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22.10.2019

04:04

Interview

BCG-Deutschland-Chef Tauber: „Wir wachsen doppelt so schnell wie der Markt“

Von: Sebastian Matthes

Matthias Tauber spricht im Interview über den drohenden Abschwung, die ökonomischen Chancen nachhaltiger Technologien – und seine Strategie für Boston Consulting.

Matthias Tauber: „Wir wachsen doppelt so schnell wie der Markt“ Thomas Berger für Handelsblatt

Matthias Tauber

Die deutsche Wirtschaft müsste seiner Meinung nach 30 Milliarden Euro pro Jahr investieren, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Düsseldorf Es war eine steile Karriere: Mit gerade einmal 40 Jahren wurde Matthias Tauber vor rund sechs Monaten Deutschland-Chef der Unternehmensberatung BCG. Dort hatte er zuvor vor allem Unternehmen aus der Chemie-, Baustoff- und Metallbranche beraten. Ein Thema, das zeigt sich bei seinem ersten Interview als Deutschlandchef schnell, bewegt ihn besonders: der Klimawandel und die Frage, wie die Wirtschaft darauf reagieren kann.

Herr Tauber, die deutsche Wirtschaft kühlt sich ab, Ökonomen sehen unser Land längst am Rande einer Rezession. Beginnt gerade wieder die für Berater lukrative Zeit der Restrukturierungen?
Die Wirtschaft ist tatsächlich in einer schwierigen Lage. Die Unsicherheiten beim Brexit, der Handelsstreit mit China und den USA, die sich abkühlende Konjunktur – all das trifft die Unternehmen schwer. Deshalb steht die Vorbereitung auf den Abschwung bei den deutschen CEOs tatsächlich ganz oben auf der Agenda. Dazu gehören aber nicht nur Restrukturierungen.

Der Abschwung kommt in einer Zeit, in der viele Unternehmen vor disruptiven Veränderungen stehen, getrieben durch die Digitalisierung, aber auch durch die Herausforderungen des Klimawandels. Wie bereiten sich die Unternehmen auf diese schwierige Zeit vor?
Ein wesentlicher Punkt sind Kostensenkungsprogramme.

Also Entlassungen?
Das kann im Einzelfall vorkommen. Viele Unternehmen werden aber versuchen, das zu vermeiden, weil klar ist, wie schwer es in guten Zeiten ist, die richtigen Mitarbeiter zu finden.

Wie geht es dann?
Ich sehe eher den Trend, dass Unternehmen digitale Technologien nutzen, um ihre Kosten zu senken. Eine wachsende Zahl setzt zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) ein, um Einsparpotenziale in ihren Budgets zu finden. Große Konzerne ersetzen zudem mithilfe von Prozessdigitalisierung und KI ganze Geschäftsprozesse in ihren Zentralen.

Wie sollte aus Ihrer Sicht die Bundesregierung auf die absehbare Krise reagieren?
Zunächst müssen wir festhalten, dass es den Deutschen gut geht: Unser Land belegt den zwölften Platz der Länder mit dem höchsten Wohlbefinden, das hat gerade eine neue BCG-Studie ergeben. Aber die Zahlen zeigen auch unser Problem: Wir beobachten in der Wirtschaft seit Jahren einen anhaltenden, leichten Abwärtstrend, während andere Länder aufholen. Grund dafür sind zunehmende Defizite im Bereich der deutschen Infrastruktur, also bei Straßen, Schienen, Stromtrassen und bei dem so wichtigen Ausbau von Breitband- und Mobilfunknetzen.

Vita von Matthias Tauber

Der Berater

Der Südtiroler ist seit April Deutschlandchef der Boston Consulting Group. Zuvor beriet er Kunden aus der Chemie-, Baustoff- und Metallbranche. Tauber arbeitet seit 2003 bei BCG – zunächst in Wien, anschließend in München.

Das Unternehmen

BCG ist nach McKinsey die zweitgrößte Managementberatung in Deutschland. Der Umsatz in Deutschland und Österreich lag 2018 bei rund 910 Millionen Euro.

