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Fracking ist insgesamt sehr umstritten. Nun erlebt es ein Comeback.
Bild: Getty, Imago, dpa, Reuters
Das lang verpönte „Big Oil“ soll wegen des Ukrainekriegs plötzlich pumpen, soviel sie können. Das beschert auch dem umstrittenen Schiefergas ein Comeback.
New York, Houston Es war wie ein Klassentreffen der Ölindustrie: Nach zweijähriger Pandemiepause kamen vergangene Woche auf der Ceraweek in Houston die CEOs von Exxon Mobil, Chevron, BP, Shell, Total und vielen anderen Energie-Unternehmen zusammen, um mit dem Generalsekretär der Opec, den Ölexperten von Goldman Sachs und den Ratingagenturen über die aktuelle Lage zu diskutieren.
Mehrere Tausend Teilnehmer waren angereist und haben fünf Tage lang das „Hilton“ im Zentrum der amerikanischen Ölhauptstadt bevölkert. Auf den Fluren gab es viel Schulterklopfen und Wiedersehensfreude, aber vor allem ein neues Selbstbewusstsein.
Jahrelang wurden die Öl- und Gaskonzerne von der Öffentlichkeit und den Investoren geschmäht und von der Politik als Klimakiller verpönt. Doch mit dem Krieg in der Ukraine und der hektischen Suche nach Ersatz für russisches Öl und Gas haben sie sich von Umweltsündern zu den Rettern der Stunde gewandelt: Auf einmal sollen Exxon, Chevron und die gesamte Branche ihre Produktion so schnell wie möglich hochfahren, um den Druck von den hohen Energiepreisen zu nehmen und möglicherweise sogar Europa bei der Versorgung mit Öl und Gas zu helfen. Dabei scheint alles recht – auch die einst umstrittene Fracking-Technologie.
Nicht nur die Energieministerin Jennifer Granholm rief die Branche vor wenigen Tagen auf, mehr zu produzieren. „Wir sind in einer Notlage, und wir müssen das kurzfristige Angebot verantwortungsvoll erhöhen, wo wir können, um den Markt zu stabilisieren und den Schaden für amerikanische Familien zu minimieren“, sagte sie.
Sogar Tesla-Chef Elon Musk, der mit der Alternative zum Benzin-Auto zum Multimilliardär geworden ist, hat sich zuletzt dafür ausgesprochen, mehr Öl und Gas zu fördern: „Ich gebe es nicht gerne zu, aber wir müssen den Öl- und Gas-Output sofort erhöhen. Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, twitterte er Anfang des Monats. Das sei zwar schlecht für Tesla, aber „nachhaltige Energiequellen können einfach nicht sofort russische Öl- und Gas-Exporte ersetzen“, argumentiert der E-Auto-Pionier.
„Es könnte gut sein, dass wir eine neue Ära von ‚Drill, Baby, drill' und ,Frack, Baby, frack‘ vor uns haben“, prophezeit ein New Yorker Investmentbanker. „Drill, Baby, drill“ stand auch in großen Lettern auf dem Schal, den die republikanische Abgeordnete aus Colorado, Lauren Boebert, zu Joe Bidens Rede zur Lage der Nation trug.
Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt auch die Ceraweek in Houston: Dort findet die prominente Auftaktrede des US-Klimabeauftragten John Kerry zur Zukunft der erneuerbaren Energien eher wenig Beachtung. Der Panel zur „Energie-Sicherheit in Europa“ dagegen muss kurzerhand von einem kleineren Meeting-Raum in den Ballsaal verlegt werden, weil der Andrang so groß ist. Schließlich stellen sich auch die Teilnehmer in Houston wie der Rest der Welt die Frage: „Wer soll das russische Gas und Öl ersetzen?“
Kein Wunder, dass sich die Vertreter der Ölindustrie auf der Bühne als Wohltäter gerieren: „Der Zugang zu Energie ist ein Recht und kein Privileg“, räsoniert da der Generalsekretär der Opec Mohammad Barkindo auf der Bühne großmütig und verspricht, alles zu tun, um die Fördermengen der Opec-Staaten zu erhöhen.
