Die nächste Anklage kommt: Aktuelle und ehemalige Banker von M.M. Warburg sollen vor Gericht. Es geht um Geschäfte auf Kosten der Steuerzahler.
Düsseldorf Nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Keine sechs Wochen sind vergangen, seit die Richter der 12. Großen Strafkammer am Landgericht Bonn das erste Urteil im sogenannten Cum-Ex-Skandal sprachen.
Am 18. März wurden die zwei Angeklagten zu Bewährungsstrafen und 14 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt. Die als „Einziehungsbeteiligte“ hinzugezogene M.M. Warburg Gruppe soll 176,5 Millionen Euro zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nun steht nach Informationen des Handelsblatts der nächste Cum-Ex-Prozess bevor.
Diesmal wird die Staatsanwaltschaft aktuelle und ehemalige Banker der M.M. Warburg Gruppe anklagen und vor das Bonner Gericht bringen. Es handelt sich dabei Verteidigerkreisen zufolge um den früheren Prokuristen Christian S., den Aktienhändler Marcus H., einen Manager sowie Detlef M., der früher bei Warburg Invest arbeitete.
Die vier Betroffenen wollten sich zu den Vorwürfen nicht äußern oder reagierten auf Nachfrage nicht. Auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft Köln wollte zu der Sache nichts sagen.
Die kürzlich als Aufsichtsräte zurückgetretenen Hauptgesellschafter Christian Olearius und Max Warburg müssen sich nach Recherchen des Handelsblatts nicht auf die Bonner Anklagebank setzen, bleiben aber beschuldigt. Sie wiesen die Vorwürfe bislang immer zurück.
Die Warburg-Banker haben viel Gesellschaft. Die Methode, sich beim Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch Steuern „erstatten“ zu lassen, die man gar nicht gezahlt hatte, war weltweit beliebt. Deutsche Traditionshäuser beteiligten sich daran genauso wie Bankriesen aus Europa, den USA und Australien. Spitzenkanzleien wie Freshfields schrieben Gutachten, die die Geschäfte auf Kosten der Steuerzahler für juristisch einwandfrei deklarierten. Der Gesamtschaden der Cum-Ex-Geschäfte wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Die Hamburger Privatbank M.M. Warburg gehört nach den Erkenntnissen der Ermittler zu den eifrigsten Beteiligten. Sie nahm ab 2006 Rollen auf der Käufer- wie auch auf der Verkäuferseite des Aktienhandels ein, betrieb Geschäfte auf eigene Rechnung und legte Cum-Ex-Fonds für Investoren auf.
Für all das musste sich die Bank bereits im ersten Cum-Ex-Strafprozess vor dem Landgericht Bonn verantworten: Sie gehörte zusammen mit ihrer Fondstochter Warburg Invest zunächst zu fünf Finanzinstituten, die das Gericht zu „Einziehungsbeteiligten“ machte.
Später trennte das Gericht die Verfahren gegen die Investmentfirmen ab, übrig blieb die M.M. Warburg Gruppe. Das Argument, man habe nichts Illegales getan, ließ das Gericht nicht gelten. Allen Akteuren sei bekannt gewesen, dass der Gesetzgeber niemals eine doppelte Erstattung von Steuern beabsichtigt habe.
Die beiden strafrechtlich verurteilten Männer waren Investmentbanker, die eng mit Warburg zusammengearbeitet hatten. Im Laufe der Ermittlungen entschieden sie sich dann, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Sie wollten im größten Steuerskandal Deutschlands Teil der Lösung sein und nicht mehr Teil des Problems. Ihre Bewährungsstrafen waren ein Zeichen, dass die Staatsgewalt ihre Hilfe anerkannte.
Warburg ist noch immer Teil des Problems. Jahrelang bestritt die Bank, im Zusammenhang mit den Geschäften auf Kosten des Staates überhaupt irgendeinen Fehler gemacht zu haben. Das ging so lange, bis sich sogar die Bankenaufsicht Bafin einschaltete und bei M.M. Warburg etwas begann, was sich die feinen hanseatischen Banker niemals hatten träumen lassen: eine Tauglichkeitsprüfung ihrer Topmanager.
Christian Olearius und Max Warburg, jahrzehntelang hochkarätigste Vertreter der Bank und zuletzt Aufsichtsratschef und Stellvertreter, mussten eine sogenannte Fit-und-Proper-Untersuchung erdulden. Die Koryphäen der Bank wurden auf ihre fachliche und moralische Eignung hin untersucht, ihre Ämter auszuüben. Als die beiden eine Ahnung davon haben konnten, wie das Ergebnis aussehen würde, traten sie im November 2019 zurück.
Gebraucht wurden sie trotzdem noch – vor allem mit ihren finanziellen Rücklagen. Die Bafin beauftragte für den Fall Warburg einen Sonderprüfer. Der Bericht von Deloitte fiel ernüchternd aus. Das finanzielle Risiko für Warburg bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte betrage bis zu 300 Millionen Euro, notierten die Experten. Laut Geschäftsbericht 2018 lag die Eigenkapitalausstattung der Bank bei 275 Millionen Euro.
Das Verhältnis zwischen den finanziellen Forderungen an die Bank und den finanziellen Möglichkeiten in der Bank bestimmt das Handeln des Warburg-Managements. Einerseits wollte sich die Führung geläutert geben und kündigte im Dezember 2019 an, die Gewinne, die sie mit Cum-Ex-Geschäften erzielt hatte, „unverzüglich an den Fiskus auszukehren“. Andererseits hatte sie aber ganz eigene Vorstellungen, wie hoch diese Beträge sein sollten.