Ähnlich problematisch ist die Situation im Bildungssektor. Denn mit dem Bildungssystem von heute werden wir das Fachkräfteproblem von morgen nicht lösen können. In all diesen Feldern brauchen wir deutlich höhere Investitionen.

Sollte die Bundesregierung die schwarze Null aufgeben, um die Investitionen zu finanzieren?
Ob man dafür die schwarze Null aufgeben muss, sollen andere beurteilen. Klar ist, dass wir investieren müssen. Sonst gerät die Basis unseres Wohlstands in Gefahr. Und da haben wir noch gar nicht über das Klima gesprochen, das nächste große Thema vieler Unternehmen.

Welche Rolle spielt der Klimawandel eigentlich wirklich in den Unternehmen?
Vor fünf Jahren ging es in Gesprächen mit CEOs nur selten um Nachhaltigkeit und Klimafragen, vor drei Jahren wurden die Themen in Nebensätzen erwähnt. Heute ist es eins von drei Topthemen, neben dem drohenden Abschwung und der Digitalisierung. Alle CEOs, die ich kenne, beschäftigen sich ernsthaft damit.

Mit welchen Folgen?
Ich sehe zum Beispiel, dass viele überlegen, wie sie das Thema Klimaschutz zu einem Differenzierungsmerkmal machen können. Vertreter der Konsumgüterindustrie rechnen etwa damit, dass Verbraucher nachhaltige Produkte in Zukunft noch viel stärker einfordern werden.

Solche Ideen waren in der Vergangenheit dann oft Greenwashing.
Es geht heute in vielen Unternehmen deshalb um weit mehr als nur um grüne Produkte. Vielmehr geht es um die Transformation kompletter Geschäftsmodelle und Industrien sowie die Frage, wie sich das ganze Unternehmen nachhaltiger gestalten lässt. Zum Beispiel mit energiesparenden Prozessen, grünem Strom und weniger Reisen. Das verlangen übrigens auch zunehmend die Investoren.

Wie viel wird die Klimawende die deutsche Wirtschaft kosten?
Laut unseren Berechnungen müsste die deutsche Volkswirtschaft Mehrkosten von 30 Milliarden Euro pro Jahr schultern, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Eine enorme Summe.
Das stimmt. Aber auch eine machbare Summe für ein Land wie Deutschland. Das ist in etwa so viel wie die Deutschen jedes Jahr fürs Rauchen ausgeben. Und wer vor der Wissenschaft nicht die Augen verschließt, weiß doch: Diese Ausgaben sind alternativlos. Aber sie bringen durchaus auch positive ökonomische Effekte: Laut unseren Berechnungen wird 2050 das Bruttoinlandsprodukt durch die Wende hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft um 0,6 bis 0,9 Prozent höher liegen, weil Investitionen getätigt werden, die für Wachstum und Jobs sorgen. Ein nicht kleiner Teil der Investitionen muss allerdings von der Industrie kommen. Und dafür brauchen die Unternehmen Sicherheit.

Was fordern Sie konkret?
Die Politik muss verhindern, dass ein deutsches Unternehmen in grüne Werke investiert und dann gegen billigeren, nicht-grünen Stahl etwa aus China oder Zement aus der Türkei konkurrieren muss. Hier könnte eine sogenannte Grenzübergangssteuer helfen. Ausländische Anbieter müssten dann draufzahlen, wenn sie ihre nicht-grünen Produkte in Deutschland anbieten wollen. Oder die Politik reguliert, wie viel CO2 für die Produkte ausgestoßen werden darf.

Warum glauben Sie, dass Unternehmen überhaupt dauerhaft in grüne Technologien investieren werden?
Zunächst einmal, weil es gesellschaftlich geboten ist ...

Das ist es schon lange.
Zudem fordern es Investoren, weil es wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Politik muss allerdings die richtigen Anreize setzen und den Verkehr sowie kleinere Industrieanlagen in den CO2-Zertifikatehandel einbeziehen. Wenn das gelingt, kann die Klimawende ein Konjunkturprogramm für die gesamte Industrie werden.