„Der globale Energiemarkt ist erschüttert, die Menschen sorgen sich um die Versorgung und die Bezahlbarkeit von Energie“, mahnt der Vorstandsvorsitzende von Exxon Mobile, Darren Woods, und appelliert an die Kollegen: „Unsere Industrie muss alles tun, um die Bedürfnisse zu decken.“ Eignen würde sich dafür etwa das Schiefergas im texanischen Permian-Becken.
Um an dieses Schiefergas zu kommen, braucht man Fracking – eine Technologie, bei der ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in öl- oder gashaltiges Schiefergestein gepresst wird, um es aufzusprengen und das Öl oder Gas abzupumpen. In Deutschland ist diese Technologie aus Gründen des Umweltschutzes verboten.
Doch wenn es darum geht, so schnell wie möglich die Produktion zu erhöhen, könnte Fracking die schnellste Lösung sein. Das schreiben die Forscher der Wharton-Universität in ihrer jüngsten Studie. Neue klassische Ölfelder zu erschließen und tief zu bohren dauert oft Jahre. „Beim Fracking dagegen kann man innerhalb von einem Jahr investieren und Öl fließen lassen“, beschreibt der Finanzprofessor und Koautor der Wharton-Studie, Gideon Bornstein, den Unterschied. Beim Fracking sei es grundsätzlich einfacher, die Produktion kurzfristig runter- oder auch hochzufahren.
„In den USA wird die Produktionssteigerung vor allem vom Schieferöl kommen“, ist auch James Burkhard, der auf die Ölmärkte spezialisierte Vizepräsident von S&P Global, überzeugt. Er glaubt, dass Fracking für eine zusätzliche Million Barrel Öl pro Tag sorgen kann. Bereits im letzten Jahr habe es einen leichten Anstieg gegeben, aber jetzt beschleunige sich der noch weiter.
Auch John Hess, CEO der Hess Corp, die Fracking sowohl beim Gas als auch beim Öl einsetzt, glaubt an diese Fördertechnologie als Lösung für die derzeitige Krise. „Schieferöl und -gas wird in diesen Zeiten eine wichtige Rolle spielen“, prophezeit der weißhaarige Ölveteran auf der Bühne in Houston. „Eine Menge Leute in der Branche schauen sich das derzeit genau an“, berichtet der Texaner. „Die Investoren haben ihnen lange gesagt, sie sollen das nicht tun. Aber jetzt braucht die Welt das Öl!“, freut er sich.
Auch aus dem Unternehmen Caterpillar ist zu hören, dass es den Bestellungen für Fracking-Ausrüstung kaum nachkommen kann.
Unterstützung bekommt die Branche aus der Politik, vor allem von den Republikanern. Außer Lauren Boebert aus Colorado setzt sich auch Dan Sullivan, Senator aus Alaska, für die Branche ein und fordert unter anderem, die Keystone-Pipeline zu genehmigen. Sie sollte den USA Öl aus Kanada liefern, das aus Ölsand gewonnen wird und damit sehr umweltfeindlich ist. Obama hatte die Pipeline verboten, Trump hat sie wieder genehmigt und Biden erneut ein Veto eingelegt. „Wir haben riesiges Energie-Potenzial“, twitterte der Republikaner Sullivan jüngst. „Nicht nur die USA, auch die Welt ist darauf angewiesen.“
Und der republikanische Abgeordnete Ken Buck fragt auf Twitter: „Warum öffnet Präsident Biden nicht die Energieproduktion und nutzt die Ressourcen bei uns zu Hause?“
Den US-Präsidenten Joe Biden bringen die hohen Energiepreise und der Ruf nach mehr Öl und nach Fracking in eine schwierige Lage. Eigentlich war der Demokrat angetreten, um die größte Volkswirtschaft der Welt nachhaltiger zu machen und den Klimawandel zu bekämpfen. Doch jetzt sind die Benzinpreise so hoch wie seit vierzehn Jahren nicht mehr. Die Republikaner machen die Energiepreise zum Wahlkampfthema in den Zwischenwahlen. Und statt Windrädern und Solaranlagen erleben zumindest kurzfristig die fossilen Brennstoffe und sogar das Fracking ihre Renaissance.
