Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

17.11.2022

04:00

COP27

Wie entscheidend ist Solarkraft aus der Wüste für die deutsche Energiewende?

Von: Roman Winkelhahn

Grüner Strom und Wasserstoff aus Nordafrika und dem Nahen Osten sollen dazu beitragen, Europas Energieprobleme zu lösen. Die Pläne hören sich gut an. Aber drohen neue Abhängigkeiten?

Das ganze Jahr über Sonne. AP

Solarkraftwerk Ouarzazate in Marokko

Das ganze Jahr über Sonne.

Düsseldorf Grüne Kraftwerke mit zusammen 100 Gigawatt Leistung: Ginge es nach Paul van Son, dem Präsidenten der Organisation Dii Desert Energy, dann sollen Nordafrika und der Nahe Osten zum Zentrum grüner Energie werden: „Das ist die Zukunft“, sagt der niederländische Manager. Zum Vergleich: Die installierte Photovoltaikleistung in Deutschland lag 2020 laut Statistischem Bundesamt bei 54 Gigawatt.

Doch wessen Zukunft soll das sein? Die eines Europas, das händeringend nach Alternativen zu russischem Gas sucht, und die einer Region von Marokko bis Saudi-Arabien (Middle East, Northern Africa, kurz: Mena), die in der Energiewende hierzulande bisher kaum eine Rolle gespielt hat.

Dieser Zukunft hat sich die Dii (Desertec Industrial Initiative) verschrieben – mit bisher mäßigem Erfolg. Hinter ihr stehen auch einige deutsche Unternehmen wie Thyssen-Krupp, Daimler Truck und Siemens. Sie hoffen, dass neue Energiedrehkreuze am Mittelmeer den Bedarf der Industrie an grüner Energie stillen werden.

Durch die UN-Klimakonferenz in Ägypten hat die Diskussion über die Wüstenstromprojekte an Fahrt gewonnen. In dem Land am Nil befindet sich die größte Solaranlage Afrikas. Ihrem Beispiel sollen in den nächsten Jahren Investitionen in Milliardenhöhe folgen: in Kraftwerke, Wasserstoffproduktion und Pipelines.

In Deutschland beobachtet man die Entwicklungen aufmerksam. Katherina Reiche, Vorständin des Fernnetzbetreibers Westenergie und Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrats, traf sich in Scharm el-Scheich, wo die UN-Klimakonferenz COP27 stattfindet, mit Vertretern der lokalen Energiebranche und der Führungsspitze von Dii Desert Energy.

„In der Mena-Region wird Wasserstoff für rund einen Dollar pro Kilogramm produziert werden können“, sagt Reiche. Die USA seien bald bereits so weit; über die nächste Dekade sollen dort knapp 370 Milliarden Dollar investiert werden. „Wir müssen darauf reagieren und unsere Investitionen fördern“, fordert Reiche.

Noch betragen die Produktionskosten für grünen Wasserstoff bis zu fünf Euro pro Kilogramm. Die graue Variante – hergestellt mit Strom aus Gas oder Kohle – ist deutlich billiger, aber eben auch klimaschädlicher: Noch ist grüner Wasserstoff eben keine Kostenalternative zum Erdgas.

Doch selbst mit billigem Strom und Wasserstoff aus der Wüste: Werden die Projekte in Nordafrika und dem Nahen Osten zum Kernelement der Energiewende? Wie soll die Energie nach Europa gelangen? Und was haben die Produktionsländer davon?

Gefahr neuer Abhängigkeiten?

Der saudi-arabische Konzern ACWA Power betreibt einige der größten Solarprojekte weltweit. Das Kraftwerk Ouarzazate in den Wüsten Marokkos ist das Vorzeigeprojekt: Hier scheint die Sonne das ganze Jahr über auf Spiegel von knapp 2000 Hektar Gesamtfläche.

Das Licht wird gebündelt, die Wärme verstromt – und das zu Preisen von wenigen Cent pro Kilowattstunde. Vorerst werde Marokko von hier aus seinen eigenen Strombedarf decken, schreibt die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die den Projektverantwortlichen nach eigenen Angaben Kredite von mehr als 800 Millionen Euro bewilligt hat. „Langfristig besteht die Option, günstigen Ökostrom auch nach Europa zu liefern“, schreibt die Bank.

