Während das Dorf weiter geräumt wird, demonstrieren Tausende Menschen vor Lützerath für den Erhalt des symbolträchtigen Ortes. Sogar Greta Thunberg ist angereist.
Greta Thunberg in Lützrath
Die Klimaaktivistin Greta Thunberg sprach auf der Bühne vor den Demonstranten.
Bild: dpa
Lützerath, Düsseldorf Mit Fahnen und Trommeln führen die Demonstrierenden den Protestzug vom nordrhein-westfälischen Keyenberg in Richtung Lützerath an. Tausende von ihnen laufen am Samstagmittag über die Landstraße zu einem Versammlungsplatz, nur unweit von der Abbruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler.
Auch Greta Thunberg ist angereist, um sich solidarisch zu zeigen. Gemeinsam mit den Demonstrierenden fordert sie den Erhalt des kleinen Ortes Lützerath, das der Energiekonzern RWE wegbaggern will, um dort Braunkohle abzubauen. „Wir werden weiterkämpfen“, ruft Thunberg vor der Menschenmasse.
Die 20-Jährige Schwedin war schon am Freitag angekommen und hatte das Protestcamp in Lützerath besucht. „Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende“, sagt Thunberg am Samstag.
Aus ganz Deutschland sind Menschen nach Lützerath gekommen. Sie wollen sich solidarisch zeigen und für den Erhalt des Dorfes kämpfen. Der pensionierte Lokführer Ben Grendel ist aus der Eifel angereist. Seit Monaten ist er fast jedes Wochenende in Lützerath und demonstriert.
Demonstration für den Erhalt Lützeraths
Demonstrierende rücken bis zur Tagebaukante vor.
Bild: Reuters
Auch Michael Schwarz von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ ist seit Monaten regelmäßig vor Ort. In dem Camp in Keyenberg wohnt er mehrere Tage in der Woche. Er erzählt, dass viele aus der Bewegung massiv enttäuscht von der Politik der Grünen sind. „Viele haben mit der Partei gebrochen“, so Schwarz.
Mehrere Klimaorganisationen, darunter Fridays for Future und „Alle Dörfer bleiben“, hatten zu der Großdemo geladen. Die Veranstalter sprechen von 35.000 Demonstrierenden. Laut der Polizei Aachen sind rund 10.000 Menschen angereist.
Weil Demonstrierende versuchten bis zur Abbruchkante des Tagebaus vorzudringen, hatte die Polizei einige von ihnen gewaltsam zurückgedrängt. Das bestätigte ein Sprecher der Behörde der Nachrichtenagentur dpa. Bis zur Tagebaukante zu laufen, sei lebensgefährlich, weil der Boden durch Dauerregen aufgeweicht sei und Erdrutsche drohten. Mehrere Aktivistinnen und Aktivisten mussten medizinisch versorgt werden. Greta Thunberg kritisierte das massive Vorgehen der Polizei.
Zusammenstöße mit der Polizei
Im Laufe des Nachmittags treffen Polizei und Demonstrierende aufeinander. Die Polizei setzt Wasserwerfer, Tränengas und sogar Schlagstöcke ein.
Bild: Reuters
Von der anderen Seite seien dagegen Streifenwagen attackiert und Pyrotechnik geworfen worden. Einige Aktivistinnen und Aktivisten versuchen außerdem in das abgeriegelte Lützerath vorzudringen, was ihnen bisher laut Aussagen der Polizei jedoch nicht gelungen sei.
Der Konzern RWE verurteilte die Gewalt. In einem Pressestatement vom Samstagabend hieß es: „Das Unternehmen ist entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt, die von Teilen der Aktivisten ausgingen.“ Man habe mit Unverständnis und Sorge gesehen, dass sich viele Menschen selbst in Gefahr gebracht hätten. Zudem beklagt der Konzern Sachbeschädigungen, unter anderem an Fahrzeigen und Anlagen der RWE Power.
Seit über zwei Jahren halten Klimaktivistinnen und Klimaaktivisten das kleine Dorf besetzt. Es ist der letzte Ort, der dem Braunkohleabbau weichen soll. Am vergangenen Mittwoch hatte die Polizei offiziell mit der Räumung des symbolträchtigen Weilers begonnen.
Baumhäuser, ganze Blockadebauten und Ziegelsteinwalle haben die Beamten aus dem Weg geschafft. Mit Hebebühnen und Spezialkräften wurden die Aktivistinnen und Aktivisten weggebracht. Einige Wenige halten aber auch am Samstag noch die Stellung. Mehrere von ihnen haben sich sogar in einem Tunnel unterhalb Lützeraths eingegraben.
„Die Kräfte gehen sehr behutsam vor, hier kann kein schweres Gerät eingesetzt werden, weil das die Menschen in den unterirdischen Bodenstrukturen gefährden würde“, sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach.
