PremiumMadrid will beim grünen Umbau der europäischen Energieversorgung eine zentrale Rolle spielen. Ausländische Investoren haben die Chance längst erkannt.
Spanien hat gute klimatische Bedingungen, profitiert von viel Sonne und viel Wind. Das könnte im globalen Wettbewerb ein wichtiger Vorteil sein.
Bild: Getty Images
Madrid Wer mit dem Auto durch die Extremadura im Westen Spaniens fährt, sieht rechts und links der Autobahn immer wieder riesige Solarparks. Weite Teile Spaniens sind unverbaut und Sonne ist ebenso wie Wind im Überschuss vorhanden – ideale Bedingungen für die Produktion von erneuerbarer Energie. Und damit auch für den großen Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel: grünen Wasserstoff.
Das Molekül soll den CO2-Ausstoß vor allem in den Branchen reduzieren, die sich nicht oder nur schwer elektrifizieren lassen, etwa in der Stahlproduktion, bei Schwertransportern, Seefrachtern oder in der Luftfahrt. Es lässt sich zudem speichern und transportieren.
Madrid hat sich dabei ehrgeizige Ziele gesetzt. Die Regierung will grünen Wasserstoff nicht nur dazu nutzen, die eigenen Emissionen zu senken. Sie will ihn auch exportieren. „Spanien ist in der besten Position, um nicht nur eine weitere Drehscheibe, sondern die Drehscheibe der grünen Wasserstoffindustrie in Europa zu werden“, sagte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez im Frühjahr bei der Präsentation eines Elektrolyseur-Projekts in Guadalajara bei Madrid.
Im vergangenen Oktober hat seine Regierung eine Wasserstoff-Strategie verabschiedet, die bis 2030 eine Kapazität von vier Gigawatt an Elektrolyseuren vorsieht. Damit liegt Spanien in Europa zwar nur auf Platz vier hinter Frankreich, das sechs Gigawatt angekündigt hat, sowie Deutschland und Italien mit fünf Gigawatt.
Der große Vorteil Spaniens aber sind die guten klimatischen und geographischen Voraussetzungen für Erneuerbare. „Spanien hat dadurch einen massiven Kostenvorteil“, sagt Bruno Esgalhado, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey in Madrid und zuständig für Energiethemen. „Erneuerbare sind 30 bis 40 Prozent billiger als in anderen Ländern.“
Grüner Wasserstoff wird mit erneuerbarer Energie durch Elektrolyse hergestellt. Rund 70 Prozent der Herstellungskosten sind Stromkosten. Das branchenbezogene Analysehaus Aurora Research geht davon aus, dass Spanien in den 2020er Jahren knapp nach Norwegen den billigsten grünen Wasserstoff in Europa produzieren kann – auf Basis von Windkraftanlagen auf dem Land.
Das offizielle Ziel von vier Gigawatt halten Experten zudem für sehr konservativ. „Allein die Projekte, die Unternehmen bisher schon angekündigt haben, decken bereits die Hälfte davon ab“, sagt Esgalhado.
Ein Konsortium aus rund 30 spanischen und internationalen Unternehmen namens HyDeal plant sogar 67 (!) Gigawatt und will grünen Wasserstoff aus spanischem Solarstrom nach Frankreich und Deutschland exportieren. Das allerdings hält Esgalhado für sehr ambitioniert. Auch andere Beobachter sind äußerst skeptisch.
Die Pläne der spanischen Regierung sehen vor, in einer ersten Phase bis 2030 grünen Wasserstoff zunächst in den Branchen einzusetzen, die den Energieträger bereits für ihre Produktion nutzen. Das trifft überwiegend auf Raffinerien und die chemische Industrie zu, vor allem bei der Herstellung von Düngemittel.
Sie nutzen bislang allerdings sogenannten grauen Wasserstoff, der mit Energie aus Erdgas hergestellt wird. Bis 2030 soll mindestens ein Viertel davon grün sein, also mit Energie aus Erneuerbaren hergestellt werden. Die dafür notwendigen Elektrolyseure sollen in der Nähe der Raffinerien und Chemiefabriken entstehen, sodass zusätzliche Kosten für Transport oder Speicherung des grünen Wasserstoffs entfallen und die Nachfrage gesichert ist. Bislang ist grüner Wasserstoff noch deutlich teurer als grauer.
