Der niederländische Netzbetreiber wünscht sich den Bund als künftigen Eigentümer seiner deutschen Stromnetze. Denn die werden künftig Milliarden verschlingen.
Hochspannungsleitung
Tennet ist verantwortlich für diverse Stromtrassen, die quer durch Deutschland führen.
Bild: imago images / Bild13
Berlin Der Stromnetzbetreiber Tennet will seine Investitionen in den Ausbau der Netze massiv erhöhen. „Wir haben im vergangenen Jahr 4,5 Milliarden Euro investiert. Diesen Wert wollen wir in diesem Jahr auf mindestens acht Milliarden Euro steigern und damit annähernd verdoppeln“, sagte Finanzchefin Arina Freitag dem Handelsblatt. Den Investitionsbedarf für die kommenden zehn Jahre bezifferte Freitag auf 111 Milliarden Euro. Davon entfallen nach ihren Angaben rund 60 Prozent auf Deutschland und etwa 40 Prozent auf die Niederlande.
Freitag sagte, der Netzausbau stelle eine „Jahrhundertaufgabe“ dar. Das niederländische Unternehmen gehört zu den größten Investoren in die europäische Energiewende. Allein in Deutschland hat Tennet nach eigenen Angaben seit 2011 über 21 Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur investiert.
Doch die Entwicklung beschleunigt sich stetig. Noch 2018 umfasste die Zehn-Jahres-Investitionsagenda lediglich 28 Milliarden Euro. Im April 2022 waren es 60 Milliarden, im September 2022 dann 70 Milliarden und im November vergangenen Jahres bereits 89 Milliarden Euro.
Hintergrund sind die Anforderungen an den Ausbau der Stromübertragungsnetze, die sich insbesondere nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch einmal deutlich erhöht haben. Ziel der EU ist es, die Abhängigkeit von Energieimporten so schnell wie möglich zu reduzieren. Ein Schlüssel dazu ist der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien.
Damit verlagert sich der Schwerpunkt der Stromerzeugung weiter in den Norden und Nordosten Deutschlands. Um den dort produzierten Windstrom in die Verbrauchszentren im Süden und Westen des Landes zu transportieren, sind zusätzliche Leitungen erforderlich. Außerdem übernimmt Tennet einen großen Teil der Netzanbindung für die Offshore-Windparks in der Nordsee.
Der dramatisch steigende Investitionsbedarf stellt die aktuelle Eigentümerstruktur infrage. Tennet Deutschland ist eine hundertprozentige Tochter der Tennet Holding mit Sitz in Arnheim, die komplett dem niederländischen Staat gehört. Neben 50Hertz, Amprion und Transnet BW ist das Unternehmen einer der vier Übertragungsnetzbetreiber hierzulande.
Tennet und die niederländische Regierung verhandeln derzeit mit der Bundesregierung über einen Verkauf der Deutschland-Tochter. Freitag sagte, die Gespräche stünden erst am Anfang, „aber sie verlaufen sehr konstruktiv“. Ziel sei es, „zwei starke nationale Akteure zu schaffen, die im engen Schulterschluss gemeinsam die Energiewende weiter vorantreiben“. Mit dem Einstieg des deutschen Staates habe man die Chance, den Investitionsbedarf sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden langfristig zu sichern.
Ein „fairer Marktpreis“ sei für den Verkauf jedoch „ein ganz zentrales Thema“, betonte Finanzchefin Freitag. Nach ihren Angaben braucht das Unternehmen „in den Niederlanden zehn Milliarden Euro Eigenkapital und in Deutschland 15 Milliarden Euro“.
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Aus Sicht des Managements hätte ein staatliches Engagement angesichts der bevorstehenden Herausforderungen gegenüber dem Einstieg eines privaten Investors klare Vorteile: „Wir reden über Investitionsvolumina, die eine belastbare Lösung für die kommenden Jahre erfordern. Investoren müssen sich entsprechend langfristig binden“, sagte Freitag. „Mit dem deutschen Staat hätten wir einen Anteilseigener, der genau dafür steht.“
Tennet CFO Arina Freitag
„Wir haben im vergangenen Jahr 4,5 Milliarden Euro investiert. Diesen Wert wollen wir in diesem Jahr auf mindestens acht Milliarden Euro steigern und damit annähernd verdoppeln“, sagte Freitag dem Handelsblatt.
