Der Öl- und Gaskonzern steht unter Druck, sich von Russland zu lösen. Dazu soll nun mehr als eine Milliarde Euro in neue Projekte fließen.
Wasserstoff-Speicher nahe Hamburg
Wintershall will künftig in Wilhelmshaven mit norwegischem Gas Wasserstoff erzeugen.
Bild: imago images/Joerg Boethling
Düsseldorf Der Rohstoffkonzern Wintershall Dea investiert gemeinsam mit Projektpartnern mehr als eine Milliarde Euro in eine Wasserstoff-Produktionsanlage in Wilhelmshaven, wie das Handelsblatt am Mittwoch erfuhr. Das Projekt mit dem Namen BlueHyNow soll ab Ende 2028 über 200.000 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde und insgesamt 5,6 Terawattstunden (TWh) pro Jahr liefern. Das entspricht etwa dem dreifachen Energieverbrauch des Wolfsburger Volkswagenwerks im Jahr 2019.
Den Wasserstoff will Wintershall aus norwegischem Gas erzeugen, das direkt in Wilhelmshaven ankommt. Die Prozessanlagen sollen mit grünem Windstrom von der Nordsee laufen. Den erzeugten Wasserstoff will Wintershall ins Pipeline-Transportnetz einspeisen und an Industriekunden liefern. Das CO2, das bei der Wasserstoffherstellung abgeschieden wird, soll wiederum auf dem Seeweg zu Lagerstätten in Norwegen und Dänemark transportiert und dort unterirdisch eingelagert werden.
Wintershall beteiligt sich durch das Projekt am sogenannten Energyhub Wilhelmshaven. In der norddeutschen Küstenstadt beginnen derzeit auch die Arbeiten zur Errichtung eines ersten Flüssiggasterminals (LNG). Am Donnerstag will Wirtschaftsminister Robert Habeck den Standort besuchen.
Zudem baut Wintershall Geschäfte in Algerien weiter aus. Am Mittwoch hat das Unternehmen einen Kaufvertrag mit dem italienischen Energieversorger Edison abgeschlossen. Wintershall kauft Edison dessen 11,25-prozentigen Anteil an dem Erdgasprojekt Reggane Nord ab und hält so künftig 30,75 Prozent daran.
Mit den neuen Investitionen will Wintershall sich von Russland lösen. Bislang ist das Unternehmen einer der engsten Partner Gazproms im Westen. In Sibirien fördern beide Konzerne über ein Gemeinschaftsunternehmen Gas, Wintershall fördert zudem in Russland Öl.
Dieses Geschäft ist bei den aktuell hohen Energiepreisen theoretisch wertvoll, wird aber in der Praxis zunehmend zum Problem. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und internationaler Sanktionen gegen Russland verabschieden sich immer mehr westliche Unternehmen von ihren Russlandaktivitäten.
Wintershall hält bislang an seinen Öl- und Gasfeldern in Russland fest – auch mit dem Argument, dass dort Gas gefördert wird, das Russland anschließend nach Deutschland exportiert. Zöge sich Wintershall zurück, würden die Anlagen in Sibirien wohl an russische Staatsunternehmen fallen.
Allerdings hat Wintershall bereits kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine alle Vorhaben für neue Förderprojekte in Russland ausgesetzt. Geld für Investitionen, die der Konzern womöglich in Russland tätigen wollte, steht nun für alternative Projekte zur Verfügung.
Für Wintershall ist es schon aus Image-Gründen wichtig, auf neue Geschäftsfelder zu setzen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag von Wintershall, die dem Handelsblatt am Mittwoch exklusiv vorlag. Demnach vertrauten im Februar noch 30 Prozent der Deutschen Russland als verlässlichem Erdgaslieferanten – mittlerweile sind es nur noch elf Prozent, weniger als beim Mittleren Osten oder bei Nordafrika. Norwegen hingegen betrachten mittlerweile 85 Prozent der Deutschen als verlässlichen Partner.
Doch auch das bestehende Russlandgeschäft ist für Wintershall langfristig ein Klotz am Bein. Finanzmarktakteure gehen davon aus, dass es praktisch wertlos ist. Immerhin plant die EU derzeit ein vollständiges Einfuhrverbot für russisches Öl. Das ist nicht nur ein Problem für Wintershall selbst, sondern auch für den Mutterkonzern, den Chemieriesen BASF.
BASF hält mit gut 72 Prozent die Mehrheit an Wintershall, der Rest liegt bei der Investment-Gesellschaft Letter One. Zu deren Anteilseignern gehören mehrere russische Oligarchen. Schon lange plant BASF, die Tochter Wintershall Dea an die Börse zu bringen. Das aber gilt im aktuellen Marktumfeld und angesichts des Russlandgeschäfts von Wintershall derzeit als aussichtslos.
>> Lesen Sie auch: Bilanzcheck: Die Russland-Hypothek des Chemiekonzerns BASF
Branchenkreisen zufolge prüft BASF nun, das Russlandgeschäft von Wintershall abzuspalten und zu verkaufen oder im Zuge eines sogenannten Asset-Swaps wegzutauschen. Als Käufer kommt etwa der Miteigentümer Letter One infrage.
Es ist allerdings fraglich, ob Letter One überhaupt Interesse am Russlandgeschäft hat. Michail Fridman, Oligarch und Vorstandsvorsitzender von Letter One, steht bereits auf den Sanktionslisten der EU. Er will sich offenbar lieber von Moskau abgrenzen, hat sich bereits gegen den Krieg ausgesprochen. Wann es zu einem Börsengang kommt, ist deshalb weiter unklar. Allerdings ist auch klar: BASF will mit der Trennung von Wintershall nicht ewig warten.
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