Sukzessive soll das begehrte Molekül auch in anderen Branchen verstärkt zum Einsatz kommen, vor allem im Transport. Dort soll es bis 2030 28 Prozent der Energie liefern – das ist doppelt so viel, wie die EU für den Zeitraum vorgibt.
Um diese Ziele zu erreichen, plant die Regierung in Madrid mit einer Flotte von 150 bis 200 öffentlichen Bussen für den Stadtverkehr, 5000 bis 7500 Lkws, 100 bis 150 Ladestationen sowie zwei neuen Zuglinien. Die Projekte umfassen 8,9 Milliarden Euro an privaten Investitionen. 1,6 Milliarden Euro davon sollen aus dem europäischen Wiederaufbaufonds kommen und bis 2023 fließen.
Die Ausschreibung läuft noch bis Ende des Jahres, 502 Unternehmen haben bereits Projekte eingereicht. Alle großen Energiekonzerne sind dabei – von Mineralölkonzernen wie Repsol über Stromriesen wie Iberdrola bis zu Gasnetzbetreibern wie Enagás.
Die Projekte sorgen weltweit für Aufmerksamkeit. „Ich spreche mit vielen Unternehmen aus den USA, Lateinamerika und Europa, die sich für Wasserstoffprojekte in Spanien interessieren“, sagt McKinsey-Experte Esgalhado. Unter den Interessenten seien sowohl Fonds und Banken als auch Industriekonzerne.
Ein Beispiel für eine internationale Kooperation auf diesem Feld existiert bereits: Der amerikanische Energiekonzern Cummins arbeitet mit Iberdrola in Spanien und Portugal an verschiedenen Wasserstoff-Initiativen. Die Amerikaner liefern die Elektrolyseure, die Spanier entwickeln die industriellen Projekte und setzen sie um.
„Ich bin sicher, dass in den kommenden sechs bis acht Monaten weitere internationale Engagements in spanischen Wasserstoffprojekten folgen werden“, sagt Esgalhado. „Spanien erfüllt alle Voraussetzungen, um an der Spitze der europäischen Produktion zu stehen.“
Gleichwohl mahnt auch er, dass viele wichtige Faktoren bislang noch ungeklärt sind, etwa die Regulierung. „Es bildet sich gerade eine Blase an Erwartungen“, sagt auch Diego Rodríguez, Energieexperte an der Complutense-Universität in Madrid und Mitglied der Expertenkommission, die Szenarien der Energiewende für die spanische Regierung entwickelt hat. „Gerade im Süden Spaniens gibt es eine Wasserknappheit. Das könnte zum Problem für die Produktion von grünem Wasserstoff werden.“
Das bislang größte Einzelprojekt, um grauen durch grünen Wasserstoff zu ersetzen, haben Iberdrola und der spanische Düngemittelhersteller Fertiberia im vergangenen Sommer vereinbart. Iberdrola baut in der Nähe der Fertiberia-Fabrik in Puertollano in der Region Castilla-La Mancha auf 200 Hektar eine Photovoltaikanlage, einen Speicher und einen Elektrolysateur mit einer Kapazität von 20 Megawatt – einem der größten weltweit.
Zehn Prozent des Wasserstoffs, den Fertiberia bisher aus Erdgas gewinnt, soll dadurch bis 2022 grün werden. Geplant ist, dass die Anlage Ende des Jahres ihren Betrieb aufnimmt. Das Projekt kostet 150 Millionen Euro, soll bis zu 700 neue Jobs schaffen und pro Jahr 39.000 Tonnen CO2-Emissionen vermeiden, was etwa dem Ausstoß von 18.000 deutschen Haushalten entspricht.
Iberdrola-Präsident Ignacio Galán (l.) und Fertiberia-Präsident Javier Goñi
Das ambitionierte Projekt soll bis zu 700 neue Jobs schaffen.
