Der Neubau von Windrädern ist im Jahresvergleich um 82 Prozent gesunken. Die Branche klagt über Genehmigungsstau und fordert einen Krisengipfel.
Windräder
Seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurden in Deutschland nicht mehr so wenige Windräder gebaut wie in diesem Jahr.
Bild: dpa
Düsseldorf, Berlin Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland so wenige Windräder gebaut wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Das ist die ernüchternde Bilanz des Bundesverbands Windenergie (BWE). Gerade einmal 86 Anlagen sind neu dazugekommen – ein Rückgang von 82 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Abzüglich der zurückgebauten Windräder schrumpft der Neubau auf 35 Anlagen zusammen – ein historischer Tiefpunkt.
„Die Bundesregierung spricht einerseits von der Erreichung ambitionierter Ausbau- und Klimaschutzziele für die Jahre 2030 und 2050, andererseits fehlt hierfür die Perspektive“, kommentierte BWE-Präsident Hermann Albers die Zahlen bei der Vorstellung am Donnerstag in Berlin. Gründe für den massiven Einbruch sind in seinen Augen vor allen Dingen der Genehmigungsstau für die Zulassungen zum Bau von Windrädern und eine zunehmende Klageflut.
Bundesweit werden aktuell mehr als 300 Windräder beklagt. 1000 weitere Anlagen stehen auf der Kippe, weil sie nach Auffassung der Flugsicherung Bodennavigationsanlagen im Flugverkehr („Funkfeuer“) beeinträchtigen könnten. Gegen 900 Windräder hat wiederum die Bundeswehr verschiedene Vorbehalte. Das geht aus einer Umfrage der Fachagentur Windenergie an Land hervor. Gegenüber der letzten Erhebung vor drei Jahren hat sich die Zahl der betroffenen Projekte bundesweit verdoppelt.
Die Fachagentur warnt schon lange vor einem Einbruch beim Ausbau der Windkraft. „Die Zahlen sind schlicht und ergreifend dramatisch. Wir sind jenseits von dem, was wir aus Klimaschutzgründen realisieren müssten“, sagt Jürgen Quentin, Experte der Fachagentur Windenergie.
Um das von der Politik formulierte Ziel von 65 Prozent grünem Strom bis 2030 zu erreichen, brauche es mindestens 4000 bis 5000 Megawatt (MW) Zubau pro Jahr, auch um die Leistung unzähliger Altanlagen aufzufangen, die ab 2021 aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfallen.
Bis 2025 wird für etwa 16.000 MW die EEG-Förderung enden, das sind fast 30 Prozent der heute installierten Windkapazität an Land. Für viele Betreiber wird es sich nicht lohnen, ihre alten Anlagen am Netz zu lassen. Auch das müsse der Zubau einpreisen und dementsprechend kompensieren.
Für das Gesamtjahr 2019 hat der BWE seine Zubauprognose schon nach unten korrigieren müssen: von 2000 auf 1500 MW. „Wenn es so weitergeht, muss man die Klimaziele schon jetzt infrage stellen“, warnt Quentin.
Obwohl die Zustimmung für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland so hoch ist wie nie, wird die Zahl der Windkraftgegner immer größer – und diese gewinnen an Schlagkraft. Kaum mehr ein Windparkprojekt wird geplant, ohne vor Gericht zu landen. Mehr als 1000 Bürgerinitiativen engagieren sich mittlerweile gegen den Bau neuer Anlagen.
Laut Umfrage der Fachagentur Windenergie sind Artenschutzgründe der häufigste Klagegrund. Bei der Hälfte aller betroffenen Windräder, immerhin 325 Turbinen mit mehr als 1000 MW Leistung, werden Verstöße gegen den Schutz von Vogel- und Fledermausarten geltend gemacht.
Die höchste Klagequote haben Projekte in Bayern und Hessen. Hier kommen jeweils mindestens 40 Prozent der registrierten, aber noch nicht gebauten Anlagen vor Gericht. „Die Energiewende scheitert nicht an den Kosten, sondern wird durch unzureichende Flächenbereitstellung in den Ländern, fehlende Genehmigungen und Klagen sowie Widerspruchsverfahren gegen bereits erteilte Genehmigungen aufgehalten“, warnt BWE-Chef Albers.
