Die Regierung hat ein erstes Kreditpaket für den Versorger bereitgestellt. Rätsel geben die Geschäfte auf, die zu der Schieflage geführt haben. Politisch brisant ist der Vorwurf der Spekulation.
Wien Am Mittwochmorgen hat Österreichs Bundesregierung das Milliardenloch beim Versorger Wien Energie fürs Erste gestopft: Das Finanzministerium stellt diesem kurzfristig eine Kreditlinie von zwei Milliarden Euro zur Verfügung, die innert zwei Stunden abrufbar sei. „Das war eine Notmaßnahme“, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sichtlich verstimmt. „Zwei Milliarden innert 72 Stunden, das ist einmalig in der Geschichte der Republik.“
Inmitten dieser hektischen Rettungsaktion bleiben viele Fragen zum Finanzdebakel von Wien Energie offen, die sich vollständig im Besitz der sozialdemokratisch regierten Hauptstadt befindet. So informierte Wien den Bund erst am Wochenende über die akuten Liquiditätsengpässe, die durch die Absicherung von Termingeschäften an der Strombörse ergeben hatten.
Danach herrschte tagelang Verwirrung: So sprach der zuständige Stadtrat Peter Hanke am Montag von sechs Milliarden Euro, um die Versorgung von zwei Millionen Kunden zu garantieren, später sogar von möglicherweise zehn Milliarden Euro für eine nachhaltige Absicherung.
Die Verantwortlichen des Bundes schlossen am Mittwoch weitere Hilfspakete keineswegs aus, falls weitere Probleme auftauchten. Weiterhin im Raum steht auch die Forderung des Branchenverbands nach einem Schutzschild für alle Energieversorger, ähnlich jenem in Deutschland und der Schweiz.
Schuld an den gegenwärtigen Turbulenzen gab Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) am Dienstag dem „verrücktspielenden“ Strommarkt, dessen extreme Ausschläge nach oben die zusätzlichen Sicherheiten notwendig machten. Erklärungsbedürftig ist jedoch, weshalb diese nun so akut fast zwei Milliarden Euro betrugen – bei einem Unternehmen mit einem Jahresumsatz von drei Milliarden Euro.
Die Probleme entstanden nicht über Nacht. Die Ratingagentur Fitch warnte bereits vor Monaten vor den Risiken der Termingeschäfte, und die Stadt Wien musste seit Juli mindestens zweimal je 700 Millionen Euro einschießen. Der Bürgermeister tat dies per Notverordnung, um den Gemeinderat nicht informieren zu müssen.
Die Geheimniskrämerei stößt sogar beim liberalen Koalitionspartner der in Wien dominanten Sozialdemokraten auf Kritik, die volle Aufklärung über „dieses Schlamassel“ fordern. Nach tagelangem Schweigen hat Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) dies am Dienstag versprochen.
Hanke rechtfertigt die Zusatzzahlungen damit, dass Wien selbst wenig Strom herstelle und diesen nun teurer einkaufen müsse. Doch paradoxerweise zeigt der Geschäftsbericht 2021, dass nicht primär die Einkäufe die Bilanz belasten, sondern die Verkäufe. Experten sind irritiert, dass Wien Energie Ende vergangenen Jahres dreimal so viel Strom verkauft hat, wie das Unternehmen selbst produziert. Bei fallenden oder stabilen Energiepreisen könnte dies ein durchaus lukratives Geschäft sein.
Finanzstadtrat Peter Hanke
Der SPÖ-Politiker bringt einen Finanzbedarf von bis zu zehn Milliarden Euro ins Spiel.
Bild: IMAGO/SEPA.Media
Die extremen Preissteigerungen führen nun aber dazu, dass der Verkäufer zusätzliche Sicherheiten – sogenannte Margins – liefern muss. Dies rührt daher, dass die Börse als Mittler die Lieferung an den Käufer zum zuvor deutlich tieferen Preis garantiert.
Falls der Verkäufer nicht unter dem Preis verkaufen will und aus dem Geschäft aussteigt, muss die Börse die Differenz bezahlen. Der Verkäufer muss ihr dieses Risiko mit den Margins abgelten; geht das Geschäft wie geplant über die Bühne, erhält er das Geld zurück. Die beiden Hausbanken der Wien Energie weigerten sich aber angesichts des relativ bescheidenen Eigenkapitals des Unternehmens, die Milliarden vorzufinanzieren.
Besonders heikel für die Sozialdemokraten ist auch der vom Finanzminister geäußerte Verdacht, die staatliche Wien Energie habe spekulative Geschäfte betrieben. Dafür, dass sie etwa Leerverkäufe getätigt hat, gibt es zwar keine Beweise. Doch Walter Boltz, der ehemalige Vorstand der Regulierungsbehörde für den Strommarkt, wirft dem Unternehmen eine zu große Risikobereitschaft vor.
Angesichts der weiterhin stockenden Verhandlungen besteht im polarisierten Österreich die Gefahr, dass der Fall zum politischen Zankapfel wird. Für die rote Hauptstadt steht jedenfalls viel auf dem Spiel, denn ihre Beteiligungen verwaltete sie bisher ohne störende Blicke von außen. Sollte das Steuergeld aus dem Bundesetat aber wirklich fließen, dürfte dies nur zum Preis einer Einsicht in die Bücher geschehen.
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