Vor allem die deutschen Büros von US-Kanzleien können den Trend bisher für sich nutzen. Zahlreiche weitere Transaktionen sind bereits in Vorbereitung.
Handelssaal in Frankfurt
Die Deutsche Börse zählt in Europa zu den gefragtesten für die Anlageklasse Spac.
Bild: dpa
Düsseldorf Verschnaufpausen hat Carsten Berrar derzeit selten. Die Spiele der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft hat er sich im Fernsehen angeschaut, viel mehr Freizeit gibt der Arbeitsalltag des Frankfurter Anwalts in diesen Wochen nicht her.
Wie die europäischen Spitzenkicker aktuell in den Stadien des Kontinents geht auch Berrar an seine Belastungsgrenze. Gäbe es so etwas wie eine Nationalelf der Anwälte für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, wäre ihm ein Platz sicher – wahrscheinlich sogar die Rolle des Spielmachers. Der 49-Jährige gilt als der wohl gefragteste Rechtsberater der Republik für M&A- und Kapitalmarkttransaktionen.
Im Juni verhalf er mit seinem Rechtsrat etwa den Onlinehändlern Bike24 und About You zum Börsengang, Anfang Juli folgt Mister Spex. Und Ende Mai war da noch die 18 Milliarden Euro schwere Fusion der Immobilienkonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen, die er mit seinem Frankfurter Team der US-Kanzlei Sullivan & Cromwell begleitete. „Der Kapitalmarkt ist so spannend wie lange nicht“, meint Berrar. „Vor allem ist die Palette der Transaktionen so breit und herausfordernd wie selten.“
Daran, dass Berrar so bis zum Anschlag arbeitet, haben neben klassischen IPOs vier Buchstaben einen großen Anteil: Spac. Was klingt wie der Name eines Covid-Impfstoffs ist die Abkürzung für Special Purpose Acquisition Company, den auffälligsten und meistdiskutierten Trend an den Börsen. Spacs sind Unternehmenshüllen ohne eigenes operatives Geschäft.
Einziges Ziel dieser Mantelgesellschaften ist es, durch einen Börsengang Kapital einzusammeln. Hinter Spacs stehen in der Regel bekannte Manager, Banker oder Hedgefonds. Mit dem beim Börsengang eingesammelten Geld soll dann ein nicht börsennotiertes Unternehmen übernommen werden oder mit dem Spac fusionieren.
Das übernommene Unternehmen kommt so an frisches Kapital, ohne die Transparenzvorschriften und strikten Regeln eines traditionellen Börsengangs einhalten zu müssen. Vor allem für aufstrebende Tech-Firmen, die noch nicht groß genug für einen klassischen Börsengang sind, können sie eine Alternative sein. Dass der Wert der Firma in den Fusionsverhandlungen mit den Spac-Sponsoren festgelegt wird, bietet den Firmen Sicherheit.
Berrar hat die rechtliche Pionierarbeit für Spacs am deutschen Markt geleistet. Drei Spacs sind 2021 an der Frankfurter Börse gelistet worden, alle mithilfe von Berrar und seinem Team. An etwa zehn weiteren arbeitet er.
Der Trend hat seinen Ursprung in den USA. Dort gab es einen regelrechten Hype um die leeren Börsenhüllen. 2020 sammelten dort über 200 Spacs Investorengelder ein, allein in den ersten Monaten 2021 gar 300. Die Zahl der Spac-IPOs war größer als die Zahl der regulären Unternehmen, die den Sprung aufs Parkett wagten. Die Hüllen hatten damit auch maßgeblichen Anteil daran, dass die Kapitalaufnahme im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 um mehr als 220 Prozent auf über 200 Milliarden Dollar stieg.
„Die erste Jahreshälfte war von einer beispiellosen Spac-Aktivität geprägt, ein Trend, der sich auf der ganzen Welt fortsetzt“, kommentiert Helen Bradley die Entwicklung. Bradley ist Chefin des globalen Kapitalmarktteams einer der größten Kanzleien der Welt, Baker & McKenzie.
In den USA zeigt das Spac-Geschäft bereits Zeichen der Überhitzung. Die US-Finanzaufsicht SEC nimmt das boomende Geschäft zudem strenger unter die Lupe. Sie veränderte etwa die Bilanzierungsregeln für die Gesellschaften und will mit neuen Richtlinien für realistischere Wachstumsprognosen der Zweckgesellschaften sorgen.
