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11.07.2022

19:20

Uber-Files

So soll Uber Politiker und Wissenschaftler für die Lobbyarbeit eingespannt haben

Von: Astrid Dörner, Norbert Häring, Christof Kerkmann, Dietmar Neuerer

PremiumDokumente, E-Mails und Textnachrichten zeigen die dubiosen Methoden von Uber – auch in Europa. Auch ein deutscher Ökonom taucht in den Daten auf.

Uber Files Reuters

Uber-Gründer Travis Kalanick

Nach mehreren Skandalen musste sich der Gründer des Fahrdienstes Uber aus dem Unternehmen zurückziehen.

New York, Frankfurt, Berlin Seit seinem Amtsantritt bemüht sicher Uber-Chef Dara Khosrowshahi darum, das Image des Fahrdienstes aufzubessern. Ein massives Datenleck sorgt nun allerdings dafür, dass der Konzern von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Die Daten belegen, wie Uber über Jahre Politiker und Wissenschaftler für sich einspannte und mit einer millionenschweren Kampagne versuchte, die öffentliche Meinung und die Gesetze zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen.

Der britischen Zeitung „The Guardian“ wurden interne Dokumente, E-Mails und Textnachrichten aus den Jahren 2013 bis 2017 zugespielt, als Gründer Travis Kalanick noch an der Spitze von Uber stand. Die Zeitung teilte sie mit einigen anderen Medien, darunter die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR.

Als Quelle gab sich nach der Veröffentlichung ein ehemaliger Uber-Manager zu erkennen. Mark McGann war Lobbyist für den Fahrdienst-Vermittler in Europa. Er habe beschlossen, als Whistleblower aufzutreten, weil er glaube, dass Uber bewusst Gesetze missachtet habe. „Ich bin zum Teil verantwortlich“, sagte er dem „Guardian“.

Er sei derjenige gewesen, der Regierungen und Öffentlichkeit von Vorteilen des Uber-Modells zu überzeugen versuchte. Nun habe er ein schlechtes Gewissen: „Wir haben den Leuten in Wirklichkeit eine Lüge verkauft.“

Uber Files: Datenleck bei Fahrdienstleister offenbart dubiöse Lobby-Arbeit

Die Analysen, die am Sonntagabend veröffentlicht wurden, zeigen unter anderem die dubiosen Methoden, mit denen sich das Unternehmen aus dem Silicon Valley Zugang zu den europäischen Märkten verschaffen wollte, auch mithilfe massiver Lobbyarbeit – etwa um in Deutschland das Personenbeförderungsgesetz zu ändern.

So vermittelte der FDP-Politiker Otto Fricke, der damals nicht im Bundestag saß und für eine Beratungsfirma arbeitete, organisierte Treffen mit Politikern, unter anderem dem damaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Staatssekretärin Dorothee Bär (beide CSU). Ziel sei es gewesen, das Personenbeförderungsgesetz zu ändern, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf die Dokumente.

In den Dokumenten bezeichneten Uber-Vertreter Dobrindt als „aufgeschlossen und unparteiisch“. Gegenüber der SZ erklärte der Politiker, ihm sei von einer gezielten Lobbykampagne mit ihm als erklärtem „Hauptziel“ nichts bekannt. Bei Treffen mit Uber-Vertretern habe er lediglich die Rechtslage geschildert und auf bestehende oder laufende Gerichtsverfahren verwiesen.

Uber-Gründer Kalanick selbst musste nach mehreren Skandalen zurücktreten, wurde mit dem Börsengang aber zum Milliardär. Zu Ubers Geldgebern gehörten unter anderem Menlo Ventures, Google Ventures, Microsoft, Fidelity und der Vision Fund von Softbank.

Lobbyarbeit durch Uber für eine Gesetzesänderung

Mit dem Kapital der namhaften Geldgeber betrieb Kalanick über Jahre eine aggressive globale Expansion. Damit stieß der Fahrdienst jedoch in zahlreichen Ländern auf Widerstand. Behörden und Gerichte verboten den Dienst häufig ganz oder in Teilen. Auch in Deutschland.

Auf Kritik stieß besonders die App Uber Pop: Diese sollte Privatleuten ermöglichen, Fahrgäste zu finden und in ihren eigenen Autos mitzunehmen, auch ohne Erlaubnis zur Personenbeförderung. Das war ein Verstoß gegen das Personenbeförderungsgesetz, wie mehrere Gerichte feststellten – was Uber nicht davon abhielt, den Service noch einige Monate anzubieten.