46 Millionen Euro: Das sei die Summe dessen, was M.M. Warburg über die Jahre mit den Cum-Ex-Geschäften verdient hatte, teilte die Bank mit. „Der Gewinn aus den Cum-Ex-Geschäften in den Jahren bis 2011 mit einem Steuervolumen in Höhe von 169 Millionen betrug in Summe rund 68 Millionen Euro.“ Nach Steuern gehe es eben um 46 Millionen Euro. Bei Warburg Invest sei lediglich eine kleine Verwaltungsgebühr angefallen.
Das Gericht rechnete ganz anders. Auf 176,5 Millionen Euro summiere sich der Schaden, der allein durch die Eigenhandelsgeschäfte der Warburg Gruppe entstanden sei. Für Warburg Invest standen weitere 109 Millionen Euro im Raum. Wer genau diesen Betrag an die Staatskasse zahle, müssten die Beteiligten unter sich ausmachen. Wenn in einem Gewirr aus Briefkastenfirmen, Strohmännern und Provisionsberechtigten viele nicht mehr greifbar seien, würde sich die Staatskasse an diejenigen wenden, deren Adresse bekannt war, zum Beispiel M.M. Warburg.
Nicht jeder aus der Finanzszene mag mit dieser Vorgehensweise einverstanden sein, rechtlich zulässig ist sie nach Auffassung der Justiz trotzdem. Das Risiko von kriminellen Geschäften soll für die Beteiligten nicht nur darin liegen, einfach auf den Gewinn zu verzichten. Wer sich darauf einlässt, muss am Ende damit rechnen, für den gesamten Schaden aufzukommen. Die abschreckende Wirkung liegt damit viel höher als ein Ergebnis mit plus/minus null.
Das Ende kann dabei durchaus überraschen. M.M. Warburg konnte sich in Hamburg jahrelang sicher fühlen, weil die dortige Finanzverwaltung offenbar gar kein Interesse hatte, für den doppelten Griff in die Steuerkasse einen Anspruch geltend zu machen. Sie änderte die Steuerbescheide nach Auffliegen der Cum-Ex-Geschäfte nicht ab und schien auch völlig unbeeindruckt von den staatsanwaltlichen Ermittlungen, die in Köln zum Fall Warburg liefen.
In Hamburg wurde der Fall zum Politikum, weil es in der Folge so schien, als habe es politischen Einfluss darauf gegeben, die Zügel schleifen zu lassen. Die Wochenzeitung „Zeit“ und die ARD berichteten, der damalige Bürgermeister Hamburgs und heutige Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz habe im November 2017 den Warburg-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Olearius in seinem Amtszimmer empfangen – zu einem Zeitpunkt, an dem die Bank längst in Steuerverfahren und Strafermittlungen verstrickt gewesen sei.
Dabei seien auch Cum-Ex-Geschäfte besprochen worden – mit beruhigen Ausgang für Olearius. Scholz bestritt den Vorwurf, doch die Ansprüche auf Steuerrückerstattungen für 2009 schienen verjährt. Die Trägheit ihrer Finanzverwaltung hätte die Hanseaten damit 47 Millionen Euro gekostet.
Diese Gefahr ist nun gebannt. Nach dem ersten strafrechtlichen Urteil in Bonn hat die Finanzverwaltung Hamburg ihren Schongang gegenüber der Bank aufgegeben. Sie fordert nun 160 Millionen Euro zurück, die dem Steuerzahler durch die Cum-Ex-Geschäfte der M.M. Warburg bis 2009 entgingen.
Das ist ein Großteil des vom Gericht veranschlagten Betrags. „Wir haben immer deutlich gemacht, dass derartige Steuerforderungen geltend gemacht werden, wenn es die jeweilige Sach- und Rechtslage aus Sicht der zuständigen Steuerverwaltung zum jeweiligen Zeitpunkt hinreichend sicher erlaubt“, rechtfertigte die Behörde ihr langjähriges Nichtstun via Twitter. Warburg wehrt sich gegen die neuen Steuerbescheide.
In dem neuen Prozess in Bonn wird die Staatsanwaltschaft nur Privatpersonen anklagen – so wie beim ersten Mal im September 2019. Anders als im ersten Prozess dürfen die Beschuldigten nicht mit einer freundlichen Gesinnung des Gerichts rechnen. Sie verweigerten im Vorlauf des anstehenden Prozesses eine Kooperation mit der Staatsanwaltschaft.
Ein solches Verhalten von Beschuldigten ist nicht unüblich, wirkt aber gerade in diesem Strafverfahren wenig erfolgsträchtig. Die im ersten Prozess in Bonn zu Bewährungsstrafen Verurteilten hatten sich der Staatsanwaltschaft geöffnet und umfangreich ausgesagt. Für viele Fragen, die im zweiten Prozess gewogen werden müssen, ist das Gericht bereits ausreichend informiert. Dass die Beschuldigten zu dieser Information nicht beitrugen, könnte sich auf das Strafmaß auswirken.
In einer früheren Version hieß es, dass Detlef M. noch bei Warburg Invest arbeitet. Er ist aber mittlerweile bei einer anderen Firma tätig.
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