Um die Situation zu verbessern, hat der Verband einen Aktionsplan entworfen, der unter anderem eine Reform von Abgaben und Umlagen im Energiesystem, einen Verzicht auf pauschale Abstandsregelungen zu Wohngebieten, aber auch dezidierte Maßnahmen für schnellere und unbürokratischere Genehmigungsverfahren vorsieht.
Zu den Faktoren, die der Windbranche die Halbjahresbilanz verhagelt haben, zählt außerdem noch ein Problem auf der Regulierungsseite, das zwar noch fortwirkt, mittlerweile allerdings behoben wurde: 2017 hatten sich überproportional viele Bürgerenergiegesellschaften an den Ausschreibungen für Windparks an Land beteiligt. Ihnen waren mit der Umstellung von festen EEG-Vergütungen auf das Ausschreibungsverfahren verschiedene Privilegien eingeräumt worden.
So durften sie Projekte ins Auktionsverfahren einbringen, für die sie noch keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegen hatten. Außerdem bekamen sie eine längere Realisierungsfrist für ihre Windparkprojekte eingeräumt. Diese Privilegierungen wurden zwischenzeitlich abgeschafft. Die Umsetzung der Projekte ist aber noch nicht abgeschlossen, teils erweist sich die Realisierung als schwierig.
Doch nicht nur der Ausbau der Windkraft stockt. Der Dachverband der Erneuerbaren-Branche, der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), hatte kürzlich gefordert, die Rahmenbedingungen für regenerative Energien insgesamt zu verbessern. Anderenfalls werde das 65-Prozent-Ziel nicht erreicht.
„Der Schalter muss sofort umgelegt werden und der Ausbau der Erneuerbaren wieder beschleunigt werden“, hatte BEE-Präsidentin Simone Peter gesagt. Sollten sich die Rahmenbedingungen nicht rasch verändern, werde Deutschland seinen Bruttostromverbrauch 2030 nur zu 44 Prozent aus erneuerbaren Energien bestreiten können.
Die bereits bestehenden Restriktionen für den Ausbau der Erneuerbaren – etwa die Größenbeschränkungen für Photovoltaik-Freiflächenanlagen auf zehn MW, die Begrenzung des Ausbaus von Windkraft auf hoher See (Offshore) auf 15.000 MW bis 2030 sowie der auf 52.000 MW gedeckelte Photovoltaikausbau – stehen der Erreichung des 65-Prozent-Ziels nach Überzeugung des BEE im Wege.
Auch in der Großen Koalition ist man sich der Probleme bewusst. Erst Ende Juni hatten mehrere SPD-Politiker in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht. Bei einem Gipfel zum Ausbau der Windenergie solle die Kanzlerin mit den Ländern, der Windindustrie, den Gewerkschaften und Koalitionsfraktionen Lösungen für Probleme der Branche suchen, heißt es in dem Schreiben.
Bei dem Treffen müsse man etwa über die Akzeptanz der Windkraft, die Stärkung des Heimatmarktes oder die Sicherung von Arbeitsplätzen reden. Die Unternehmen bräuchten klare Rahmenbedingungen.
„Auch wir schließen uns der Bitte an die Kanzlerin an, einen Windenergiegipfel zu organisieren, um neue Impulse zu setzen“, sagte Matthias Zelinger, Geschäftsführer des Fachverbands Power Systems im Maschinenbauverband VDMA, am Donnerstag.
Auch Deutschlands größter Windkonzern, das ostfriesische Unternehmen Enercon, fordert die Politik zum Handeln auf. „Die weitere Entwicklung in unserem Heimatmarkt Deutschland hängt maßgeblich von politischen Weichenstellungen ab“, sagte ein Sprecher des Konzerns dem Handelsblatt. Die andauernde Blockade des deutschen Windenergiemarkts sei für Enercon „eine äußerst unbefriedigende Situation“.
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