Bild: Tannet
Sowohl die Niederlande als auch Deutschland seien als Anteilseigner Garanten für ein gutes Kredit-Rating. Das senke die Finanzierungskosten und helfe dabei, die volkswirtschaftlichen Kosten für den Netzausbau zu dämpfen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Gespräche über einen Einstieg des Bundes bei Tennet Ende vergangenen Jahres wieder aufgenommen. Er erhofft sich von einem Einstieg, den Einfluss auf das Unternehmen erhöhen und den seit Jahren schleppenden Netzausbau vorantreiben zu können.
Die Niederländer hatten die damalige Übertragungsnetztochter von Eon im Jahr 2010 gekauft. Dadurch war der erste grenzüberschreitende Stromübertragungsnetzbetreiber entstanden. Tennet hatte immer wieder hervorgehoben, man leiste einen wichtigen Beitrag zum Zusammenwachsen der europäischen Strommärkte.
Mittlerweile sind die Niederländer aber nicht mehr dazu bereit, den Netzausbau in Deutschland zu finanzieren. In einem Schreiben des zuständigen Ministers an das Parlament in Den Haag von Ende Februar heißt es, ein vollständiger Verkauf von Tennet Deutschland an den deutschen Staat sei aus Sicht der Regierung „das bevorzugte Szenario“.
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Das Management betont, es werde auch künftig unabhängig von der Eigentümerfrage eine Zusammenarbeit zwischen dem niederländischen und deutschen Netzbetreiber geben: „Wir müssen die Synergien erhalten. Das gilt insbesondere für den Offshore-Bereich“, sagte Freitag. Darum sei es wichtig, ein Kooperationsabkommen zu schließen. So ließen sich die positiven Effekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erhalten und ausbauen. „Das gilt insbesondere mit Blick auf den Einkauf und auf technische Innovationen. Wir wollen hier auch in Zukunft gemeinsam agieren“, sagte Freitag.
Weitergehende Überlegungen in der Politik, die darauf abzielen, die vier Stromübertragungsnetzbetreiber in Deutschland unter dem Dach einer „Deutschen Netz AG“ mit staatlicher Beteiligung zusammenzuführen, sieht das Tennet-Management kritisch. „Unsere große Aufgabe ist es, die Energiewende voranzutreiben. Darauf wollen wir uns voll und ganz fokussieren, anstatt uns mit der Frage befassen zu müssen, wie wir uns organisatorisch umgestalten könnten“, sagte Chief Operating Officer Tim Meyerjürgens dem Handelsblatt. „Das bindet Personal und Zeit.“
Tennet COO Tim Meyerjürgens
„Unsere große Aufgabe ist es, die Energiewende voranzutreiben. Darauf wollen wir uns voll und ganz fokussieren, anstatt uns mit der Frage befassen zu müssen, wie wir uns organisatorisch umgestalten könnten“, sagte Meyerjürgens dem Handelsblatt.
Bild: Tennet
Zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahre zählt für Tennet die Netzanbindung von Windparks in der niederländischen und der deutschen Nordsee. Das Unternehmen wird bis 2030 insgesamt 40 Gigawatt an Offshore-Windenergiekapazität in den Niederlanden und in Deutschland anschließen. Zur Veranschaulichung: Das entspricht in etwa der installierten Leistung von 40 Atomkraftwerken.
Tennet setzt nun auf ein neues Anbindungssystem, mit dem größere Windparks angeschlossen werden können. Das soll unter dem Strich effizienter und umweltfreundlicher sein, weil weniger Kabel verlegt und weniger Plattformen aufgestellt werden müssen.
Mit Blick auf die Belastbarkeit des Stromversorgungssystems ist Meyerjürgens zuversichtlich. „Im vergangenen Jahr war die Situation angespannt durch die Gasmangellage, die Trockenheit und die Probleme mit den französischen Kernkraftwerken“, sagte er.
Man habe Maßnahmen ergriffen, um gut durch den Winter zu kommen, beispielsweise indem man eine höhere Auslastung bestehender Stromleitungen ermöglicht habe. Dadurch habe man etwa fünf Terawattstunden zusätzliche Kapazität gewonnen. „Das ist die gleiche Größenordnung, die der Streckbetrieb der Kernkraftwerke gebracht hat. Für den kommenden Winter sehen wir noch einmal das gleiche Potenzial“, sagte Meyerjürgens.
Der Atomausstieg in Deutschland sei „eine rein politische Entscheidung“. „Wir wissen seit Jahren, dass er kommt, und haben uns entsprechend darauf vorbereitet. Entsprechend sind wir jetzt auch in der Lage, damit umzugehen“, sagte er. Der Beitrag der letzten drei Kernkraftwerke sei nicht mehr groß. „Insofern werden wir auch ohne sie auskommen. Trotzdem brauchen wir natürlich auch in Zukunft gesicherte Leistung.“
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