„In der Mena-Region wird Wasserstoff für rund einen Dollar pro Kilogramm produziert werden können.“ dpa

Energiemanagerin Katherina Reiche

„In der Mena-Region wird Wasserstoff für rund einen Dollar pro Kilogramm produziert werden können.“

Wie interessant diese Projekte für Europa sind, zeigt auch das Vorhaben „Xlink“, eine Kooperation zwischen Marokko und Großbritannien, das eine Hochspannungsleitung aus der Wüste bis zu den nordeuropäischen Inseln vorsieht. Noch hat sich rund um das 18-Milliarden-Euro-Projekt bisher nicht viel getan. Perspektivisch könnte Marokko rund acht Prozent des britischen Stromverbrauchs decken.

Auch in seiner Heimatregion ist der ACWA-Konzern umtriebig. So besteht eine Zusammenarbeit mit dem Neom-Projekt in Saudi-Arabien. In der Wüsten-Planstadt könnten täglich bis zu 600 Tonnen grünen Wasserstoffs produziert werden. Erste Exporte sollen ab 2026 stattfinden.

Pipelines sind „der günstigste Weg“

Einer der größten Gasproduzenten überhaupt ist Algerien. Nach Europa besteht ein Pipelinenetz aus dem nordafrikanischen Land über Spanien und Italien. Laut Westenergie-Chefin Reiche könnten die Leitungen teilweise auf den Transport von Wasserstoff umgestellt werden: „Das ist der günstigste Weg“, sagt sie.

Grafik

Lange fehlte es am politischen Willen, die Wüstenprojekte auch umzusetzen. Jetzt, nach Beginn des Krieges in der Ukraine, reisen Politiker in den Nahen Osten, um für Energiekooperationen zu werben. Ist Deutschlands Versorgung mit Wüstenstrom nun nur noch eine Frage der Zeit?

„Technisch sind die Pläne kein Problem“, sagt Stephan Bosch, Experte für Energiegeografie an der Universität Augsburg. Dennoch rät der Energieforscher von einem einseitigen Ansatz ab: „Die Wüstenprojekte könnten durchaus ein Vielfaches unseres Bedarfs decken. Aktuell sind wir aber auf einen starken heimischen Ausbau angewiesen.“

Der Energieforscher fordert: „Es müssen sowohl zentralisierte Projekte wie die in der Mena-Region als auch dezentrale Projekte gefördert werden.“ Zu letzteren zählt Bosch unter anderem hiesige Bürgerenergiegesellschaften, in denen sich Verbraucher zusammentun und in die lokale grüne Energiegewinnung investieren.

Mehr als 60 Projekte in der Mena-Region

Doch was wird das für die produzierenden Länder bedeuten? „Ägypten wird mit Wasserstoff mehr Einnahmen erzielen können als mit Gas“, sagt Cornelius Matthes, CEO von Dii Desert Energy. Das Dii-Netzwerk musste seine Strategie – Afrikas Strom für Europa – über die Jahre ändern, auch weil Vorwürfe des Neokolonialismus laut wurden. Inzwischen will man mit einer neuen Strategie vor allem die Infrastruktur vor Ort stärken. Dazu seien mehr als 60 Projekte veranschlagt, sagt Matthes.

Was für die arabischen und nordafrikanischen Staaten eine Investitionschance ist, schürt in Deutschland die Hoffnung auf eine grüne Energiewende. Technologisch steht dem Strom aus der Wüste nichts im Wege. Politisch aber sind die Projekte eine Gratwanderung.

So lobt etwa ACWA-Chef Paddy Padmanathan die „stabilen politischen Verhältnisse“ in der Mena-Region. Die vergangenen Reisen deutscher Regierungsvertreter in die Region stießen jedoch auf Kritik: Man bandele mit Autokraten an, um von russischer Energie loszukommen.

Energieforscher Bosch sagt: „Die Gefahr, als Staat in eine Abhängigkeit zu rutschen, besteht immer. Es geht ja letztendlich darum, den Bezug zu diversifizieren, um das Risiko möglichst gering zu halten.“

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×