Mittlerweile hält sich Uber an die Gesetze. Der Konzern arbeitet nur noch mit Fahrern zusammen, die einen Personenbeförderungsschein haben. Dieser Service ist in 16 Städten verfügbar, darunter Berlin, München, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und Hamburg.

Ein Novelle des Personenbeförderungsgesetzes gilt übrigens seit 2021. Große Verbesserungen für neue Mobilitätsanbieter wie Uber bietet sie nicht: Sie dürfen nur Aufträge annehmen, die zuvor per App oder Telefon bestellt wurden. „Taxen dürfen weiterhin als Einzige spontan Fahrgäste aufnehmen“, hieß es im Bundesverkehrsministerium. Die Branche hat also ihr gesetzlich geschütztes Monopol in Teilen behalten.

Emmanuel Macrons persönlicher Einsatz

Auch in anderen Ländern soll Uber massiv politischen Einfluss genommen haben. Vor allem der amtierende französische Präsident Emmanuel Macron soll sich laut den Dokumenten in seiner Zeit als Finanzminister persönlich für Uber eingesetzt haben.

Zwischen Uber-Chef Kalanick und Macron soll es vier Treffen gegeben haben, berichtet die französische Zeitung „Le Monde“. Dabei soll es auch zu einer geheimen Absprache gekommen sein, die Uber das Geschäft erleichtert haben soll.

Als Finanzminister habe Macron sich „selbstverständlich mit zahlreichen Unternehmen ausgetauscht“, erklärte ein Sprecher des Präsidenten. Dabei sei es auch darum gegangen, bestimmte administrative oder regulatorische Sperren aufzuheben.

An Olaf Scholz, damals Bürgermeister der Stadt Hamburg, habe sich Uber dagegen die Zähne ausgebissen. Er soll darauf gepocht haben, dass die Fahrer den Mindestlohn bekommen. Ein Top-Manager habe ihn daraufhin als „einen wahren Komiker“ abgestempelt, schreibt der „Guardian“.

Wirtschaftswissenschaftler Haucap: Gutachten gegen Bezahlung

Nicht zuletzt bemühte sich Uber darum, mit Studien und Gutachten von Wissenschaftlern Einfluss auf den Diskurs zu nehmen. Renommierte Ökonomen des MIT und aus Princeton veröffentlichen Aufsätze, die den Fahrdienstleister als guten Arbeitgeber erscheinen ließen.

In Deutschland engagierte Uber den bekannten Ökonomen und früheren Chef der Monopolkommission, Justus Haucap, um eine Studie mit dem Unternehmen gefälligen Ergebnissen zu schreiben und diese in die Medien und die wissenschaftlichen Zeitschriften zu bringen.

Haucap räumte auf Anfrage des Handelsblatts ein, an der Erstellung an der Studie im Auftrag von Uber beteiligt gewesen zu sein. Dabei sei es darum gegangen, die Konsumentenvorteile einer Liberalisierung des Taxi-Marktes zu analysieren. „Wann immer die Studie Gegenstand einer Veröffentlichung oder einer Präsentation war, wurde sie klar und deutlich als Studie im Auftrag von Uber gekennzeichnet“, betonte der Ökonom.

Überdies seien sämtliche editorischen Änderungsvorschläge von Uber im Zusammenhang mit der Studie nur berücksichtigt worden, „wenn sie von den Studienautoren mitgetragen werden konnten und mit den wissenschaftlichen Ergebnissen der Studie in Einklang standen“.

In den Uber-Files enthaltene E-Mails legen indes den Schluss nahe, dass Haucap mit Uber abgesprochen hat, die gefälligen Ergebnisse in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) zu veröffentlichen. Dort erschien 2014 auch ein entsprechender Beitrag. Haucap ist Mitglied des Kuratoriums der FAZIT-Stiftung, die die journalistische Unabhängigkeit der FAZ sicherstellen soll.

