen, meint der Minister. Davor dürfe die Staatengemeinschaft aber nicht kapitulieren. Biesenbach: „Wir werden alles versuchen, um die Auslieferung von Beschuldigten zu erreichen.“

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