Kaum eine Kanzlei in Deutschland ist so tief in die Steueraffäre Cum-Ex verstrickt wie Freshfields Bruckhaus Deringer. Nun gab es erneut ungebetenen Besuch der Ermittler.
Freshfields
Noch immer ist es möglich, dass auch Freshfields als Kanzlei in einen Strafprozess hineingezogen wird.
Bild: imago images/Alexander Pohl
Düsseldorf Razzien in Spitzenkanzleien sind äußerst selten. Bei Freshfields Bruckhaus Deringer ist das anders. In dieser Woche besuchten Staatsanwälte erneut den Parktower neben der Alten Oper in Frankfurt, den deutschen Hauptsitz von Freshfields. Es war bereits die vierte Razzia bei den Top-Anwälten. Die Ermittler beschlagnahmten bei der mehrere Tage andauernden Durchsuchung Dokumente, kopierten Datenträger und sorgten bei den Juristen für reichlich Unruhe.
Ein Freshfields-Sprecher sagte: „Im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungen bezüglich Aktientransaktionen über den Dividendenstichtag hat die Staatsanwaltschaft Köln uns in unserem Frankfurter Büro zur Herausgabe von Unterlagen aufgefordert. Die Durchsuchung sei abgeschlossen und die Sozietät selbst nicht an dem Verfahren beteiligt. Die Kanzlei kooperiere mit der Staatsanwaltschaft „unter Beachtung ihrer Verschwiegenheitsverpflichtungen und einschlägiger gerichtlicher Beschlüsse.“
Die Durchsuchung war Teil der Ermittlungen im Cum-Ex-Skandal, der größten Affäre der Geldbranche seit Jahren. Der lateinische Begriff bezeichnet eine Methode des Aktienhandels, bei dem sich die Beteiligten Kapitalsteuern erstatten ließen, die sie gar nicht abgeführt hatten. Der Schaden der Cum-Ex-Geschäfte wird auf insgesamt zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Ohne die Hilfe von Rechtsanwälten wäre es nie dazu gekommen. Bevor Banken und Investoren hohe Millionenbeträge investierten, holten sie sich juristische Expertise. Je größer das Renommee der Kanzlei, desto teurer und gesuchter war ihr Rat. Grundlage aller wesentlichen Cum-Ex-Geschäfte waren Rechtsgutachten, die den doppelten Griff in die Steuerkasse rechtfertigten.
Freshfields schrieb zahlreiche solcher Gutachten. Auftraggeber waren vor allem Banken, die Aktien im Kreis handelten, um für sich oder ihre Kunden Steuererstattungen zu bekommen. Die Geldhäuser traten als Verkäufer oder Käufer auf, als Depotbanken oder sicherten die Geschäfte mit Derivaten gegen Kursrisiken ab.
Manche Banken hebelten das Eigenkapital der Kunden mit Fremdkapital, um möglichst große Aktienpakete im Kreis handeln zu können. Der Wert der Pakete betrug teils Milliarden. Je höher das Volumen, desto höher waren die Steuererstattungen – und die Gebühren, Provisionen und Gewinne für alle Beteiligten.
Gerichte, Justizminister und Steuerexperten im ganzen Land bezeichnen Cum-Ex-Geschäfte heute als kriminell. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass beteiligte Banker sich strafbar machten. Die Aufarbeitung läuft auf Hochtouren. Erste Urteile sind gesprochen, mehr als 80 Verfahren stehen noch an. Die Zahl der Beschuldigten bei den Staatsanwaltschaften in Frankfurt, Köln, München und Stuttgart beträgt inzwischen mehr als tausend.
Einige von ihnen arbeiteten bei Freshfields. Prominentester Beschuldigter der Kanzlei ist ihr ehemaliger weltweiter Steuerchef, Ulf Johannemann. Das erste Mal rückte Freshfields im Spätsommer 2015 ins Zentrum des Skandals. Wenige Wochen zuvor hatte die Kanzlei ihren 175. Geburtstag in Hamburg gefeiert. Festredner Olaf Scholz, damals Erster Bürgermeister der Hansestadt, lobte die Sozietät für ihren „unbestechlich gradlinigen Gang“. Dann kam die Staatsanwaltschaft.
Am 23. September 2015 durchsuchten Ermittler aus Frankfurt zusammen mit hessischen Steuerfahndern und Beamten des Bundeskriminalamts die Maple Bank – und stießen auf einen riesigen Cum-Ex-Fall. Von 2006 bis 2010 wollte die kleine Bank durch konzerninterne Aktienkreisgeschäfte 383 Millionen Euro erbeuten – teils blieb es beim Versuch. Die engsten Maple-Berater waren hochrangige Steuerexperten von Freshfields, darunter Ulf Johannemann. Aktuell läuft der Strafprozess am Landgericht Frankfurt.
Die Maple Bank war nicht das einzige Cum-Ex-Mandat der Sozietät. Freshfields beriet neben Maple zahlreiche andere Institute in Cum-Ex-Fragen. Dazu gehörten die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Dekabank. Auch ausländische Institute wie die Bank of America, die Benelux-Bank Fortis – heute ABN Amro –, die britische Barclays und die australische Macquarie setzten auf den Rat von Freshfields. Heute müssen sich die Banken vorwerfen lassen, Teil einer Steuerhinterziehungsindustrie gewesen zu sein.
Wegen dieser Verwicklungen veranlasste nun die Staatsanwaltschaft Köln die inzwischen vierte Razzia bei Freshfields. Die drei Razzien zuvor gingen allesamt auf Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zurück. Es handelte sich aktuell um eine „Durchsuchung bei Dritten“. Dies gilt vor allem deshalb, weil die damals tätigen Anwälte von Freshfields heute nicht mehr dort arbeiten.
Protokolle, E-Mails, interne Aufzeichnungen und weitere Dokumente aller Art zum Fall Cum-Ex suchten die Ermittler trotzdem in den elektronischen Speichern von Freshfields. Die beiden von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bereits angeklagten ehemaligen Freshfields-Partner werden offenbar auch von der Kölner Ermittlungsbehörde verfolgt.
Die neuerliche Durchsuchung deutet zudem darauf hin, dass die Top-Kanzlei in den Skandal womöglich noch umfangreicher und tiefer verwickelt sein könnte als bisher angenommen und womöglich auch weitere ehemalige Berufsträger im Visier der Ermittler sind.
Der Kanzlei droht so weiterer Schaden. Nach einer Klage des Maple-Insolvenzverwalters zahlte Freshfields 50 Millionen Euro in einem außergerichtlichen Vergleich. Die Beteiligung am Strafprozess konnte man mit einer Zahlung von zehn Millionen Euro abwenden. Trotzdem ließ sich der Vertrauensverlust für den Wert eines Freshfields-Gutachtens nicht vermeiden.
Noch immer ist außerdem möglich, dass Freshfields als Kanzlei in einen Strafprozess hineingezogen wird – so wie es bei vorigen Prozessen bereits Banken passierte. Auch Schadenersatzklagen geschädigter Mandanten von Freshfields sind realistisch. Gegenüber einigen Mandanten soll die Kanzlei bereits auf die Verjährung verzichtet haben. Weil die gerichtliche Aufarbeitung des Skandals wegen des Umfangs noch Jahre anhalten wird, bleibt der Name Freshfields auf absehbare Zeit weiter mit dem Begriff Steuerhinterziehung verbunden.
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