Laut Haucap wurde tatsächlich neben der Erstellung der Studie auch das Abfassen eines Presseartikels verabredet. Abgerechnet worden sei dann im März 2015 ein „Newsletter“-Artikel. „Wir können heute nicht mehr rekonstruieren, um welchen Beitrag es sich dabei gehandelt haben soll“, sagte Haucap. „Doch der FAZ-Beitrag war es definitiv nicht.“

Es gebe auch keinen Zusammenhang zwischen dem genannten FAZ-Artikel von 2014 und seiner Mitgliedschaft im Kuratorium der FAZIT-Stiftung, erklärte Haucap weiter. „Wie hätte dies auch möglich sein sollen: Ich bin erst seit April 2016 Mitglied des Kuratoriums.“

Wie das Handelsblatt bereits 2017 berichtete, veröffentlichte Haucap 2015 eine im Uber-Auftrag erstellte Studie zu Mobilitätsmärkten in der von ihm selbst herausgegebenen Fachzeitschrift „List Forum“. In der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ veröffentlichte er im selben Jahr einen positiven Beitrag zu Uber und anderen Unternehmen der „Sharing-Economy“. Einen Hinweis auf die parallele Auftragsarbeit für Uber suchte man im Wirtschaftsdienst-Beitrag vergebens. Auf Anfrage erklärte Haucap damals, die Offenlegung sei versehentlich unterblieben.

Haucaps Auftragsarbeiten waren Teil einer massiven internationalen Kampagne zur Steuerung des wissenschaftlichen Diskurses im Sinne von Uber. Dafür heuerte das Unternehmen, das über ein gewaltiges PR-Budget verfügte, einige der renommiertesten Ökonomen von den führenden Universitäten an, wie Alan Krueger, Joshua Angrist und Robert Metcalfe. Diese verfassten mit von Uber bereitgestellten Daten und mit Uber-Managern als Ko-Autoren Studien, die ausnahmslos für Uber günstige Ergebnisse hatten.

Insbesondere wurde darin die verbreitete Kritik an schlechter Bezahlung und schlechten Bedingungen für die Uber-Fahrer gekontert. Anders als andere derartige Auftragsstudien wurden diese dank der großen Namen und Beziehungen der Autoren in den renommiertesten Fachzeitschriften veröffentlicht, was sicherstellte, dass sie viel zitiert werden und bis heute den wissenschaftlichen Diskurs bestimmen.

Uber verfügte über Notschalter bei Razzien

Darüber hinaus zeigen die Dokumente, dass Uber offenbar technische Notfallinstrumente hatte, um Ermittler an ihrer Arbeit zu hindern. Mit dieser Art digitalem „Kill-Switch“ soll Uber damals Behörden bei Durchsuchungen den Zugang zu wichtigen Daten erschwert haben. So wurden etwa während einer Razzia in Amsterdam die eigenen Computersysteme gesperrt, heißt es in den „Uber-Files“. Das sei von Kalanick persönlich angeordnet worden, wie der „Guardian“ aus E-Mails zitiert.

Der damalige Uber-Chef habe „nie Vorgehen autorisiert, die die Justiz in irgendeinem Land behindern würden“, teilte sein Sprecher mit. Auch habe er „nie suggeriert, dass Uber von Gewalt zulasten der Fahrersicherheit profitieren sollte“.

Darüber hinaus habe der Gründer explizit gefordert, dass sich die Uber-Fahrer bewusst in die Nähe von Protesten der Taxifahrer begeben, bei denen die Gefahr bestand, dass sie gewaltsam enden würden.

In den Unterlagen ist unter anderem dokumentiert, wie Uber nach Protesten gegen die Firma in Frankreich im Jahr 2016 eine große Gegendemonstration organisierte, mit „15.000 Fahrern“ und „50.000 Kunden“, wie Kalanick in von der „Washington Post“ veröffentlichten Chatnachrichten schrieb.

Er spielte demnach die Gefahr eines möglichen aggressiven Verhaltens der Gegenseite herunter: „Wenn wir 50.000 Passagiere haben, werden und können sie nichts tun.“ Zugleich schien er Risiken in Kauf zu nehmen: „Ich denke, es ist es wert. Gewalt garantiert Erfolg.“

Uber-Aktie reagierte bisher nur schwach auf Uber Files

Uber-Managerin Jill Hazelbaker schrieb der „Washington Post“ dazu: „Es gibt vieles, was unser damaliger Chef vor fast einem Jahrzehnt gesagt hat, das wir heute nicht dulden würden.“ Aber nie sei jemand bei Uber glücklich über Gewalt gegen einen Fahrer gewesen. Auch Kalanicks Sprecher entgegnete, dieser habe nie vorgeschlagen, dass Uber aus Gewalt gegen Fahrer Kapital zieht.

„Wir haben für das vergangene Verhalten nie Ausreden gefunden und haben das auch nicht vor. Stattdessen bitten wir die Öffentlichkeit, uns nach dem zu bewerten, was wir in den vergangenen fünf Jahren getan haben und künftig vorhaben“, so Hazelbaker weiter.

Ubers Aktienkurs hat seit Beginn des Jahres rund die Hälfte an Wert verloren.

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