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27.02.2020

11:03

NortH2

Shell plant größtes Wasserstoff-Projekt Europas

Von: Kathrin Witsch

In den Niederlanden soll die bisher größte Wasserstoffproduktion Europas entstehen. Die Idee: Strom speicherbar machen. Von dem Plan könnte auch Deutschland profitieren.

Innerhalb von zehn Jahren soll vor der Küste Nordhollands für das NortH2 genannte Projekt ein Mega-Windpark von einer Größe zwischen drei und vier Gigawatt entstehen. dpa

Windpark

Innerhalb von zehn Jahren soll vor der Küste Nordhollands für das NortH2 genannte Projekt ein Mega-Windpark von einer Größe zwischen drei und vier Gigawatt entstehen.

Düsseldorf Schon einmal haben die Niederländer die europäische Energielandschaft neu sortiert. Damals war es die Entdeckung der unterirdischen Erdgasreserven in dem nördlich gelegenen Groningen, die das kleine EU-Land auf einmal in die Liga der ganz Großen katapultierte. Jetzt könnte das Land die nächste Energierevolution anstoßen.

Gemeinsam mit dem niederländischen Gasnetzbetreiber Gasunie und dem Hafen Groningen Seaports plant der Ölkonzern Shell den Bau des bis dato größten Wasserstoff-Projekts Europas. Innerhalb von zehn Jahren soll vor der Küste Nordhollands für das NortH2 genannte Projekt ein Mega-Windpark von einer Größe zwischen drei und vier Gigawatt entstehen. „Wir glauben an die Bedeutung von Wasserstoff und sind überzeugt, dass sich die Investition rechnet“, sagte Marjan van Loon, Niederlande-Chefin von Shell im Gespräch mit dem Handelsblatt. 

Der Windstrom solle direkt von einem Elektrolyseur in Eemshaven zu grünem Wasserstoff verarbeitet, gespeichert und anschließend über die Gas-Infrastruktur von Gasunie verteilt werden. „Gemeinsam haben wir den Ehrgeiz, die Niederlande weltweit an die Spitze von Wasserstoff zu bringen“, betont van Loon, Niederlande-Chefin. Aber um die Kosten für die Technologie zu reduzieren, brauche es mehr von solchen Großprojekten.

Hauptkunde soll zunächst zwar die Industrie sein, aber auch Verbraucher könnten später mit dem grünen Wasserstoff beliefert werden, heißt es bei Shell. 2027 sollen die ersten Anlagen stehen, aber das niederländische Trio denkt jetzt schon weiter: Bis 2040 plane man, den Windpark auf zehn Gigawatt zu vergrößern. 

Auch einen Elektrolyseur direkt neben dem Windpark auf dem Meer kann sich das Konsortium vorstellen. Allein der Windpark wird allerdings schon zwischen drei und vier Milliarden Euro kosten. „Wenn wir unsere Klimaambitionen verwirklichen wollen, müssen wir rechtzeitig über eine groß angelegte Infrastruktur verfügen“, erklärt Han Fennema, CEO von Gasunie das geplante Mega-Projekt.

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Während in Deutschland noch über die Rahmenbedingungen für eine mögliche Wasserstoff-Strategie auf Bundesebene gestritten wird, haben die Niederlande schon vor gut einem Jahr beschlossen, wie sie in die Power-To-X-Technologie einsteigen wollen. Eine Reihe von konkreten Vorhaben ist bereits definiert. Sie umfassen die gesamte Wertschöpfungskette von der Wasserstoffherstellung über die Speicherung bis zum Transport.

Denn grüner Wasserstoff soll das Speicherproblem lösen, das die erneuerbaren Energien seit jeher verfolgt: Die Sonne scheint nicht unablässig, der Wind weht nicht durchgängig, und Strom lässt sich nur schwer aufbewahren. Durch das Verfahren der Elektrolyse lässt er sich allerdings zu Wasserstoff umwandeln und so langfristig speichern.

Aber das Molekül kann noch viel mehr. Auch synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, lassen sich aus Wasserstoff herstellen, ebenso wie Methanersatz für die heimische Gasheizung. Besonders begehrt ist das vielseitige Molekül in der Industrie, die ihren Wasserstoff heute noch meist aus Erdgas herstellt.

Doch die vielversprechende Technologie hat einen Haken: Sie rechnet sich nicht. „Die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist heute noch teurer als die Nutzung fossiler Energieträger, aber die Möglichkeiten, jetzt in die Kostensenkungsphase zu kommen, sind da“, glaubt Energie-Experte Christoph Jugel von der Deutschen Energieagentur (Dena).

