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Special

Special: Cum-Ex

16.03.2021

14:41

Steuerkriminalität

Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker wird befördert

Von: Sönke Iwersen, Volker Votsmeier

PremiumDie Kölner Oberstaatsanwältin ermittelt schon seit acht Jahren in Deutschlands größtem Steuerskandal. Nun bekommt sie eine eigene Hauptabteilung im Kampf gegen das Milliardengeschäft.

Die Kölner Oberstaatsanwältin steigt innerhalb der Behörde auf. dpa

Anne Brorhilker

Die Kölner Oberstaatsanwältin steigt innerhalb der Behörde auf.

Köln Anne Brorhilker hat schon viele Stürme überstanden. Anwälte warfen der Kölner Staatsanwältin Ermittlungsfehler vor und attackierten sie mit Anzeigen. Doch Brorhilker ließ sich nicht beirren – obwohl sie im Kampf gegen eine besondere Spielart von Steuerhinterziehung lange weitgehend auf sich allein gestellt war. Unterstützung erhielt die 47-Jährige anfangs nur von wenigen Beamten aus dem Landeskriminalamt und dem Bundeszentralamt für Steuern.

Nun wird Brorhilker für ihre emsige Arbeit belohnt. Die Oberstaatsanwältin steigt innerhalb der Behörde auf und wird in Kürze eine eigene Hauptabteilung leiten. Ihr neuer Job sorgt für mehr Eigenständigkeit. Bisher musste die Ermittlerin sich mit dem Vorgesetzten abstimmen, in dessen Hauptabteilung sie eingegliedert war.

Sie verdankt den Aufstieg ihrer Sachkenntnis, ihrem Fleiß – und auch Peter Biesenbach. „Bei der Staatsanwaltschaft Köln habe ich eine Eliteeinheit im Kampf gegen Cum-Ex geschaffen“, sagt der Justizminister von Nordrhein-Westfalen (CDU). Mit der Zeit hat er die Ressourcen für den Kampf gegen „industrielle Steuerhinterziehung“, wie er Cum-Ex-Geschäfte nennt, stark ausgebaut.

Cum-Ex bezeichnet eine Art des Aktienhandels, bei der sich die Beteiligten eine nur einmal abgeführte Steuer mehrfach „erstatten“ ließen. In der Finanzszene galten diese Geschäfte als besonders einträglich, weil sie bei null Risiko zweistellige Renditen garantierten. Mehr als 100 Banken aus aller Welt griffen in die deutsche Steuerkasse, der Schaden soll bei insgesamt zwölf Milliarden Euro liegen.

Biesenbach ist seit 2017 Justizminister, das ganze Ausmaß des Betrugs sei ihm erst nach seiner Amtsübernahme bewusst geworden, sagt der Politiker. Inzwischen hat er größte Hochachtung vor den Cum-Ex-Ermittlern, allen voran Anne Brorhilker.

NRW-Justizminister setzt auf seine besten Ermittler

„Die Materie ist extrem kompliziert, das ist juristisches Hochreck“, berichtet Biesenbach. „Dem setzen wir in Nordrhein-Westfalen immer mehr hochspezialisierte engagierte Ermittler gegenüber.“ Der Minister weiß: Unter den Beschuldigten sind viele Männer und Frauen mit hochkarätiger Ausbildung und erheblichen finanziellen Mitteln. Steuerfachanwälte der renommiertesten Kanzleien der Welt gehören ebenso dazu wie Vorstände internationaler Finanzkonzerne.

Biesenbach hat nun eine ganze Hauptabteilung ausschließlich für Cum-Ex-Verfahren geschaffen, die demnächst von Brorhilker geleitet werden soll. Zwei Abteilungsleiter mit ihren Teams werden ihr zuarbeiten.

Für die Staatsanwältin war es bis zu dieser Beförderung ein langer Weg: Schon seit etwa acht Jahren ermittelt Brorhilker im größten Steuerskandal der Nachkriegszeit. Anfangs wollten manche Kollegen kaum etwas von ihrer Arbeit wissen, andere hielten Brorhilker für naiv, weil sie sich reihenweise mit Institutionen anlegte, die über viel mehr Ressourcen verfügten als die Staatsanwaltschaft.

Brorhilker aber ließ nicht ab. Sie durchsuchte Banken und Börsen, brachte Aktienhändler und Anwälte zum Reden, entschlüsselte Netzwerke und entlarvte Hintermänner. Ende 2019 stellte sie zwei Briten vor Gericht, im Frühjahr 2020 wurden sie verurteilt. Das Verfahren gilt als Blaupause für Dutzende weiterer Fälle.

Der Minister gibt Brorhilker nun nicht nur zusätzliche Kompetenzen, sondern auch mehr Personal. In der neuen Hauptabteilung der Oberstaatsanwältin sollen künftig 20 Dezernenten ausschließlich die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Fälle vorantreiben, bisher waren es 14. Unterstützung erhält die Staatsanwaltschaft von 43 Polizisten und 35 Beamten aus der Finanzverwaltung. Auch in diesen Ressorts wurde das Personal teils massiv aufgestockt.

Mehr als 1000 Beschuldigte

Außerdem haben die Kölner neue Kooperationen angeschoben. So sind Steuerfahnder aus Bayern und Hessen in einige Fälle eingebunden. Die hessischen Fahnder kennen sich mit der Materie bestens aus, weil sie bereits mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zusammenarbeiten, die ebenfalls wegen Cum-Ex ermittelt. Die Frankfurter haben zwei Fälle zur Anklage gebracht, neun weitere sind in Arbeit. Insgesamt hat die Generalstaatsanwaltschaft 72 Beschuldigte identifiziert.

Brorhilkers neue Abteilung muss ein Vielfaches stemmen. Die Kölner ermitteln in 87 verschiedenen Verfahren, die Liste der Beschuldigten zählt 1022 Namen. Viele davon, sagen Finanzexperten, wären ohne Brorhilker nie in diese Lage gekommen.

„Man kann die Bedeutung von Frau Brorhilker bei Cum-Ex nicht hoch genug einschätzen“, sagt Gerhard Schick, Chef der Bürgerbewegung Finanzwende. Als er noch für die Grünen im Bundestag saß, initiierte Schick den Untersuchungsausschuss Cum-Ex. Der Name Brorhilker wurde ihm schnell zum Begriff.

„Gerade in den ersten Jahren hat Frau Brorhilker quasi im Alleingang die entscheidenden Schritte geschafft, um die strafrechtliche Aufarbeitung überhaupt in Gang zu bringen“, sagt Schick. Er hatte vehement mehr Personaleinsatz gefordert. „Ich hoffe, dass der Elan von Frau Brorhilker von allen in der Staatsanwaltschaft Köln geteilt wird.“

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