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26.08.2022

19:53

Energiekrise

Gaspreis steigt auf Rekordhoch – Erneute Wartung von Nord Stream 1 angekündigt

Von: Kathrin Witsch, Jakob Blume

Gas ist mehr als drei Mal so teuer wie zum Jahresbeginn und hat am Freitag ein neues Rekordniveau erreicht. Gazprom spricht von fehlerhaften Turbinen.

Selbst wenn der Bund seine Gasspeicher ausreichend füllen kann – der Preis dafür wird hoch sein. dpa

Erdgasspeicher Rehden

Selbst wenn der Bund seine Gasspeicher ausreichend füllen kann – der Preis dafür wird hoch sein.

Düsseldorf Die Angst vor einem Lieferstopp aus Russland hat den Erdgaspreis am Freitag auf ein Rekordniveau getrieben. Die Megawattstunde Gas für den Monat September kostete an der europäischen TTF-Börse zwischenzeitlich über 340 Euro. Damit ist der Erdgaspreis innerhalb eines Tages um über zehn Prozent gestiegen, seit Jahresbeginn hat er sich mehr als verdreifacht.

In der vergangenen Woche hatte der russische Gaskonzern Gazprom angekündigt, die Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 ab dem 31. August wegen Wartungsarbeiten erneut für drei Tage zu unterbrechen. Notwendig sei die erneute Wartung aufgrund fehlerhafter Turbinen, so Gazprom.

Wie bereits bei der vorangegangenen Wartung Mitte Juli reagierte der Gasmarkt sehr nervös. Erneut ist die Furcht groß, dass das Gas nach Ende der Wartungszeit gar nicht mehr fließt. 

Seit Mitte Juni hat Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland immer weiter gedrosselt. Zuerst auf 40 Prozent der ursprünglichen Menge, nach der zweiwöchigen Wartung Mitte Juli schließlich auf 20 Prozent. Seitdem fließen nur noch 33 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag durch die Pipeline. 

Verschärft wird die Gaskrise in Europa durch mehrere Zwischenfälle: Auch Norwegen liefert aktuell weniger Gas – wegen außerplanmäßiger Wartungsarbeiten nach technischen Problemen an den Gasfeldern.

Zudem musste ein wichtiges Exportterminal für Flüssigerdgas (LNG) in Freeport im US-Bundesstaat Texas nach einer Explosion im Juni schließen. Das Terminal sollte ursprünglich im Oktober wieder einsatzbereit sein, die Wiedereröffnung verschob sich jedoch kürzlich auf den November.

Die Lieferschwierigkeiten aus Texas kämen zu einer besonders ungünstigen Zeit, sagt Ehsan Khoman, Rohstoffexperte bei der Bank MUFG. Denn Europa setze „zunehmend auf LNG, um den Mangel an russischen Lieferungen auszugleichen“. Die ausbleibenden Gaslieferungen aus Texas und Norwegen „verstärken eine Krise, die die europäischen Volkswirtschaften destabilisiert“, so Khoman weiter.

Gaspreise: Im Oktober droht der nächste Preissprung

Ein Ende der hohen Gaspreise ist Experten zufolge nicht abzusehen. Commerzbank-Ökonom Christoph Weil rechnet damit, dass die Preise im Oktober erneut sprunghaft steigen, wenn viele Versorger in Deutschland erstmals die Gasumlage erheben.

Auch an den Strommärkten herrscht weiter Chaos: Der Preis für Strom zur Lieferung in einem Jahr stieg am Montag um 25 Prozent ebenfalls auf ein neues Rekordhoch von 748 Euro pro Megawattstunde. Vor einem Jahr lag der Preis noch bei 23 Euro pro Megawattstunde – ein Anstieg von fast 3000 Prozent.

Die Preise für Strom, Kohle, Öl und Gas steigen seit dem vergangenen Herbst kontinuierlich. Zunächst wegen der sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach dem Ende vieler Corona-Einschränkungen in der weltweiten Wirtschaft, seit Beginn des Ukrainekriegs Ende Februar vor allem durch die physische Gasknappheit.

Denn der Strommarkt hängt eng mit den Gaspreisen zusammen: Wenn die Stromnachfrage nicht durch erneuerbare Energien, Kern- und Kohlekraftwerke gedeckt werden kann, springen Gaskraftwerke stundenweise ein. Sie stehen in der Kette der Stromerzeuger am Ende, weil sie die teuerste Erzeugungsvariante sind. Doch obwohl nur etwa zehn Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus Gaskraftwerken stammen, orientiert sich der Strompreis für den gesamten Energiemix an ihnen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte am Freitag an, die Kopplung der Strompreise an den Gaspreis brechen zu wollen. So sollen die Strompreissprünge in Zukunft deutlich geringer ausfallen. Doch in Regierungskreisen dämpft man die Erwartungen: Ein so grundlegendes Vorhaben brauche Zeit und könne keine schnelle Entlastung für die kommenden Monate sein. 

Die Ampelkoalition bemüht sich seit Monaten, die hohen Energiepreise zu senken, und bereitet zurzeit ein weiteres Maßnahmenpaket vor.

Europas Gaskrise treibt die Preise weltweit

Derweil beschränkt sich die Gaskrise längst nicht mehr nur auf Europa. Auch in den USA sind die Gaspreise auf den höchsten Stand seit mehr als 14 Jahren gestiegen. „Versorger in Europa und Asien konkurrieren um die gleichen LNG-Frachtladungen am Spotmarkt und treiben so die Preise immer weiter in die Höhe“, erläutert MUFG-Rohstoffexperte Khoman.

Khoman rechnet auch dauerhaft mit Verbraucher-Gaspreisen, die ein Vielfaches der langjährigen saisonalen Durchschnittspreise betragen. Zwar seien die Chancen gut, dass Europa trotz der jüngsten Wartung von Nord Stream 1 seine Gasspeicher bis Ende Oktober auf 90 Prozent füllen kann. Doch der Preis dafür dürfte hoch sein.

Er rechnet im dritten Quartal 2022 mit durchschnittlichen Gaspreisen von 230 Euro pro Megawattstunde, im vierten Quartal könnten sie auf rund 150 Euro pro Megawattstunde sinken. Schon ab Mitte 2023 könnten sie seiner Prognose zufolge jedoch wieder über 200 Euro pro Megawattstunde steigen.

Das wäre im Vergleich zu den aktuellen Rekordpreisen zwar eine Entlastung. Doch im Vergleich zum Jahresschnitt 2021 wäre Erdgas immer noch mehr als zehn Mal teurer.

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