Wasserstoffimport könnte Erdgaseinkauf künftig ablösen

Noch beschränkt sich die Produktion von grünem Wasserstoff ausschließlich auf kleinere Pilotprojekte, „und die Herausforderungen sind immer noch groß“, gibt Jugel zu. Aber genau deswegen brauche es noch mehr Projekte im großindustriellen Maßstab. So wie in Groningen. Die Region steht neben dem Hafen von Rotterdam im Mittelpunkt der niederländischen Wasserstoff-Pläne.

Das Konsortium um Shell und Gasunie will den Norden des Landes zum Zentrum des grünen Wasserstoffs in den Niederlanden und Nordwesteuropa machen. Mit den zehn Gigawatt Windstrom sollen fast eine Million Tonnen grüner Wasserstoff pro Jahr produziert werden können.

„Wir haben die Nordsee für die Erzeugung von Wind, die Häfen als logistische Drehkreuze und die industriellen Cluster, die den Umstieg auf grüne Moleküle und ein geeignetes Transportnetz machen wollen“, sagt Gasunie-Chef Fennema. In der Tat hat das Gasinfrastrukturunternehmen schon einen detaillierten Plan, wie es den Schwenk von Erdgas zu grünem Gas schaffen will.

NortH2 ist da nicht das einzige Projekt. Gemeinsam mit dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet und dem Fernleitungsnetzbetrieb Thyssengas arbeitet Gasunie auch in Deutschland bereits an einem großen Power-To-X-Projekt. Im niedersächsischen Diele soll eine 100 Megawatt große Elektrolyse-Anlage entstehen. Gasunie bereitet sich auf die Zeit nach dem Erdgas-Boom vor.

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Viele andere Möglichkeiten bleiben dem Konzern allerdings auch nicht. Nachdem ein Erdbeben im Bereich des Gasfeldes Groningen massive Schäden verursacht hatte, beschloss die niederländische Regierung den Ausstieg aus der Erdgasproduktion im Jahr 2030. Im vergangenen Jahr entschied sich Den Haag dann, den Ausstieg vorzuverlegen – auf 2022. Noch ist Holland nach Russland und Norwegen der drittgrößte Erdgaslieferant Deutschlands.

In Zukunft könnte der Wasserstoffimport den Erdgaseinkauf hierzulande allerdings ablösen. Durch gesetzliche Emissionsauflagen und ehrgeizige Klimapläne wird der Einsatz von fossilen Brennstoffen in den kommenden Jahrzehnten immer schwieriger und teurer.

CO2-intensive Industrien wie die Stahl- oder Chemiebranche und auch die Ölkonzerne stehen vor großen Problemen. Sie müssen nicht nur die Klimaziele ihres eigenen Landes einhalten, sondern jetzt auch noch die der Europäischen Union. Die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat mit dem „European Green Deal“ immerhin Klimaneutralität bis 2050 versprochen.

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Für Stahlhütten, Chemiefabriken oder Raffinerien ist Wasserstoff jedoch oft unerlässlich und auch nicht einfach durch Strom zu ersetzen. Ohne den Umstieg vom grauen, erdgasbasierten Energieträger auf grünstrombasierten Wasserstoff wird eine klimafreundlichere Industrie kaum zu schaffen sein, glauben Experten.

Da die Umwandlung von regenerativem Strom naturgemäß mehr Energie verbraucht als ein direkter Einsatz, wird Deutschland auch weiterhin auf Energie-Importe angewiesen sein. Ein Teil des benötigten Wasserstoffs könnte aus den Niederlanden kommen.

„Allein die für 2040 prognostizierten Erzeugungsmengen für NortH2 entsprächen etwa der Hälfte des heutigen deutschen Wasserstoffbedarfs. Und der wird in den nächsten Jahren noch deutlich ansteigen“, sagt Dena-Experte Jugel.

Noch steht das Mega-Projekt der Niederländer allerdings ganz am Anfang. Neben weiteren Projektpartnern hoffen die Unternehmen dabei vor allem auf staatliche Hilfen aus Den Haag und Brüssel. Man gehe davon aus, dass „in den ersten Projektphasen möglicherweise verfügbare europäische und nationale Subventionen für die Dekarbonisierung von Energie erforderlich sein könnten“, heißt es. Denn solange Erdgas die günstigere Alternative bleibt, hat es grüner Wasserstoff auch weiterhin schwer.

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