Nun rückt Europa in den Fokus der Spac-Investoren. Von 30 bis 60 Spacs europaweit allein 2021 ging zuletzt Armin Heuberger aus, Leiter des Kapitalmarktgeschäfts der schweizerischen Großbank UBS in Deutschland. An der Frankfurter Börse seien zehn bis 20 Spacs vorstellbar. Eine ähnliche Größenordnung sieht auch Deutsche-Börse-Manager Peter Fricke: „Ich rechne damit, dass wir in Frankfurt in diesem Jahr bis zu ein Dutzend Listings von Börsenmänteln sehen könnten“, so Fricke. Er leitet die Plattform Venture Network, die aufstrebende Firmen und Investoren zusammenbringt.
Die Vorarbeiten laufen seit Sommer 2020. Im August landete eine erste Anfrage bei Berrar. Der Investor Klaus Hommels plante einen Spac in Deutschland. Die Skepsis war anfänglich noch groß, denn den Versuch, Börsenmäntel hoffähig zu machen, gab es hierzulande schon vor mehr als zehn Jahren. Seinerzeit engagierten sich Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff und Berater Roland Berger. Doch das Projekt unter dem Namen Germany 1, das 2009 die Mehrheit am Hersteller von Stromversorgungsgeräten AEG Power Solutions erwarb, floppte wie auch weitere Transaktionen.
Die Idee der Börsenmäntel setzte sich anders als in den USA nicht durch. Dafür gab es eine Reihe von Gründen: In den USA ist der Spac-Markt etabliert und die Liquidität hoch. Der reibungslose Ablauf bei Käufen und Verkäufen ist damit verlässlicher, was vor allem für Großanleger bedeutend ist. Dazu sind hiesige Anleger sicherheitsbewusster. Zudem sorgen die komplizierten Strukturen der Vehikel für Skepsis. Auch die Vorstellung, dass Hauptinvestoren ihre Pläne notfalls auch ohne die Aktionäre durchsetzen können, schreckt Anleger ab.
Nun haben sich die Rahmenbedingungen verbessert: Der enorme Rückenwind aus den USA ist dabei ein Faktor. Die Liste der Prominenten, die sich in Spacs engagieren, reicht von Sportstars wie dem Ex-Basketballer Shaquille O’Neal, der Tennisspielerin Serena Williams und Fußballer Robert Lewandowski bis hin zu Musikgrößen wie Jay-Z. Die wichtigste Rolle spielt aber wohl die enorme Liquidität am deutschen Markt und anderswo in Europa.
US-Kanzleien und ihre europäischen Dependancen haben dabei dank ihrer Spac-Erfahrung aus dem Heimatmarkt im Kampf um die ersten Deals auf dem Kontinent einen Startvorteil, auch wenn es große rechtliche Unterschiede zwischen den Ländern gibt. In Deutschland ist das Aufsetzen eines Spac so nicht möglich. Das Aktienrecht erlaubt viele Gestaltungen nicht, die zu den Spac-Kernbestandteilen gehören. Dies gilt etwa hinsichtlich der Bezugsrechte, die Investoren erhalten.
Die Lösung in der Praxis: Deutsche Spacs gründen sich in Luxemburg, nutzen den dortigen flexibleren gesellschaftsrechtlichen Rahmen und suchen dann den Weg an die Deutsche Börse.
Berrars Kanzlei Sullivan & Cromwell hat dabei die Maßstäbe gesetzt. „In die Anpassungen der Strukturen und Abstimmungen, die es für den Start in Deutschland brauchte, hat sich keiner so vertieft wie Carsten Berrar“, erkennt dabei auch ein enger Wettbewerber neidlos an. „Das hat Sullivan & Cromwell die Poleposition verschafft, gegen die schwer anzukommen ist.“
Am 22. Februar war es dann so weit: Nach Jahren startete wieder ein Spac an der Frankfurter Börse. Lakestar Spac 1, so der Name des Börsenmantels von Start-up-Investor Hommels, war achtfach überzeichnet und sammelte 275 Millionen Euro ein. Die Aktie legte nach der Erstnotiz kräftig zu.
Zwei weitere Deals folgten. Im Frühjahr brachten die Sullivan-&- Cromwell-Anwälte dann die beiden nächsten Spac-Mäntel an die Frankfurter Börse: 468 Capital der Venture-Capital-Spezialisten Alexander Kudlich, Ludwig Ensthaler und Florian Leibert sowie die Hülle Obo Tech der Investoren Rolf Elgeti und Lars Wittan.
Bei diesen drei Transaktionen bildete sich bei den beratenden Kanzleien eine Konstellation heraus, die im Fußball wohl als erfolgreiches Sturmduo gelten würde: Denn neben Berrars Team war bei allen drei Transaktionen eine andere Kanzlei mit dabei: Linklaters beriet jeweils die an den Börsenstarts beteiligten Banken. Dass die Wahl auf das Frankfurter Büro der britischen Magic-Circle-Kanzlei fiel, kommt nicht von ungefähr.