Dabei hat die Fracking-Branche in den USA durchaus bewegte Zeiten hinter sich. Gut zehn Jahre ist es her, da hatte die „Shale Revolution“ der Energiebranche Amerikas noch unter Barack Obama einen neuen Schub verpasst. Nicht zuletzt dank der umstrittenen Fracking-Technologie sind die USA 2018 zum Nettoexporteur von Energie und zum größten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen – zum ersten Mal seit 1973.
Obama nannte die Technologie „awesome" und ließ sie nur sanft regulieren. Sein Amtsnachfolger Donald Trump ging noch weiter und ließ Fracking auch in Gebieten der Ureinwohner zu. Biden wollte dem eigentlich ein Ende setzen und hat neue Genehmigungen auf Bundesgrundstücken ebenso verboten wie die geplante Pipeline von Kanada in die USA.
Ein Ölboom in den USA ist das Gegenteil von dem, was Joe Biden geplant hatte. Statt eines Übergangs zu erneuerbaren Energien wird nun über Energiesicherheit diskutiert. Eine Zwickmühle.
Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren appelliert bereits auf Twitter, die alternativen Energien nicht aus den Augen zu verlieren: „Russlands gesamte Wirtschaft hängt von Öl- und Gasexporten ab. Je mehr die Welt sich auf fossile Brennstoffe verlässt, desto mehr Macht wird Putin behalten. Wir brauchen saubere Energie für unseren Planeten, unsere Demokratie und unsere Freiheit überall auf der Welt.“
Es ist auch nicht so, dass das Schieferöl und -gas für die Unternehmen ganz ohne finanzielle Risiken ist. Die „Boom-and-Bust-Zyklen“, die schon immer zum Energie-Geschäft gehören, sind für Fracking besonders gefährlich: Die Technologie ist teuer und lohnt sich nur, wenn die Ölpreise hoch sind und die Unternehmen damit gute Margen verdienen können.
Als mit der Pandemie die Preise für Öl und Gas massiv gefallen sind, lohnte sich das teure Fracking auf einmal nicht mehr, und Dutzende Fracking-Unternehmen mussten Insolvenz anmelden. Dazu gehörte auch der Branchenpionier Chesapeake Energy. Chevron hat damals ebenfalls seine Investitionen ins Fracking gedrosselt.
Mit dem Krieg in der Ukraine ist das Fracking daher zwar auf einmal wieder interessant geworden. Aber die Branche gibt sich nach den jüngsten Erfahrungen etwas zurückhaltender als beim „Shale Boom“ vor zehn Jahren.
Citizen Energy, ein privat geführtes Unternehmen aus Tulsa, Oklahoma, etwa reinvestiert rund die Hälfte des Geldes in den Ausbau des Unternehmens, wie Finanzchef Tim Helms im „Wall Street Journal“ erklärte. Früher habe das Unternehmen zu viel investiert und wollte zu schnell wachsen. Als die Preise dann wieder fielen, führte das zu Problemen. „Wir haben, wie der Rest der Branche, unsere Lektionen gelernt“, sagte er.
Auch der Fracking-Befürworter Hess mahnt, dass es sich beim Fracking um „ein reifes Geschäft“ handelt. Er glaubt, dass es nur noch Schiefer-Vorkommen für die kommenden zehn bis 15 Jahre gibt, weshalb die Investoren etwas vorsichtiger sein könnten.
Dass die fossilen Brennstoffe noch lange eine Rolle spielen werden, daran hat Hess jedoch keine Zweifel: „Um eine reibungslose Energie-Wende hinzubekommen, brauchen wir Öl in den USA“, sagt der Unternehmer. Die USA seien der größte Öl- und Gasproduzent der Welt. „Regierungen und Banker sollten uns nicht sagen, dass sie uns nicht brauchen! Es geht hier um die nationale Sicherheit. Wir sollten hier aufrecht und stolz stehen!“, ruft er dem Publikum auf der Houstoner Ölmesse zu - und erntet tosenden Beifall.
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