PremiumDeutschlands größter Öl- und Gasproduzent gerät zunehmend wegen seiner Kooperationen mit Gazprom in die Kritik. Dabei ist unklar, ob das Russlandgeschäft überhaupt noch etwas wert ist.
Wintershall-Ölbohrung in Emlichheim
Wintershall Dea ist das einzige deutsche Unternehmen, das wesentliche Mengen Öl und Gas auch in Deutschland selbst fördert.
Bild: AP
Düsseldorf Das Kasseler Unternehmen Wintershall Dea plant neue Investitionen in die globale Öl- und Gasförderung. Der Konzern will 37 Prozent an einem Öl- und Gasfeld namens Hokchi in Mexiko übernehmen. Dabei investiert er mehrere Hundert Millionen Euro, wie das Handelsblatt aus Unternehmenskreisen erfuhr.
Der neue Zukauf ist Teil von Wintershalls Versuch, sich von seinen problematischen Russlandgeschäften zu lösen und neue Geschäftsfelder aufzutun. Der Öl- und Gasförderer holt bislang rund die Hälfte seiner weltweiten Produktion in Russland aus dem Boden. So hat Wintershall zuletzt ein Viertel seiner Einnahmen erwirtschaftet.
Wintershalls andauernde Aktivitäten in Russland trotz des Ukrainekriegs sorgen für harsche Kritik von Umweltschützern. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, sagt: „Wintershall Deas Ausreden, dass ihre Öl- und Gasproduktion in Russland der Versorgung Europas diene, sind mit der Zerstörung von drei Strängen der Nord-Stream-Pipelines endgültig hinfällig geworden.“ Wintershall Dea habe offenbar dem russischen Staat Hunderte Millionen Euro an Steuern gezahlt. Die Organisation Urgewald fordert, Wintershall solle seine diesjährigen Profite aus dem Russlandgeschäft für den Wiederaufbau der Ukraine zur Verfügung stellen.
Als Öl- und Gasförderer profitiert Wintershall aktuell tatsächlich stark von den weltweit hohen Energiepreisen. Der Konzern steigerte sein operatives Ergebnis im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 162 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro, wobei die durchschnittliche Tagesproduktion von Öl und Gas lediglich vier Prozent über dem Vorjahreszeitraum lag. Das teilte Wintershall am Dienstag mit.
Mit seinem lange lukrativen Russlandgeschäft ist Wintershall derzeit allerdings doppelt gestraft. Der Kasseler Konzern steht zunehmend in der Kritik. Allerdings könnte er Forderungen, seine Russlandprofite an die Ukraine zu spenden, derzeit nicht ohne Weiteres nachkommen.
Wintershall-Chef Mario Mehren erklärt: „Unsere Einnahmen sind in Russland gefangen. Wir haben seit Februar dieses Jahres kein Geld mehr aus dem Land bekommen.“ Es bleibe abzuwarten, ob und wann Wintershall Zugang zu dem Geld bekommen werde, das das Unternehmen „derzeit vermutlich“ in Russland verdiene. Erst dann werde eine Entscheidung darüber fallen, wie das Geld genutzt werden könne.
Nach eigenen Angaben würde sich Wintershall gern aus Russland zurückziehen, schafft es aber nicht. Wintershall-Chef Mehren argumentiert, jegliche Veränderung der Beteiligungen in Russland bedürfte einer direkten Genehmigung durch den russischen Präsidenten. Wintershall könne nicht einfach die Bohrstätten in Russland aufgeben, Mitarbeiter im Stich lassen und die Plattformen den Russen überlassen. Und ein Käufer findet sich in der aktuellen Lage auch nicht.
Jetzt prüfe das Unternehmen, „ob das internationale Geschäft der Wintershall Dea rechtlich von unserem Russlandgeschäft getrennt werden kann“. Ob die Wintershall-Beteiligungen weniger Steuern an den russischen Staat zahlen würden, wenn Wintershall sich daraus zurückziehen würde, ist unklar.
Während Wintershall seine Beteiligungen in Russland zumindest formal noch hält, musste der Konzern wegen seiner engen Drähte zu Russland in diesem Geschäftsjahr bereits Milliardensummen abschreiben. Bereits im ersten Quartal verbuchte Wintershall Wertminderungen von 1,5 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der Finanzierung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 und seinem Russlandgeschäft.
Jetzt schreibt Wintershall noch einmal Werte ab: Das Unternehmen ist mit 15,5 Prozent an der Nord Stream AG beteiligt, die die beiden Nord-Stream-Pipelines betreibt. Die Nord Stream AG gehört überwiegend dem russischen Konzern Gazprom und sitzt in der Schweiz. Von den 475 Millionen Euro, die die Beteiligung in den Wintershall-Büchern wert ist, schreibt Wintershall 175 Millionen Euro ab. An der Pipeline war zuletzt ein riesiges Loch infolge eines mutmaßlichen Anschlags entdeckt worden.
Wie hoch der Wertverlust tatsächlich ist, ist allerdings fraglich. Wintershall gehört selbst zu 67 Prozent dem Chemieriesen BASF, der wiederum vor zwei Wochen verkündet hatte, 740 Millionen Euro wegen Wintershall und der Beteiligung an der Nord Stream AG abzuschreiben. Die Einschätzungen, wie hoch der Verlust sein wird, fallen bei Mutter- und Tochterunternehmen offenbar unterschiedlich aus.
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Fest steht, dass die Abschreibungen große Teile des bisherigen Jahresgewinns von Wintershall aufgefressen haben. Zählt man die ersten neun Monate des Jahres zusammen, stehen abzüglich der Abschreibungen noch 475 Millionen Euro Nettogewinn unterm Strich – trotz deutlich höherer operativer Gewinne in allen drei Quartalen.
Daher versucht Wintershall zunehmend, Geschäfte in anderen Regionen und teils auch in anderen Bereichen aufzubauen. Erst vor wenigen Tagen unterzeichnete das Unternehmen eine gemeinsame Absichtserklärung mit dem Unternehmen HES Wilhelmshaven Tank Terminal, um einen sogenannten CO2-Hub zu entwickeln. Dort soll CO2 von deutschen Industrieunternehmen ankommen und in CO2-Speicher in der dänischen und norwegischen Nordsee transportiert werden.
Erstpublikation am 25.10.22, um 13:25 Uhr.
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