PremiumDer Vorsitzende Richter hat offenbar Probleme mit dem Geständnis des früheren Staranwalts. Womöglich entwickelt es sich sogar zum Bumerang für den Angeklagten.
Hanno Berger beim Prozessauftakt in Wiesbaden
Der Anwalt war um Klarstellungen nach dem Geständnis vom Vortag bemüht.
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Bonn, Düsseldorf Eigentlich sollen an diesem Vormittag im Sitzungssaal 011 des Landgerichts Bonn nur Schriftstücke verlesen werden. Doch vorher meldet sich Martin Kretschmer zu Wort, einer der Verteidiger des angeklagten Hanno Berger: „Entschuldigung, Herr Dr. Berger möchte gerne noch eine Erklärung abgeben.“
Der Vorsitzende Richter Roland Zickler erteilt Berger das Wort. Dieser ist auf seinem Stuhl schon unruhig nach vorn gerückt, räuspert sich, dann setzt er an. „Ich möchte noch etwas klarstellen“, sagt der 71-Jährige. „Für den Fall, dass dies gestern expressis verbis nicht ganz klar geworden ist.“
Der Fall dürfte durchaus zutreffen. Berger ist der schweren Steuerhinterziehung angeklagt. Er beriet als Steueranwalt bei sogenannten Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Bank M.M. Warburg. Die Beteiligten ließen sich dabei Steuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten. Der Steuerschaden liegt bei 278 Millionen Euro.
Am Montag sollte Berger ein Geständnis ablegen, verlor sich aber über lange Strecken im Ungefähren. Der Angeklagte blieb im Konjunktiv, sprach von „man hätte“ und „wir sollten“. Berger schob die Verantwortung auf andere, verwies auf eine vermeintlich unklare Gesetzeslage. Als er seine Aussage beendete, war von Reue keine Spur.
Anschließend beeilte sich sein Hauptverteidiger Richard Beyer mit Schadensbegrenzung. Vor dem Gerichtssaal sagte Beyer dem Handelsblatt, Berger habe „ein freimütiges und offenes Geständnis“ darüber abgelegt, dass er ab 2009 „mit bedingtem Vorsatz“ Cum-Ex-Geschäfte seiner Mandanten begleitete. Beyer: „Ich denke, mehr kann man von ihm nicht erwarten.“
Was das Gericht erwartet und erwarten darf, ist allerdings nicht Sache des Verteidigers des Angeklagten. Juristisch verwertbar sind nur die Aussagen des Angeklagten im Gerichtssaal, nicht Gespräche seines Anwalts mit der Presse.
Berger beginnt seinen zweiten Geständnisversuch ganz ähnlich wie den ersten: mit einem Schreiben aus dem Bundesfinanzministerium. „Das BMF-Schreiben aus Mai 2009 war eine Zäsur, auf die ich meine Rechtsposition etwas revidieren musste“, sagt Berger. „Also, es ist eben doch wohl so gewesen, dass dieses BMF-Schreiben dazu geführt hat, dass man sich selbst gesagt hat, dass man die Dinge wohl anders sehen muss. Aber man hat eben weitergemacht, man hat die Bedenken im Kopf beiseitegeschoben.“
Wieder ist Berger von „ich“ zu „man“ gewechselt. Richter Zickler hakt ein, fragt Berger nach dessen persönlichem Wissensstand zur möglichen Gesetzeswidrigkeit von Cum-Ex-Geschäften: „Verstehe ich es richtig, dass es sich um ein Ex-ante-Verständnis handelt?“
Der lateinische Begriff spielt in der Justiz eine entscheidende Rolle. Gemeint ist ein Wissen einer Strafbarkeit vor der Tat. Das Gegenstück ist der Begriff „ex post“, also danach. Wenn Berger zugibt, schon vor den umstrittenen Cum-Ex-Geschäften gewusst zu haben, dass sie dem Willen des Gesetzesgebers widersprachen, verschlechtert dies seine Position. Berger schaut hoch, nickt leicht und sagt: „Dieses Verständnis war zumindest rudimentär da.“
Richter Roland Zickler
Der Vorsitzende Richter am Landgericht Bonn hat bereits in drei Cum-Ex-Strafprozessen entschieden. In allen Verfahren verurteilte er die Angeklagten.
