Die Elektromobilität steht vor dem Durchbruch. Davon ist die Netz-Vorständin von Innogy überzeugt. Sie mahnt aber einen Ausbau und eine Flexibilisierung des deutschen Stromnetzes an, um den erwarteten Boom zu bewältigen.
Hildegard Müller
Innogys Vorständin für Netz und Infrastruktur sieht große Herausforderungen durch den Elektroauto-Boom. Sie seien zwar beherrschbar, jetzt müssten aber die Weichen gestellt werden, sagt sie.
Bild: Andreas Labes für Handelsblatt
Essen Kein Energieversorger ist so stark in der Elektromobilität engagiert wie die RWE-Tochter Innogy. Das Unternehmen hat schon mehrere tausend Ladesäulen installiert und umwirbt die Verbraucher mit Komplettangeboten. Für die Netzsparte, die im Vorstand Hildegard Müller verantwortet, bedeutet der erwartete Boom bei Elektroautos aber auch eine enorme Herausforderung. Das Netz muss ertüchtigt und modernisiert werden, um Engpässe zu vermeiden.
Frau Müller, die Elektromobilität steht endlich vor dem Durchbruch. Was bedeutet das für das deutsche Stromnetz?
Die Elektromobilität stellt das Stromnetz und die Netzbetreiber vor große Herausforderungen. In der Tat rechnen wir mit einem raschen Anstieg an Elektroautos. Alle Beteiligten - die Politik, die Autohersteller und die Energiebranche - sind entschlossen, den Durchbruch zu schaffen. Wir müssen uns deshalb anstrengen, dass das Stromnetz Schritt halten und die zusätzliche Belastung bewältigen kann. Das betrifft die Betreiber der Höchstspannungsleitungen, vor allem aber uns Verteilnetzbetreiber. Wir stehen vor einer Mammutaufgabe.
Warum? Worin besteht die Herausforderung?
Es geht gar nicht um die absolute Menge an Strom, die Elektroautos benötigen. Zwar dürfte sich die Menge an Strom, die ein Privathaushalt verbraucht, mit einem Elektroauto fast verdoppeln. Aber selbst wenn alle Autos komplett elektrisch angetrieben würden, würde sich der deutsche Stromverbrauch insgesamt nur um 16 Prozent erhöhen. Es geht vielmehr darum, Lastspitzen zu vermeiden.
Die Netzbetreiber schlagen Alarm: Das Stromnetz ist auf den Boom von Elektroautos nicht vorbereitet. Um Engpässe, Überlastungen und Totalausfälle zu vermeiden, muss das Netz jetzt mit Milliardensummen ertüchtigt werden.
Inwiefern?
Wir müssen die Zahl der Ladevorgänge intelligent verteilen. Wenn Millionen Autofahrer nach der Arbeit direkt ihr Auto laden wollen, bekommen wir ein Problem. Während der Tageschau gibt es ja heute schon einen Spitze im Verbrauch. Je größer diese wird, umso anspruchsvoller wird es, das Netz zu managen.
Und dann könnte das Netz zusammen brechen?
Nein, von solchen Horrorszenarien halte ich nichts. Wenn wir nichts unternehmen würden, könnte es zwar eng werden. Soweit muss es aber nicht kommen. Voraussetzung dafür ist, das Stromnetz parallel zum erwarteten Boom der Elektromobilität zu ertüchtigen. Der Ausbau der Elektromobilität ist beherrschbar, wir müssen aber jetzt die Weichen stellen.
Das heißt, wir brauchen zusätzliche Stromleitungen?
Natürlich kommen wir um einen Ausbau des Stromnetzes nicht herum. Viel wichtiger als neue Leitungen ist aber der Umbau zum intelligenten Stromnetz. Wir müssen in der Lage sein, die Stromflüsse intelligent zu regeln.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Der Schlüssel ist die Steuerbarkeit der Ladeeinrichtungen. So können wir eine Gleichzeitigkeit von Ladevorgängen verhindern. Aber nicht nur die Netze müssen dafür intelligenter werden, sondern auch die Elektrofahrzeuge müssen die erforderlichen Daten austauschen. Hier hakt es leider noch an manchen Stellen.
Was würde das für die Nutzer bedeuten?
Ein Elektroauto, das zuhause geladen werden soll, hängt ja meistens die ganze Nacht an der Steckdose. So lange muss es aber nicht geladen werden. Wenn wir die Ladevorgänge über die Nacht verteilen können, hätten wir viel gewonnen. Es muss nur gewährleistet sein, dass das Auto geladen zur Verfügung steht, wenn der Fahrer es benötigt.
Als Netzbetreiber wollen Sie die Hoheit über die Steckdosen?
Nein, natürlich darf jeder Autofahrer selbst entscheiden, wann er laden möchte und wann er sein Fahrzeug wieder braucht. Wir können aber Anreize setzen. Wer erst mitten in der Nacht lädt, bekommt den Strom günstiger. Ganz aktuell bietet eine unserer Töchter Bauherren an, die Kosten für den Stromanschluss zu übernehmen, wenn wir die Ladeeinrichtung netzdienlich steuern dürfen.
Wie wird denn überhaupt künftig geladen? Zuhause oder im öffentlichen Raum?
Es wird die komplette Bandbreite geben. Ein großer Teil der Bürger, die im Einfamilienhaus leben, werden ihr Auto vor allem über Nacht zuhause laden wollen. Mieter in einem großen Mehrfamilienhaus werden das aber nicht immer machen können. Nicht zuletzt für die benötigen wir auch eine öffentliche Ladeinfrastruktur. Und dann werden auch noch Unternehmen Ladesäulen zur Verfügung stellen. Zum Beispiel für ihre Mitarbeiter – oder als Service. Für einen Supermarkt kann das eine Möglichkeit sein, zusätzliche Kunden anzusprechen. Für uns als Verteilnetzbetreiber ist das aber egal. Die Herausforderung ist in jedem Fall hoch. 90 bis 95 Prozent der Ladevorgänge werden über die Verteilnetze laufen.
Was wird der Aus- und Umbau des Stromnetzes kosten?
Das ist schwer zu prognostizieren. Es gibt Studien, die halten bis 2030 etwa eine Milliarde Euro pro Jahr für nötig, damit das Stromnetz mit dem Ausbau der Elektromobilität mithalten kann. Das halten wir für plausibel.
Letztlich müssten das die Stromverbraucher bezahlen.
Nicht zwingend. Durch den Mehrverbrauch von Strom steigen auch die Einnahmen für die Nutzung des Netzes – ohne dass die Netzentgelte für die Verbraucher steigen müssen. Diese Mehreinnahmen könnten ausreichen, um die Ertüchtigung des Netzes für die Elektromobilität zu finanzieren. Gemessen an den acht Milliarden, mit denen der Diesel Jahr für Jahr subventioniert wird, ist die Summe aber auch gar nicht hoch.
Frau Müller, vielen Dank für das Interview.
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