Ähnlich klangen auch die Versprechen für die Energiewende. Doch zehn Jahre später liegen sowohl die deutsche Solarindustrie wie auch die Windkrafthersteller am Boden.
Weil es nie einen Plan gegeben hat, der alles aufeinander abgestimmt und Effizienz über die gesamte Wirtschaft hinweg gewährleistet hat. Ein Beispiel: Der Ausstieg aus der Kohlekraft wird über Jahre hinausgezögert mit dem Argument des verträglichen Arbeitsplatzabbaus – zeitgleich gehen in der Windkraftbranche innerhalb eines Jahres mehr Arbeitsplätze verloren, als in der gesamten Kohleindustrie noch vorhanden sind.

In einem anderen Feld droht Deutschland den Anschluss zu verlieren: der Digitalisierung.
Das sehe ich nicht ganz so pessimistisch. Zwar sind sieben der zehn größten Unternehmen der Welt Technologieunternehmen, von denen kein einziges in Europa sitzt. Deutschlands Chance ist aber eine intelligente Digitalisierung der Industrie. Eine unserer Stärken sind ja heute schon Industrieroboter, die überall auf der Welt gefragt sind. Eine weitere Chance sind die Unmengen an Daten, die in den Unternehmen derzeit entstehen …

… wobei viele Firmen Berührungsängste haben, damit Geld zu verdienen.
Das stimmt. Immer noch zu viele sehen nicht die Chancen, die ihnen datenbasierte Geschäftsmodelle bieten. Sicher liegt das auch daran, dass im industriellen Mittelstand oft noch das digitale Know-how fehlt.

Sehen Sie, dass jetzt – in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten – Unternehmen ihren digitalen Umbau auf die lange Bank schieben?
Das mag vorkommen. Aber das ist gefährlich. Wir haben 5000 Unternehmen angeschaut und analysiert, wie sie sich über die letzten fünf Rezessionen entwickelt haben. Diejenigen, die auch in schwierigen Zeiten den Wandel weitergetrieben haben, konnten während der Rezession sogar Profit und Umsatz steigern.

Wirtschaftliche Unsicherheit, technologische Umbrüche: Wie wirkt sich all das auf das Geschäft bei BCG aus? 2018 haben Sie in Deutschland schätzungsweise 910 Millionen Euro umgesetzt.
Umsatzzahlen für einzelne Länder kommunizieren wir nicht. Wir sind aber sehr zufrieden. Nach einem starken Jahr 2018 werden wir dieses Jahr wieder mit einem zweistelligen Umsatzwachstum abschließen. Damit wachsen wir nach unseren Berechnungen etwa doppelt so schnell wie der Markt.

Welcher Geschäftsbereich wächst am schnellsten?
Ein Drittel unseres Geschäfts hat mit „Digital and Analytics“ zu tun, der Bereich wächst überdurchschnittlich. Rund 40 Prozent des Umsatzes machen wir aber mit Beratungen, in denen es um die Vorbereitung auf den Abschwung geht.

Sie wollten dieses Jahr in Deutschland 750 neue Mitarbeiter einstellen. Hat das geklappt?
Ja.

Wie sind Ihre Pläne für 2020?
Nächstes Jahr wollen wir mehr als 800 Kolleginnen und Kollegen einstellen, weil wir auch mit noch einmal wachsendem Geschäft rechnen. Zudem wollen wir einen zweistelligen Millionenbetrag in den Digitalstandort Deutschland investieren.

Ist so ein Wachstumsplan nicht riskant in einer Zeit, in der die Wirtschaft vor dem Abschwung steht?
Wir glauben an unser Geschäft und an unsere Fähigkeiten, deshalb sind wir davon überzeugt, dass wir auch in diesen Zeiten in die besten Köpfe investieren sollten. Ich bin übrigens sicher, dass sich zwar unsere Themen verändern werden, aber für viele Unternehmen dürften wir auch Teil der Lösung sein. Ich halte es daher für realistisch, dass wir sogar in einem stagnierenden Beratermarkt kräftig wachsen werden.

Herr Tauber, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr: Der frühere BCG-Deutschlandchef Carsten Kratz wechselt zu Bridgepoint. Damit bleibt er seiner Linie treu.

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