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Zickler reicht das. Der Richter erklärte am Montag, dass er Fragen zu Bergers Aussage habe. „Wir haben versucht einzudringen in das, was wir da gestern gehört haben“, sagt er nun. Ein wenig Klarstellungsbedarf habe sich jetzt erledigt. Zickler: „Ein bisschen ist noch offen.“
Am Montag hatte Zickler den Angeklagten gerügt, weil Berger so tat, als müsse er dem Gericht alles neu erklären. „Ich wehre mich gegen die Darstellung, als hätte das Gericht heute zum ersten Mal von Cum-Ex gehört“, sagte Zickler. Und tatsächlich: Dies ist bereits Zicklers vierter Cum-Ex-Prozess.
Alle drei vorher beschäftigten sich mit denselben Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Warburg Bank, für die sich nun auch Berger verantworten muss. Alle drei Fälle vor Berger endeten mit Schuldsprüchen.
Zickler geht nun mit Berger ans Eingemachte. Er verstehe nicht ganz, warum der Angeklagte seine Aussage so sehr an das Schreiben von 2009 knüpfe, sagt der Richter. Die höchsten deutschen Gerichte haben bereits entschieden, dass Cum-Ex-Geschäfte immer schon strafbar waren – auch vor 2009. Zickler selbst hat Haftstrafen für Geschäfte aus dem Jahr 2007 verhängt.
Der Richter schaut deshalb voraus. In den kommenden Wochen stehen wichtige Zeugen an. Sie sollen zu Transaktionen vor 2009 aussagen. Er wisse nicht, was die Zeugen vor Gericht aussagen werden, sagt Zickler. Er kenne aber deren Aussage gegenüber den Ermittlern. „Und dann kommen wir in eine Situation, in der sich viele, viele Nachfragen ergeben.“
Zickler buchstabiert Berger nun seine Situation. Wenn der Angeklagte ein schuldhaftes Verhalten nur für die Zeit nach 2009 einräumt, müsse man mit ihm sein Verhalten für die Zeit davor Schritt für Schritt durchgehen. „Es ist nicht gut, wenn man hinterherläuft und Dinge nacherklärt, die man auch vorher schon gesagt haben könnte“, sagt Zickler. Dann könne es Anknüpfungspunkte dafür geben, „dass man etwas gebaut habe, um anderes zu verstecken“.
Diese Einordnung des Richters heißt für Berger nichts Gutes. Dem Angeklagten drohen 15 Jahre Haft. Mit seinem Geständnis will er seine Strafe mildern. Wenn das Gericht seine Worte nun als Versuch wertet, einen Teil der Tat zu verbergen, würde aus Bergers Bemühen ein Bumerang.
Ein Geständnis wäre auch gar nicht genug. Schon vor einer Woche machte Zickler den Angeklagten darauf aufmerksam, dass Tateinsicht und Reue ein Anfang seien, aber eben nur das. Entscheidend für das Gericht sei Bergers Mithilfe, den entstandenen Schaden für den Steuerzahler zu lindern. Berger soll 13,6 Millionen Euro mit den Cum-Ex-Geschäften der Warburg Bank verdient haben. Das Gericht erwartet eine Erstattung.
„Was die Rückzahlung anbelangt, haben Sie sich gestern nicht geäußert“, sagt Zickler. „Ich gehe davon aus, da kommt noch etwas?“ Berger schweigt. Sein Anwalt antwortet: „Ja, da komme noch etwas.“
Hanno Berger gilt als der Architekt der illegalen Aktiendeals zu Lasten der Steuerkasse. Jetzt ist er angeklagt – und macht vor Gericht eine erstaunliche Kehrtwende.
Aber nicht heute. Stattdessen verliest das Gericht stundenlang Schriftstücke. E-Mails Bergers, die Aufschlüsse darüber geben, wie er sich damals engagierte, um die Steuererstattungen sicherzustellen. Rechnungen von Berger. Einen Artikel, in dem Berger als Experte zu Wort kommt. Er stammt aus dem „Spiegel“, erschienen im August 2009 – drei Monate nach dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums also, das laut Berger Anlass für eine Tateinsicht hätte geben können.
Im Artikel ist davon nichts zu lesen. „Das ist verfassungswidrig“, klagte Berger über den Versuch des Finanzministeriums, mit neuen Regelungen zu verhindern, dass besonders wohlhabende Bürger besonders wenig Steuern zahlen. „Wir leben steuerrechtlich in einer Bananenrepublik.“
Das Gericht spart sich jeden Kommentar zu Bergers Aussagen. Am Ende muss der Angeklagte zurück in den Gefangenentransporter, dann ins Gefängnis. Nach neun Jahren Flucht sitzt der einstige Staranwalt nun seit dreizehn Monaten hinter Gittern. Der nächste Verhandlungstag ist am kommenden Montag.
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