Bild: Iberdrola
Das Projekt hat eine wichtige Signalwirkung. Elektrolysateure gibt es schon lange. Doch sie sind so klein, dass sie sich für die industrielle Anwendung nicht eignen. Grüner Wasserstoff ist auch deshalb bislang so teuer. Das Projekt der beiden spanischen Konzerne soll nun dabei helfen zu verstehen, wie die Technologie auch in großem Maßstab zum Einsatz kommen kann. Beide Konzerne haben dafür Hilfen aus dem europäischen Wiederaufbaufonds beantragt.
Im ganzen Land bilden sich derzeit Cluster rund um die wasserstoffintensiven Unternehmen, in denen Firmen, Universitäten und die öffentliche Hand die Entwicklung des sauberen Energieträgers vorantreiben – angefangen von der Erforschung alternativer Produktionsmethoden für grünen Wasserstoff über die Entwicklung von potenten Elektrolyseuren bis zu Speicher- und Transportoptionen.
Im Baskenland etwa haben sich 124 Organisationen unter der Führung von Repsol und deren baskischen Petrochemie-Tochter Petronor zusammengeschlossen. Sie bauen Elektrolyseure mit einer Kapazität von 300 Megawatt und wollen damit unter anderem wasserstoffbetriebene Busse, Lkws und Ladestationen bauen sowie die Beheizung von Gebäuden testen.
Nach 2030 dann, wenn die Technologie weiterentwickelt und die Preise gesunken sind, will Spanien seine Exportambitionen forcieren. In der Initiative „European Hydrogene Backbone“ haben sich 23 Übertragungsnetzbetreiber aus 21 Ländern zusammengeschlossen, um ein Verteilnetz für grünen Wasserstoff zu entwickeln. Eines davon ist die spanische Enagás.
„In Europa können wir zwei Drittel der bestehenden Gasleitungen für den Transport von Wasserstoff nutzen“, sagt Antonio Martínez, im Konzern zuständig für erneuerbare Energien. „Für Strecken unter 1000 bis 1500 Kilometer sind Pipelines in jedem Fall billiger als ein Transport per Schiff.“ Spanien ist mit Blick auf Gasleitungen gut gerüstet: 11.000 Kilometer verlaufen quer durch das Land, je zwei Leitungen verbinden Spanien mit Frankreich, Portugal und Nordafrika.
Enagás ist an 23 Projekten für grünen Wasserstoff in Spanien beteiligt. In Puertollano forscht der Konzern mit Repsol an einer neuen Technologie. Die Konzerne wollen grünen Wasserstoff direkt aus Sonnenenergie und Wasser gewinnen, in einem Prozess, den sie Photoelektrokatalyse nennen. „Dabei brauchen wir keinen Elektrolyseur mehr – das spart Energie“, sagt Martínez.
Eine Pilotanlage in Madrid läuft bereits seit Mai, in einer neuen Anlage in Puertollano soll das Verfahren nun in größerem Maßstab getestet und ab 2024 täglich 100 Kilo grüner Wasserstoff direkt aus Sonnenenergie produziert werden. Die EU fördert das Projekt mit Geldern aus dem Innovationsfonds.
Modellcharakter hat auch ein Projekt auf der Ferieninsel Mallorca, das die EU mit zehn Millionen Euro fördert. Dort geht es darum, das gesamte Spektrum für den Einsatz sauberer Energieträger zu nutzen: Wasserstoffbetriebene Busse und Mietwagen, Wärme und Strom für gewerbliche und öffentliche Gebäude, Hilfsenergie für Fähren und den Hafenbetrieb sowie eine Wasserstoff-Tankstelle. Zudem wird grüner Wasserstoff in das Gasnetz eingespeist.
Enagás koordiniert das Projekt, an dem 30 Partner aus elf Ländern beteiligt sind. „Die internationale Zusammensetzung war eine der Anforderungen für die EU-Mittel, weil das Projekt auf andere Regionen übertragen werden soll“, erklärt Martínez.
Auch dieses Projekt hat Symbolcharakter: Besonders für Inselregionen, die ihre Energie in der Regel mit besonders klimaschädlichen dieselgetriebenen Generatoren erzeugen, kann grüner Wasserstoff ein entscheidender Faktor sein, um die Klimaneutralität zu erreichen.
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