Wie Sullivan & Cromwell gehört Linklaters mit ihren hervorragenden Bankkontakten zu den erfahrensten Beratern für Börsengänge. Zudem konnte die Kanzlei mit weiteren Argumenten punkten: Zum einen hat sie auch ein Luxemburger Büro und mit Marco Carbonare einen als US-Anwalt qualifizierten Partner. Mit diesem Gesamtpaket ist Linklaters bisher die einzige Nicht-US-Kanzlei, die beim Thema Spacs präsent ist.
Ansonsten dominieren US-Kanzleien. Neben Sullivan gilt das Team von Skadden Arps Slate Meagher & Flom um Stephan Hutter als eine der aktivsten Adressen, wie auch Latham & Watkins mit dem Frankfurter Partner Oliver Seiler. Er glaubt, dass Spacs in Deutschland auch auf längere Sicht Potenzial haben.
Doch Seiler sieht auch institutionelle Hemmnisse. Zwar sei die Frankfurter Börse hinter der Amsterdamer in Europa die wichtigste Adresse für Spacs. Doch könnte Frankfurt durch regulatorische und bürokratische Einschränkungen zurückfallen. So seien etwa die Vorschriften für den erforderlichen Streubesitz und seinen Nachweis noch zu starr.
„Ich würde mir wünschen, dass bei der Entscheidung über den Streubesitz insgesamt eine größere Flexibilität Einkehr hält, solange eine ausreichende Liquidität in der Aktie plausibel ist“, sagt Seiler.
Welche Folgen starre Regel haben können, musste die Londoner Börse erleben. An Europas größtem Finanzplatz ging der Spac-Boom bisher vorbei, weil eine Vorschrift die Sponsoren abschreckte. Die Aktie eines Spacs an der Londoner Börse wird für Wochen oder Monate vom Handel ausgesetzt, wenn es eine Übernahme verkündet. Die Auszeit gilt so lange, bis das Spac die vollen finanziellen Informationen der übernommenen Firma bereitstellen kann. Das Hindernis wird nun nach dem Willen der britischen Regierung so schnell wie möglich beseitigt – und die Konkurrenz für die Börsen in Frankfurt damit noch größer.
Das womöglich größte Geschäft könnte für die deutschen Kapitalmarktanwälte und ihre Transaktionskollegen unterdessen an anderer Stelle warten: in dem Prozess, wenn die zu übernehmende Firma in der Börsenhülle aufgeht, dem sogenannten „De-Spac“. Hunderte in den USA gelistete Spacs sind noch auf der Suche nach Übernahmezielen und haben dafür vor allem Europa im Blick. Deutschland dürfte eines der Hauptziele sein.
Zuletzt setzte so der Berliner Online-Sporthändler Signa Sports United des österreichischen Investors René Benko zum Sprung an die Wall Street an. Doch werden die deutschen Juristen dies auch mit einem weinenden Auge betrachten: Denn der Gang aufstrebender Unternehmen an die US-Börsen ist nicht nur für den Kapitalmarktstandort Deutschland ein Rückschlag. Wenn die Transaktion vollzogen ist, stellen sich die langfristigen Kapitalmarktfragen dann in den USA.
In Deutschland hat derweil Hommels“ Börsenmantel-Pionier Lakestar 1 bereits nach wenigen Monaten ein Übernahmeziel gefunden. Er will den deutschen Onlinemarktplatz für Ferienunterkünfte, Hometogo, übernehmen und an die Börse bringen.
Ob und wie erfolgreich das Modell Spac in Deutschland langfristig sein wird, hängt nun auch maßgeblich von deren Börsenbilanz ab. Kritiker warnen Anleger vor dem Kauf der Katze im Sack. Sie bemängeln oft schwer durchschaubare Strukturen der Akquisitionsvehikel sowie die häufig außergewöhnlich hohen Vergütungen der Spac-Gründer und verweisen auf häufig schlechte Börsenperformance von Spacs in der Vergangenheit.
Carsten Berrar jedenfalls ist mit Blick auf die jüngsten Spacs trotzdem optimistisch. „Als Übernahmeziele stehen heute weit mehr vielversprechende aufstrebende Tech-Unternehmen zur Verfügung als noch vor zehn Jahren“, so der Anwalt. „Die Wachstumsperspektiven sind teils gigantisch, etwa bei manchem E-Commerce-Unternehmen oder womöglich in der Flugtaxi-Branche.“
Berrar ist überzeugt davon, dass sich das eine oder andere Start-up, das derzeit in den Starlöchern für einen Börsengang steht, bereits in einigen Jahren im Dax wiederfinden könnte. Ob der Weg dabei über einen Spac oder einen klassischen IPO führt, kann ihm egal sein. Er sehnt nun die Zeit nach der EM herbei. Denn dann sind die meisten Investoren und Banker im Urlaub und auch für ihn ist Zeit, um etwas durchzuatmen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×