Zeitgleich lässt der Energiekonzern und Tagebaubetreiber RWE bereits seit Donnerstagfrüh Bäume fällen und Häuser abreißen. Ein Zaun, den das Essener Unternehmen in der Zwischenzeit aufgestellt hat, soll verhindern, dass neue Protestierende auf das Gelände gelangen.
Die demonstrieren nun stattdessen täglich außerhalb des umkreisten Geländes. Für sie ist nicht nachvollziehbar, dass Lützerath weggebaggert werden soll, obwohl das 1,5 Grad-Ziel ohnehin schon schwerlich erreicht wird. „Geht es nach dem Willen von RWE, wird hier so viel Kohle aus dem Boden geholt, dass wir die Klimaziele von Deutschland an den Nagel hängen können“, schreibt das deutsche Gesicht der Fridays for Future-Bewegung, Luisa Neubauer, in einem Post auf Instagram.
Darüber, ob die Braunkohle unter Lützerath nötig ist, um die Versorgungssicherheit Deutschlands zu gewährleisten, ist man sich in der Tat uneins. Die schwarz-grüne Landesregierung von NRW und der Energiekonzern RWE berufen sich auf von RWE beauftragten Gutachten und bezeichnen die Erschließung des Gebiets und den Abbau der darunterliegenden Kohle als alternativlos für Deutschlands Energiesicherheit. Die Aktivistinnen und Aktivisten verweisen auf Studien wie die des Energieanalyseunternehmens Aurora Energy Research im Auftrag der Gruppe „Europe Beyond Coal“, die zum gegenteiligen Schluss kommen.
Erst Ende vergangenen Jahres hatte sich RWE mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen darauf geeinigt, den Kohleausstieg um insgesamt acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Im Gegenzug darf RWE kurzfristig größere Mengen Braunkohle fördern. Alle weiteren Dörfer in der Region, die dem Tagebau ursprünglich ebenfalls weichen sollten, bleiben dafür stehen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck verteidigte die umstrittene Abmachung erst vor wenigen Tagen: „Es ist die richtige Entscheidung, es ist eine gute Entscheidung für den Klimaschutz.“
Ob der vorgezogene Kohleausstieg insgesamt Emissionen einspart, ist jedoch umstritten. Mit dem gesetzlich geplanten Anstieg des CO2-Preises gehen die meisten Experten davon aus, dass sich die Verstromung von Kohle ab 2030 ohnehin nicht mehr gelohnt hätte. Auch das ist am Samstag ein Kritikpunkt der Demonstranten.
Für ihr Vorhaben bekommen die Demonstrierenden auch immer mehr Unterstützung von außen. In einem offenen Brief an die Landesregierung NRW und Mitglieder der Bundesregierung forderten mehr als 200 Prominente „einen sofortigen Stopp der Räumungsarbeiten“, zitiert der Spiegel. Zu den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern gehören unter anderem die Schauspieler Katja Riemann, Peter Lohmeyer und Robert Stadlober, die Bands Sportfreunde Stiller, Deichkind und Revolverheld sowie der Pianist Igor Levit.
>> Lesen Sie hier: „Die richtige Auseinandersetzung am falschen Ort“ – Lützerath bringt Grünen-Spitze in Erklärungsnot
Auch die Organisation der Scientists for Future fordert ein Moratorium für Lützerath. Es gebe substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung. „Mehrere wissenschaftliche Gutachten kommen zu dem Schluss, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt ist“, schreiben die Wissenschaftler auf ihrer Website.
Die Kohle werde benötigt, „um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben und so Gas bei der Stromerzeugung in Deutschland einzusparen. Gleichzeitig wird ausreichend Material für eine hochwertige Rekultivierung benötigt“, betont dagegen RWE.
So oder so, meinen manche Experten: Es kommt darauf an, dass die Obergrenzen des europäischen CO2-Emissionshandels eingehalten werden. „Solange die Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen wirklich hart bleibt und sinkt, und der CO2-Preis wirkt, können wir vorübergehend auch mehr Kohle verfeuern – weil dies zur Einsparung von Emissionen an anderer Stelle führt“, meint beispielsweise Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
„Ich bin frustriert und wütend über das, was in Lützerath passiert“, erzählt Pensionär Grendel. So wie ihm geht es vielen. Immer wieder wird auf der Bühne dazu aufgefordert, Lützerath zu stürmen: „Auf nach Lützerath! Auf nach Lützerath!“
Während der Regen weiter auf die Felder prasselt, bleibt die Masse standhaft. Die Demonstrierenden sind fest entschlossen, ein Zeichen an die Politik zu senden. Nur ein Steinwurf vom Tagebau entfernt.
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